TKKbäh
Diskriminierend, gewaltverherrlichend und chauvinistisch – die frühen Hörspiele von TKKG stehen für ein problematisches Weltbild. Wie geht der neue Film mit diesem Erbe um? Unser Autor und früherer Fan war im Kino.
MÖNCHENGLADBACH Nach dem Erwerb der Kinokarte beschloss ich, Apfelringe zu kaufen. Keine Erwachsenensüßigkeiten – M&Ms, Pringles oder Nachos – sondern grünes Fruchtgummi mit noch mal Zucker obendrauf. An einem Donnerstag wollte ich mir einen Film anschauen, der mich zurück in meine Kindheit brachte. Es war halb sechs.
Vier weitere Personen saßen im Kinosaal für den dritten Film der sonst als Hörspielhelden auftretenden Ermittlertruppe TKKG. Die Clique bestand aus drei Mädchen und einem Jungen, vermutlich war niemand älter als elf. Die Karte verlangte, dass ich genau vor ihnen Platz nahm. Eines der Mädchen fragte, ob es W-Lan gebe. Ihr Guthaben sei leer. Erst viel später fiel mir ein, dass mein inneres Augenrollen völlig unangebracht war, denn bei mir war es in dem Alter die Energieanzeige des Game Boys, die mir größte Sorgen bereitete.
Die Hörspielabenteuer von Tim, Karl, Klößchen und Gaby hatte ich geliebt. Als Neunjähriger. Die „Drei Fragezeichen“lernte ich erst als Erwachsener kennen, aber mit einem halben Dutzend früher TKKG-Folgen überbrückte ich die zentralen Jahre meiner Kindheit. Erst später begriff ich, dass das Verhalten der Viererbande so unproblematisch gar nicht war, und zwar in einem Ausmaß, dass ich jeden für einen potenziellen AfD-Wähler halte, der sich heute nicht davon distanziert.
Noch einmal hörte ich kürzlich die alten Folgen. Tim setzte Gewalt lieber einmal zu viel als zu wenig ein, Klößchen wurde für seinen Schokoladenkonsum und sein Übergewicht verspottet. Karl war bloß oberschlau, Gaby blond und blauäugig und musste auch mal zu Hause bleiben. „Du darfst nur mit, wenn es nicht gefährlich ist, schließlich bist du ein Mädchen“, sagte Tim in der Folge „Die Jagd nach den Millionendieben“. In „Ufos in Bad Finkenstein“wurden einem Mädchen die Haare abgeschnitten, als es abends durch den dunklen Park ging. Tim sagte zu ihr: „Du warst sehr leichtsinnig. Davon spricht dich keiner frei.“Dem Opfer die Schuld geben an etwas, das eine Metapher für sexualisierte Gewalt ist – „victim blaming“heißt so etwas heute.
Besonders problematisch war ihr Umgang mit Minderheiten
und Randgruppen. Auf dem Tiefpunkt der Hörspielreihe, „Der letzte Schuss“, machten sich alle vier Ermittler über Obdachlose lustig. „Im Park gibt‘s keine Singvögel mehr, die Vögel weigern sich, für die Penner zu singen!“, sagte sogar Gaby. Das Argument, so sprechen Kinder nun mal, zählt nicht. Die vier waren als Vorbilder konzipiert und alles, was sie taten und sagten, musste auch der Hörer für in Ordnung halten.
Das war sowieso das Allerschlimmste: Dass die Mitglieder von TKKG Tugendterroristen waren. Sie machten alles richtig, sie wussten, was sich gehörte und was nicht. Sie zeigten nie eine Schwäche, nahmen selbstverständlich niemals Drogen. „Ein Mädchen, das mit 16 schon qualmt, gehört der Hintern versohlt“, sagte Tim einmal.
Das Weltbild von TKKG spiegelte das Weltbild ihres Schöpfers. Der frühere Journalist Rolf Kalmuczak schrieb die Buchvorlagen von 1979 bis zu seinem Tod 2007 unter dem Pseudonym Stefan Wolf. In einem Interview antwortete er auf die Frage, was Männer besser können als Frauen: „Männer sind mit einer größeren Nüchternheit ausgestattet und deshalb die besseren Logiker. Ihr Orientierungssinn ist besser, und sie können besser einparken.“In einem anderen sprach er davon, dass er sich große Mühe gebe, seine Philosophie rüberzubringen. „Und diese Philosophie enthält auch die Erhaltung tradierter Werte, ohne die wir in dieser Gesellschaft nicht auskommen.“Wolf, der seine Themen bevorzugt in der Zeitung fand, wollte die Kinder lieber mit der vermeintlichen Realität konfrontieren, als ihre Fantasie anzuregen. „Worüber soll ich schreiben, wenn nicht über das, was da draußen in der Welt passiert?“, sagte er mal und meinte damit offenbar vor allem, was Schlimmes draußen in der Welt passiert.
An jenem frühen Donnerstagabend erzählte uns fünf der neue, relativ egale Film davon, wie aus Tim, Karl, Klößchen und Gabi ein Ermittlerquartett wurde. Der Film rief uns geradezu entgegen: Das ist ein Neustart. So sind TKKG wirklich! Die problematischen Wurzeln der Serie sollte ich bitteschön vergessen, als habe es sie nie gegeben. Tim lief mit seinem Migrationshintergrund gleich in der ersten Szene der Polizei davon, seinen durchaus kritischen dargestellten Hang zur Schlägerei gewöhnte er sich später ab, indem er eine asiatisch-esoterische Kampfkunst lernte, die nur auf Selbstverteidigung setzte. Klößchen war zwar weiterhin ein übergewichtiger Schoki-Freund, doch spottete niemand mehr darüber. Karl war weiterhin oberschlau, aber auch überaus schmächtig, so dass er für die anderen im Internat die Hausaufgaben machen musste. Gabys Existenzberechtigung bestand nicht mehr darin, Tim abwechselnd zu bewundern und sich um ihn zu sorgen. Ich hielt es nicht für einen Zufall, dass sie Saxophon spielte wie Lisa Simpson. Selbstbewusst schaltete sie sich in die Ermittlungen ein, die sich um ein bei Nacht abgestürztes Flugzeug und eine goldene Statue aus einem buddhistischen Kloster drehten. Das Übliche eben. Wenn sich auch der Film darum bemühte, das peinliche Erbe zu überwinden – von der Mittelmäßigkeit und Fantasielosigkeit der Handlung, die schon die Hörspiele auszeichnete, kam der Film nicht los.
Der Viererbande aus dem Kino wünsche ich, dass sie andere Helden findet.