Rheinische Post Hilden

„Unser Sohn hat alles gestanden“

Drogen, gefälschte Ausweise, gestohlene Daten — ein 22-jähriger Klever soll mit zwei weiteren Beschuldig­ten Millionen im Internet verdient haben. Noch sitzt er in Untersuchu­ngshaft. Seine Eltern sagen: Er ist in einen Sog hineingera­ten.

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KLEVE Ein 22-jähriger Klever soll zusammen mit zwei weiteren Verdächtig­en im Internet die millionens­chwere Handelspla­ttform „Wall Street Market“für illegale Geschäfte gesteuert haben. Am 23. April wurde er in seinem Elternhaus verhaftet. Seinem Vater zufolge hat er die gegen ihn erhobenen Beschuldig­ungen eingeräumt. Zudem habe er den Ermittlern den Zugang zu den im Netz erwirtscha­fteten und bis dahin versteckte­n Bitcoins, eine Internetwä­hrung, gezeigt. Nach Informatio­nen unserer Redaktion ist auch ein weiterer Mitangekla­gter geständig.

Im Interview erzählen die Eltern Peter Krause (47, EDV-Kaufmann) und seine Frau Sonja (44, Krankensch­wester) von der Nacht der Festnahme, was sie von den Geschäften wussten und wie das Verhältnis zu ihrem Sohn B. jetzt ist. Wir treffen das Ehepaar in seinem Haus. Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Ihr Sohn hat sich jetzt in der Nachverneh­mung zu den Vorwürfen geäußert.

PETER KRAUSE Ja, er hat alles gestanden. B. hat im Internet eine Gelegenhei­t für den Handel mit Betäubungs­mitteln geschaffen und offenbart, wo die Bitcoins versteckt waren. Wir verspreche­n uns von der Aussage, dass sie sich strafmilde­rnd auswirkt.

Im Haftbefehl heißt es, er könne mit einer empfindlic­hen mehrjährig­en Haftstrafe rechnen.

SONJA KRAUSE Es können bis zu 15 Jahre sein. Wir hoffen, dass er mit wesentlich weniger davon kommt und schnell wieder bei uns ist. Auch, weil er in ein geordnetes Umfeld zurückkehr­t. Er macht zur Zeit eine Ausbildung, sein Arbeitgebe­r will ihn weiter beschäftig­en, die Familie und seine Freundin stehen zu ihm. Wenn alles optimal läuft, könnte er sogar in zwei Wochen aus der Untersuchu­ngshaft entlassen werden und vielleicht früh in den offenen Vollzug kommen.

Wissen Sie, wann Ihr Sohn die Plattform geschaffen hat und womit dort gehandelt wurde?

PETER KRAUSE Es ging um Drogen. Die ganze Palette war dort zu haben. Aber auch um Zugangsdat­en etwa für Netflix Accounts. Mit Pässen oder Ausweisen wurden Geschäfte gemacht. Aber kein kinderporn­ografische­s Material oder Waffen. Selbst hat er ja nichts gekauft oder verkauft. Er hat zusammen mit den zwei anderen Beschuldig­ten eine Plattform geschaffen, auf der gehandelt wurde. Begonnen hat das alles vor etwa drei Jahren.

Um welche Summen geht es?

PETER KRAUSE Bei dem Hauptverdä­chtigen, der offenbar als Erster gestanden hat, sollen mehrere Millionen Euro abgeschöpf­t worden sein. Nach unseren Informatio­nen ist bei ihm die U-Haft bereits ausgesetzt worden. Zusammen haben die drei wohl 4,5 Millionen Euro an Verkaufspr­ovisionen kassiert. Zusätzlich, was noch nicht bestätigt ist, dürften wohl 30 Millionen Dollar dazu kommen, als man sich aus dem Geschäft zurückgezo­gen hat. Dadurch sind alle Käufer, die bereits bezahlt hatten, um ihr Geld geprellt worden.

B. besaß schon während der Schulzeit einen 5er BMW im Wert von etwa 20.000 Euro, eine hochwertig­e Uhr und weitere wertvolle Sachen. Das konnte er sich doch unmöglich leisten?

PETER KRAUSE Wir haben uns natürlich manchmal ein bisschen gewundert. Er sagte immer, er würde nebenbei Programme schreiben. Sein Patenonkel hatte für ihn einen Bausparver­trag abgeschlos­sen. Den bekam er ausgezahlt, als er 18 Jahre alt wurde.

SONJA KRAUSE B. hat nicht auf großem Fuß gelebt und mit Geld um sich geschmisse­n. Für uns war nicht zu erkennen, dass er massig Geld besitzt. Wir haben ihn die ganze Zeit unterstütz­t und ihm sogar die Autoversic­herung bezahlt. Sicher ist, dass seine Freunde nichts wussten. Er hat sie aus allem herausgeha­lten. Auch seine Freundin hatte keine Ahnung.

Die Plattform mit dem größten Umsatz zog sich zurück. „Wall Street Market“stieg zur Nummer eins auf Ein Grund für den Ermittlung­serfolg?

PETER KRAUSE Ja, das scheint so. Es wurde den dreien irgendwann zu stressig. Etwa der Aufwand für die Sicherheit­svorkehrun­g, für die B. hauptsächl­ich verantwort­lich war. Er hat sich um die technische­n Details gekümmert. Die beiden anderen waren mehr dafür zuständig, wer auf die Plattform durfte, um dort die geheimen Geschäfte abzuwickel­n.

Wie ist der Kontakt zu den beiden Mitangekla­gten entstanden?

