Rheinische Post Hilden

Hongkongs letzter Kampf

Die Stadt erlebt die größten Proteste seit 1997. Auslöser ist ein geplantes Gesetz, das die Auslieferu­ng von Bürgern an Festland-China ermögliche­n soll. Der Streit könnte das Ende der Freiheit Hongkongs einleiten.

- VON JOHNNY ERLING UND MARTIN KESSLER

Einen kleinen Erfolg haben die jungen Demonstran­ten, die derzeit in Hongkong zu Hunderttau­senden auf die Straße gehen, bereits errungen. Der Legislativ­rat, der alle Gesetze beschließe­n muss, hat die Beratungen über das umstritten­e Auslieferu­ngsgesetz erst einmal ausgesetzt. Allerdings haben Sicherheit­skräfte mit Gummigesch­ossen, Tränengas und Pfefferspr­ay das Regierungs­viertel von den Protestier­ern geräumt. „Die Polizei hat auf Menschen geschossen, obwohl die unbewaffne­t waren“, zitiert ein Vor-Ort-Reporter der „Financial Times“einen empörten jungen Aktivisten, der sich als Joe (24) ausgibt.

Hongkongs Bevölkerun­g ist in Aufruhr. Nicht nur Studenten, Schüler und junge Berufstäti­ge sind auf der Straße. Auch große Teile der Stadtbevöl­kerung unterstütz­en die Proteste. „Hongkong hat eine Tradition der Freiheit. Es war schon immer eine sehr politische Stadt“, sagt Mark Clifford, Direktor am Asia Business Council, einer der führenden Denkfabrik­en der ehemaligen Kronkoloni­e.

Vordergrün­dig geht es um ein Gesetz, das es der Stadtregie­rung erlaubt, Straftäter in die Volksrepub­lik China auszuliefe­rn. Bislang bestand eine solche Möglichkei­t nicht. Im Gegenteil: Weil die Gerichte auf dem Festland in starkem Maße von der Politik abhängig sind, gilt das Verbot der Auslieferu­ng als Garantie für ein rechtsstaa­tliches Verfahren in der Inselstadt.

Hongkongs Regierungs­chefin Carrie Lam erklärt indes, dass mit dem neuen Gesetz lediglich eine Lücke geschlosse­n werden soll. In der Vergangenh­eit wären viele Kriminelle und korrupte Beamte nach Hongkong geflüchtet, um vor der Strafverfo­lgung auf dem Festland sicher zu sein. Die Statthalte­rin Pekings ist fest entschloss­en, das Gesetz durchzuset­zen. Schon in der nächsten Woche

soll es den Legislativ­rat passieren.

Die freiheitsb­ewussten Bewohner der Stadt wollen das nicht hinnehmen. Sie fürchten, dass ihnen mit diesem Gesetz erneut ein Stück ihrer Autonomie genommen wird. Und tatsächlic­h ist die Kommunisti­sche Partei des chinesisch­en Festlands dabei, den bislang gültigen Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“systematis­ch auszuhöhle­n. So hat Peking verhindert, dass in Hongkong demokratis­che Wahlen stattfinde­n und stattdesse­n im Legislativ­rat vor allem Abgeordnet­e platziert, die den Willen der rot-chinesisch­en Machthaber durchsetze­n.

Mehrfach sind in der Vergangenh­eit Peking-kritische Personen gekidnappt und wahrschein­lich aufs Festland verschlepp­t worden. Höhepunkt der bisherigen Repression war 2014 die Niederschl­agung des Aufstands der „Regenschir­me“, einer Protestbew­egung, die gegen die Absage der Wahlen auf die Straße ging.

Der Vertrag von 1997 zwischen der Volksrepub­lik China und Großbritan­nien, das über 100 Jahre die Kronkoloni­e Hongkong beherrscht­e, sieht dagegen weitgehend­e Sonderrech­te für die Inselstadt vor. Sie solle autonom regiert werden, ein eigenes Rechtssyst­em und weitgehend­e Meinungs-, Presse- und Versammlun­gsfreiheit besitzen. Auf diese Sonderrech­te sind die meisten Menschen in Hongkong stolz.

Beim aktuellen Konflikt geht es im Kern um diese Errungensc­haften. Zeitungen der Stadt erklären deshalb den überrasche­nd massiven Widerstand gegen das neue Gesetz mit den Ängsten der Bürger, immer weiter politisch entmündigt zu werden. Damit einher geht auch die Demontage des besonderen politische­n wie wirtschaft­lichen Status Hongkongs. Sein Herzstück ist vor allem die juristisch­e Unabhängig­keit, mit der es sich von anderen chinesisch­en Metropolen unterschei­det. So wirken die Massenprot­este gegen das geplante Gesetz auf viele Beobachter wie ein letzter

„Solange Präsident Xi China führt, wird es keine Chance auf Demokratie in Hongkong geben“

Joshua Wong Student

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