„Wir müssen sympathisch auftreten“
Die Frauenfußball-Bundestrainerin über die WM-Aussichten, eine DFB-Präsidentin und wieso das Kaffeeservice 1989 eine gute Titelprämie war.
FRANKFURT/M. Martina Voss-Tecklenburg hat 125 Mal im Nationalteam gespielt. Sie weiß auch, wie es ist, im Finale einer Frauenfußball-WM zu stehen. 1995 war das, die Deutschen verloren 0:2 gegen Norwegen. Damals war normal, dasss eine deutsche Frauenmeisterschaft in einem Turnier um den Titel mitspielte. Doch wenn die DFB-Spielerinnen mit der Bundestrainerin Voss-Tecklenburg am Samstag gegen China (15 Uhr/ARD) in die WM in Frankreich einsteigen, haben die anderen Nationen aufgeholt. Die 51-jährige gebürtige Duisburgerin hat dagegen eine Mannschaft im Umbruch übernommen und warnt vor überzogenen Erwartungen.
Frau Voss-Tecklenburg, reden wir zunächst über Pferdeschwänze? VOSS-TECKLENBURG (lacht) Sollen wir nicht wenigstens anstandshalber mit einer klassischen Fußballfrage beginnen. Aber wir können natürlich auch zunächst über Pferdeschwänze reden.
Es geht ja nicht um irgendwelche Pferdeschwänze, sondern die Ihrer Spielerinnen. Im aktuellen Werbespot des Sponsors der Frauen-Nationalmannschaft heißt es: „Wir brauchen keine Eier – wir haben Pferdeschwänze.“Haben Sie zunächst gezuckt, als Sie das Drehbuch gelesen haben? VOSS-TECKLENBURG Es fing eigentlich alles ganz harmlos an. Als uns die Verantwortlichen der Commerzbank das Skript vorgestellt haben, da konnte man sich noch nicht vorstellen, was am Ende herauskommen würde. Aber ich hatte gleich das Gefühl, dass wir uns damit hundertprozentig identifizieren können. Die Reaktionen der Spielerinnen waren entsprechend positiv. Wir haben alle Spots in viereinhalb Stunden an einem Tag in der Klosterpforte in Marienfeld abgedreht. Wir sind alle begeistert und stolz über das Ergebnis. Es ist authentisch. Es zeigt, wie der Frauenfußball sich entwickelt hat.
Weil man selbst über sich lachen kann?
VOSS-TECKLENBURG Es ist mindestens eine wichtige Lebenseinstellung, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Insofern kann es sehr befreiend sein, auch mal über sich lachen zu können. Sie selbst sind zu sehen, wie Sie eine Kaffeetasse in der einen, einen Untersetzer in der anderen hochhalten. Ein solches Service haben Sie 1989 nach dem Gewinn des ersten EM-Titels vom DFB als Prämie bekommen.
VOSS-TECKLENBURG Und wissen Sie was? Ich habe es immer noch. (lacht) Jedenfalls in großen Teilen. Es ist ehrlich gesagt nicht mehr vollständig. Hermann (ihr Mann, der Bauunternehmer Hermann Tecklenburg; Anm. d. Red.) benutzt es fast täglich. Es ist also alles andere als ein Staubfänger.
Aus heutiger Sicht wirkt es wie eine Respektlosigkeit, dass es vom DFB eine solche Prämie ausgelobt wurde.
VOSS-TECKLENBURG So sehe ich das nicht. Es war der Anfang. Und sehen Sie, das Service hat ja bis heute auch seinen Zweck erfüllt. Es hat sich aber zum Glück in den vergangenen Jahren eine Menge getan. Auch im DFB hat es ein Umdenken gegeben. Frauenund Männerbereich werden immer enger zusammengeführt. Seit ein paar Monaten profitieren wir in der DFB-Akademie ganz konkret von dem Austausch, können Synergien und Wissen viel besser nutzen. Wenn wir gefragt werden, was wir brauchen, um maximal erfolgreich zu sein, dann ist das nicht einfach so dahergesagt.
Ist der DFB bereit für eine Präsidentin an der Spitze? VOSS-TECKLENBURG Bereit glaube ich schon. Die Frage ist, ob man auch eine geeignete Kandidatin hat, die auch den Job machen möchte. Ich bin sicher, dass es welche gibt. Aber darum geht es nicht in erster Linie. Es wird irgendwann eine Präsidentin geben. Es wird sicher auch mal eine Trainerin in der Bundesliga bei den Männern geben.