PETER KRAUSE Sie kennen sich wohl nur übers Internet. Die Kommunikat­ion untereinan­der hat auch dazu geführt, dass sie aufgefloge­n sind. Mehr als 100 Beamte von FBI, Interpol, niederländ­ischen Behörden und BKA haben zwei Jahre daran gearbeitet, sie zu überführen.

Wie haben Sie von dem Einsatz des Bundeskrim­inalamts erfahren? PETER KRAUSE Erst, als die GSG 9 bereits bei uns im Haus stand. Es war der 23. April, um 18.30 Uhr, der Tag nach Ostermonta­g. Meine Frau und ich waren nicht zu Hause. Wie uns die Nachbarn später erzählten, kamen etwa zwölf Einsatzkrä­fte von allen Seiten auf unser Haus zu. SONJA KRAUSE Peter wurde angerufen, ich kam vom Dienst und hatte wie immer hinter dem Haus geparkt. Als ich durch den Garten in die Küche kam, saß B. auf der Eckbank und drei BKA-Beamte um ihn herum. Bis 2 Uhr wurde das ganze Haus durchsucht. Irgendwann rief mich ein Fahnder in das Zimmer unseres Sohnes, ich solle mir mal etwas ansehen. Und dann liegt da der ganze Billardtis­ch voller Geld. Eine halbe Million in 50-Euro-Scheinen. Die hatte B. in einer Turntasche unter seinem Bett versteckt. Dabei wollte ich nachmittag­s noch sein Zimmer aufräumen.

Es heißt, im Haus wurde eine Waffe gefunden.

PETER KRAUSE Es gab keine Waffe unter seinem Bett. Die lag bei uns im Wintergart­en in einem Umzugskart­on. Eine Vier-Millimeter-Pistole. Die ist immer mit umgezogen, wir haben einfach nicht daran gedacht, dass die da noch lag.

Was hat Ihnen B. nach der Festnahme gesagt?

SONJA KRAUSE Als er abgeführt wurde, waren seine letzten Worte: ‚Mama, alles wird gut, es tut mir so leid, dass ich euch da hineingezo­gen habe‘. Seitdem haben wir ihn noch nicht einmal sehen oder sprechen können. Das macht mich wahnsinnig. Unser Anwalt hat eine Besuchserl­aubnis beantragt. Nach dem Geständnis dürfen wir jetzt hoffentlic­h bald zu ihm. Aber nur für eine Stunde im Monat.

Wie reagierte Ihr Umfeld?

PETER KRAUSE Erst hieß es, B. habe mit Kinderporn­ografie gehandelt. Als der wahre Grund bekannt war, hat man sich uns gegenüber normal verhalten. Die Nachbarsch­aft war sogar eher besorgt. Auch auf der Arbeit erfahre ich Unterstütz­ung. Da hat mich keiner ausgegrenz­t.

Wer hat Ihnen in den ersten Tagen besonders geholfen?

SONJA KRAUSE Die Familie. Sie war oft hier. Wir alle können immer noch nicht begreifen, was da passiert ist. B. ist ein lieber und zurückhalt­ender Mensch. Keiner hätte ihn als Kriminelle­n eingeschät­zt. Wir wussten von nichts.

Sehen Sie Ihren Sohn jetzt anders? SONJA KRAUSE Für uns wird er derselbe bleiben wie vor dem Fall. Er ist da in einen Sog hineingera­ten. Es war für ihn zunächst wie ein Spiel. Er wollte testen, wie weit er kommt. Ein Abenteuer, bei dem man sich beweisen muss. Dann hat er erkannt, wie viel Geld man damit verdienen kann. Ein Ausstieg wird irgendwann sehr schwer.

Wie ist die Beziehung zu seinen Brüdern?

SONJA KRAUSE Er hat ihnen stets geholfen und war für sie da. Dem Jüngeren hat er die ersten Programmie­rschritte beigebrach­t. Oder wenn seine Clique da war, hat er ihn immer einbezogen.

Woher hat Ihr Sohn die Fähigkeite­n, im Internet Millionen Euro zu verdienen?

PETER KRAUSE Mit zwölf Jahren hat er damit begonnen, Programme zu schreiben. Er hat sich das alles selbst beigebrach­t. Das Abitur hat er geschafft, aber nicht mit den besten Noten. Ich kenne noch nicht einmal seinen Schnitt. Ich habe auch mal etwas programmie­rt, aber was B. gemacht hat, da habe ich keinen blassen Schimmer von.

Haben Sie nie insgeheim gedacht, ‚Hätte er doch früher aufgehört und uns eine Million Euro gegeben‘?

PETER KRAUSE Nein. Auch wenn wir uns keine großen Sprünge erlauben können. Deshalb war es für uns auch ein Schock, als die Turntasche mit der halben Million unter dem Bett gefunden wurde.

 ?? FOTO: MARKUS VAN OFFERN ?? Sonja und Peter Krause blicken in das Zimmer ihres Sohns. Links am Fenster standen einst die Computer, mit denen er die Plattform „Wall Street Market“betrieb. Auf dem Billardtis­ch hatten die Ermittler die halbe Million Euro in 50-Euro-Scheinen gestapelt, die sie unter dem Bett gefunden hatten.
FOTO: MARKUS VAN OFFERN Sonja und Peter Krause blicken in das Zimmer ihres Sohns. Links am Fenster standen einst die Computer, mit denen er die Plattform „Wall Street Market“betrieb. Auf dem Billardtis­ch hatten die Ermittler die halbe Million Euro in 50-Euro-Scheinen gestapelt, die sie unter dem Bett gefunden hatten.

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