Rheinische Post Hilden

Bewährung für Unfallfahr­er (91)

Der Mann stand vor Gericht, weil er im September eine 69-Jährige anfuhr und so schwer verletzte, dass sie starb. Der Rentner gab eine Sehschwäch­e zu und dass er unkonzentr­iert war.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Es war ein kurzer Augenblick, ein Moment der Unachtsamk­eit. Doch er hatte schwerste Folgen und hätte vielleicht sogar verhindert werden können. Eine 69 Jahre alte Fußgängeri­n starb im vergangene­n September nach einer Kollision mit einem Pkw an einem Zebrastrei­fen, bloß weil der Fahrer schlecht sieht und zudem an seinem Autoradio hantiert hatte. Das brachte dem betagten Fahrer, der 91 Jahre alt ist, nun zehn Monate Bewährungs­strafe ein.

So urteilte gestern das Amtsgerich­t, sprach den Ex-Handelsver­treter wegen fahrlässig­er Tötung schuldig. Als Bewährungs­auflage muss er nun 7200 Euro an eine Einrichtun­g für Unfallopfe­r zahlen. Die Familie des Opfers hatte allerdings auf eine härtere Bestrafung gedrängt. Der Rentner habe aufgrund der Sehschwäch­e in Kauf genommen, dass er als Autofahrer irgendwann einen schweren Unfall verursacht – und habe sich dennoch weiterhin ans Steuer gesetzt. Die Hinterblie­benen des Opfers fanden, der Todesfahre­r habe also fast vorsätzlic­h gehandelt. So weit ging das Gericht aber dann gestern nicht.

Der Angeklagte habe, so das Urteil, nicht nachweisba­r hingenomme­n, dass ein Mensch durch seine Sehschwäch­e hinter dem Steuer zu Tode kommt. Genau das aber war an einem Septemberm­ittag 2018 bei einer Schule an der Graf-Recke-Straße passiert. Als eine Hundehalte­rin an einem Zebrastrei­fen – kurz bevor Kinder nach Unterricht­sende mittags aus der Schule strömen – die Straße überqueren wollte, ist der Angeklagte mit seiner Mercedes-Limousine laut Zeugen ungebremst auf die 69-Jährige zugefahren, hat sie durch den Aufprall in die Luft geschleude­rt und so schwer verletzt, dass sie keine zwei Stunden später in der Uniklinik starb.

Noch am Unfallort gab der Todesfahre­r an, er habe sein Autoradio lauter stellen wollen, deshalb nicht auf die Straße geachtet, die Passantin übersehen. Das wiederholt­e er gestern. Aus seinem GolfClub waren inzwischen aber Stimmen laut geworden waren, wonach der 91-Jährige lange vorher schon als stark sehbehinde­rt aufgefalle­n sei. So habe er einmal ein Golfcart in einen Teich gelenkt, weil er die algengrüne Wasserober­fläche für einen Teil des Rasens gehalten habe.

Eine Sehschwäch­e gab der Senior gestern zu: „Mir wurde auch geraten, auf das Autofahrer­n tunlichst zu verzichten, schon gar keine längeren Fahrten zu machen!“Aber da er beruflich als Vertreter zighundert­tausende von Kilometern zurückgele­gt hatte und seinen Führersche­in seit 1946 besaß, habe er immer noch geglaubt, trotz „Beeinträch­tigung“der Sehfähigke­it (Makula-Degenerati­on) und mit seiner Routine weiter fahren zu können.

Immerhin habe seine Frau damals im Hospital gelegen, zwei Mal täglich sei er mit dem Auto zu ihr gefahren, um sie zu pflegen. Das aber kostete jene 69-jährige Fußgängeri­n dann das Leben. Die Schuld dafür nahm der Senior auf sich, hat schon am Unfalltag seinen Führersche­in abgegeben. Doch sei das Ausmaß seiner Fahrlässig­keit so groß, dass dafür nun eine Bewährungs­strafe von zehn Monaten fällig ist, so die Richterin. So habe der 91-Jährige die Passantin nicht durch ein „Augenblick­sversagen“, also einen kleinen Moment der Unachtsamk­eit getötet, sondern durch regelrecht­es „Wegrichten des Blickes“von der Straße.

Der 91-Jährige und sein Anwalt nahmen das Urteil sofort an. Deutlich glimpflich­er war einen Tag zuvor beim Amtsgerich­t ein Prozess gegen einen anderen Autofahrer (81) ausgegange­n. Er hatte auf einer Fahrt durch Oberkassel Ende 2017 am Steuer plötzlich einen epilepsie-ähnlichen Anfall erlitten, hatte die Kontrolle über sein Auto verloren, war erst nach einem Crash mit einer Haltestell­e am Belsenplat­z und mit einem anderen Auto zum Stehen gekommen. Ein Psychiater bestätigte vor Gericht, dass dieser erstmalige Anfall für den Senior nicht vorhersehb­ar gewesen sei. Ein Amtsrichte­r sprach den 81-Jährigen deshalb frei von jeder Schuld.

Ein Fahrtüchti­gkeits-Test hätte diesen Fall verhindert, meint Nicole Lange. Kommentar

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