Der tragische Umgang des Westens mit Russland
Der frühere außenpolitische Berater von Kanzler Helmut Kohl macht keinen Hehl aus seiner Besorgnis über die Entwicklung der Russlandpolitik seit den späten 90er Jahren, und er dokumentiert auch gut die vielfältigen Bemühungen, das Verhältnis zu Russland in eine gesamteuropäische Friedensordnung einmünden zu lassen. Aber so kam es eben nicht. Warum, das ist die Kernfrage des Buches. Teltschik beantwortet sie umfassend, präzise und differenziert.
Sein Werk umfasst den Zeitraum von 1989 bis heute, erzählt von nicht genutzten Chancen, Unterschätzungen und machtpolitischer Interessenpolitik – auf beiden Seiten. Es beleuchtet die Anfänge und Wandlungen des einstigen Westlers Putins ebenso wie die Wendungen in der US-Russlandpolitik von Bush über Obama bis heute. Und es handelt von fehlenden Entspannungsund Abrüstungskonzepten.
Viele Themen sind es, die Teltschiks Sorge hervorgerufen haben: das US-Raketenabwehrsystem in Ostmitteleuropa, der fehlende Abschluss eines neuen KSE-Vertrages über konventionelle Truppen in Europa, die Frage einer Nato-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine sowie die Zukunft des Kosovo. Besonders aktuell ist das letzte Kapitel über den „Weg in die Konfrontation“. Hier wird Teltschik sehr deutlich: Danach, so seine These, agiere Russland „aggressiv, nicht weil es seinen Einfluß ausdehnen will, sondern weil es einen weiteren Einflussverlust vermeiden möchte und weil es den Sicherheitsversprechen des Westens zunehmend nicht mehr traut“. Wenn dies stimme, dann führe „die gegenwärtig von Washington und den osteuropäischen Nato-Staaten favorisierte Konfrontationspolitik zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen“. Konkret befürchtet er eine Eskalationsspirale, die „vom kalten Frieden in einen heißen Konflikt“führen könne, weshalb es einer „Neuauflage der Entspannungspolitik“bedürfe.
Teltschiks neues Buch ist ein Muss für jeden, der sich für Politik interessiert. Denn das Verhältnis zu Russland könnte die kommenden Jahre außenpolitisch dominieren. Seine Forderung, Deutschland solle gemeinsam mit Frankreich im westlichen Bündnis eine Führungsrolle übernehmen und den konfrontativen Tendenzen in Washington und den osteuropäischen Mitgliedsstaaten „weiterhin offensiv entgegentreten“, wird deshalb wohl ein berechtigter, aber wohl nur ein frommer Wunsch bleiben. Denn auch für die beiden stärksten EU-Mitgliedsstaaten gilt der damals auf Russland gemünzte Satz aus der nationalen Sicherheitsstrategie Bushs von 2002, dass seine „Schwäche die Möglichkeiten der Zusammenarbeit begrenzt.“
Horst Teltschik: Russisches Roulette. Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden. C.H. Beck, 2019, 233 S., 16,95 Euro