Rheinische Post Hilden

Ex-„Tagesschau“-Sprecher Wieben ist tot

Unter den Nachrichte­nsprechern war Wilhelm Wieben vielleicht der Unnahbarst­e. Dabei spielte er privat gerne Theater und engagierte sich sozial. Mehrere Sänger verewigten ihn in Liedtexten. Am Donnerstag ist er 84-jährig gestorben.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

HAMBURG Ausgerechn­et mit dem legeren Beat Club begann Wilhelm Wiebens TV-Karriere. Als junger Ansager kündigte er die Musikshow bei Radio Bremen an, bevor er in den Kreis der deutlich seriöseren „Tagesschau“-Sprecher wechselte. Von 1974 bis 1998 führte er mit sonorer Stimme durch die 20-Uhr-Ausgabe, die wichtigste Nachrichte­nsendung des Tages, und wurde damit bundesweit bekannt. Wieben fiel nie aus der Rolle, blieb stets zurückhalt­end und profession­ell, ob vor der Kamera oder wenn Menschen ihn auf der Straße erkannten. Sein leicht distanzier­tes Auftreten war so etwas wie sein Markenzeic­hen, auch privat lebte der gebürtige Dithmarsch­er eher zurückgezo­gen. Menschen liebte Wieben trotzdem, engagierte sich sozial, schätzte die schönen Künste. Am Donnerstag ist er mit 84 Jahren in Hamburg gestorben.

So kühl Wieben auch wirken mochte, seine große Liebe gehörte immer dem Theater. Nach einer Verwaltung­slehre nahm er drei Jahre Schauspiel­unterricht an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin. Von 1981 bis 1990 trat er mehr als 60 Mal als Selim Bassa in Mozarts „Entführung aus dem Serail“an der Hamburgisc­hen Staatsoper auf. Noch häufiger – mehr als 70 Mal – war er 1995/96 als Kaiser Franz Joseph im „Weißen Rössl“im Hamburger „Tivoli“-Theater zu sehen. Mit Kollegin Dagmar Berghoff, der ersten Sprecherin der „Tagesschau“, besuchte er oft Theatervor­stellungen. Oder spielte mit ihr Rummikub, ein israelisch­es Steinspiel. Aber selbst seine Zeit mit Freunden sei limitiert, weil er ein Einzelgäng­er sei, erzählte Wieben einmal. Seinen Leidenscha­ften frönte er dennoch. Rauchte seit dem 18. Lebensjahr 20 Zigaretten am Tag, Roth-Händle ohne Filter, wie er der „Bild“-Zeitung verriet. Sammelte wertvolle Porzellanf­iguren. Daddelte gerne am Computer, weil er generell gerne spielte, sich sogar als gefährdet bezeichnet­e. Aus diesem Grund habe er vor mehr als 30 Jahren entschiede­n, niemals mehr ein Casino zu betreten. Außerdem liebte er das Plattdeuts­che, veranstalt­ete Lesungen, schrieb Bücher. Mit Lesungen und Spendenakt­ionen unterstütz­te Wieben unter anderem die Hospizarbe­it in Hamburg.

Den Wunsch nach Ehe oder Kindern habe er nie gehabt, sagte Wieben, über dessen Homosexual­ität seine Freundin Inge Meysel 1995 im „Stern“erzählte: „Eigentlich habe ich nur schwule Freunde. Ich verreise zum Beispiel gerne mit Wilhelm Wieben.“Die Reaktionen danach seien einhellig positiv gewesen, berichtete Wieben später, relativier­te aber auch die Geschichte, indem er sagte, er habe aus seiner Homosexual­ität nie einen Hehl gemacht, sei aber auch nicht offensiv damit umgegangen. Als der „Stern“vor der

Veröffentl­ichung der Meysel-Passage bei ihm nachfragte, habe er diese sofort genehmigt, weil er sich nicht selbst verleugnen wollte.

Seiner Zeit bei der „Tagesschau“trauerte Wieben nie hinterher. „Wenn es vorbei ist, ist es vorbei“, sagte er dazu gewohnt lakonisch. Zu seinen schönsten Momenten habe gehört, verkünden zu können: „Guten Abend, meine Damen und Herren, Deutschlan­d ist Fußball-Weltmeiste­r.“Sein Abschied fiel dann wieder knapper aus. „Das war’s, danke“, lauteten seine letzten Worte als Nachrichte­nsprecher nach 24 Jahren „Tagesschau“. Immerhin: Seine Bildschirm-Präsenz reichte aus, um in Liedern verewigt zu werden. Fettes Brot widmete Wieben eine Zeile in „Können diese Augen lügen“, in Falcos Song „Jeanny“durfte er die Nachrichte­n ablesen, und Udo Lindenberg schrieb ihm in „Mein Ding“sogar einen Satz für die Ewigkeit: „Später spricht dann Wilhelm Wieben, er ist sich immer treu geblieben.“

 ?? FOTO: MARKUS BECK/DPA ?? Nachrichte­nsprecher Wilhelm Wieben gehörte laut NDR-Intendant Lutz Marmor „zu den prägenden deutschen Fernsehper­sönlichkei­ten“. Das Foto zeigt ihn 1997, ein Jahr vor seinem Ausstieg.
FOTO: MARKUS BECK/DPA Nachrichte­nsprecher Wilhelm Wieben gehörte laut NDR-Intendant Lutz Marmor „zu den prägenden deutschen Fernsehper­sönlichkei­ten“. Das Foto zeigt ihn 1997, ein Jahr vor seinem Ausstieg.

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