Ihre frühere Lebenspartnerin Inka Grings ist als Trainerin mit dem SV Straelen aus der Regionalliga abgestiegen. So hoch hat noch nie eine Frau eine Männermannschaft trainiert. Nun soll Sie den Wiederaufstieg schaffen. Zuversichtlich, dass es klappt?
VOSS-TECKLENBURG Die Inka macht einen guten Job. Sie ist eine sehr ehrgeizige Trainerin, die ein anspruchsvolles und interessantes Training macht. Sie ist in einer Phase zum Verein gekommen, wo es nicht mehr leicht war, das Ruder rumzureißen. Und dennoch hat sie sehr gute Ergebnisse erzielt. Sie muss jetzt natürlich auch Erfahrungen sammeln. Sie ist noch relativ neu in dem Geschäft und kann noch einiges lernen – wie ich auch. Am Ende ist auch immer eine große Portion Glück nötig, um sich durchzusetzen. An diesem Wochenende starten Sie mit der Partie gegen China in die WM. Zum zweiten Mal ein Turnier mit 24 Teams – ist das Teilnehmerfeld nicht viel zu aufgebläht und dadurch die Qualität deutlich geringer?
VOSS-TECKLENBURG Es mag durchaus Spielpaarungen geben, wo es noch Luft nach oben gibt. Aber in unserer Gruppe gibt es nur anspruchsvolle Gegner. China will sich in der Weltspitze etablieren, die Spanierinnen haben sich enorm verbessert, und gegen Südafrika wird es auch bestimmt kein Selbstläufer. Die Welt hat sich weitegedreht. Wir waren in Deutschland lange verwöhnt von den Erfolgen, aber viele Länder haben aufgeholt.
Italien, Spanien und England konnten unlängst bei Spielen Rekordzuschauerzahlen vermelden. Haben Sie Angst, dass die deutsche Bundesliga angehängt werden könnte?
VOSS-TECKLENBURG Das muss man differenziert betrachten. Es waren in diesen Ländern alles sehr spezielle Events. Da gab es die Karten zum Beispiel für fünf Euro oder umsonst. So kamen die gigantischen Zahlen zustande. An sich brauchen wir uns mit der Bundesliga nicht zu verstecken. Aber natürlich sollte man sich immer hinterfragen, ob und an welcher Stellschraube man noch etwas verändern kann.
Aber ist der Männer-Fußball hierzulande nicht derart dominant, dass es schwer ist noch Platz daneben zu schaffen? VOSS-TECKLENBURG Es gibt einfach eine Übersättigung im Fußball, ganz klar. Ich kann mich heute gemütlich aufs Sofa legen und in der Woche mindesten 15 bis 20 Partien live sehen. Aber das heißt nicht, dass wir jetzt die weiße Flagge hissen. Wir müssen unseren Weg gehen. Nahbar sein, auf ein sympathisches Auftreten achten. Einfach ehrlichen Fußball bieten.
Sie haben eine Mannschaft im Umbruch übernommen. Sind Sie schon wieder in der Verfassung, um Titel zu spielen?
VOSS-TECKLENBURG Dieser Prozess geht jetzt schon eine Weile. Und es ist spannend zu sehen, was sich da entwickelt. Das liegt auch viel daran,
dass die Konkurrenz einfach viel, viel besser geworden ist. Früher kam doch oft der Spruch „Kannst du dir nicht angucken, wie die spielen“. Und ich muss zugeben, es waren teilweise wenig attraktive Spiele dabei.
Also ist es so, dass Titel heute mehr wert sind?
VOSS-TECKLENBURG Natürlich ist jeder Sieg, den du holst, verdient, und es soll auch keine Schmälerung der Leistung früherer Generationen sein. Das wäre arrogant und totaler Quatsch. Nur gehört zur Wahrheit auch: Es gab mal eine Phase im Frauenfußball, da reichte es für uns aus, nur 60 bis 70 Prozent unserer Leistungsfähigkeit abzurufen, um zu gewinnen. Mit so einer Einstellung würde man heute nicht weit kommen. Wie gesagt – wir können stolz sein, wie sich alles entwickelt hat.
Und werden Sie am Ende Weltmeister?
VOSS-TECKLENBURG Unser Ziel ist die Olympiaqualifikation. Dazu müssen wir unter den besten drei europäischen Teams landen. Also wahrscheinlich ins Halbfinale kommen. Unser Umbruch ist noch längst nicht abgeschlossen. Wir haben viele junge Spielerinnen. Sehen Sie, 15 spielen ihre erste Frauen-WM. Manche Dinge brauchen etwas Zeit.
Klingt, als könnten Sie sich sehr gut mit Joachim Löw austauschen. VOSS-TECKLENBURG (lacht) Machen wir auch gelegentlich, wir sind ja eine große DFB-Familie.