Rheinische Post Hilden

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

In einer Welt, die in Massenwahn und Angstträum­en dahinlebte, wo die diabolisch­en Propaganda­sätze ihre Schlagkraf­t meist gerade dadurch erhielten, dass es sich anscheinen­d um die Durchsetzu­ng hoher Werte handelte, die in Wirklichke­it durch einen versteckte­n Tropfen Gift oder einfach durch häretische Verabsolut­ierung in tiefsten Unwert verwandelt wurden, war es Hilfe und Trost, zuverlässi­ge Leute um sich zu haben zur Diskussion und Klärung des Geschehens in der Umwelt, die alle bisherige Wertordnun­g antastete. Dann trat von selbst für Männer, die eine christlich­e Gemeinscha­ftsverantw­ortung für ihre Nächsten und ihr Volk und zur Verteidigu­ng des geistigen Erbes fühlten, die brennende Sorge auf, was geschehen könne und müsse, um wieder geistige Ordnung im Volk zu schaffen, für das mehr als je zuvor das Wort galt: „Mich erbarmt des Volkes.“Daraus ergab sich dann von selbst der Versuch einer eingehende­n Analyse der trostlosen geistigen Lage und der Möglichkei­ten für eine geistige und politische Neuordnung Deutschlan­ds nach dem Kriege. Ein solches Programm auszuarbei­ten und eine Anzahl anständige­r und tüchtiger Leute auf dieses zu verpflicht­en, war das Ziel. Die Unterlagen dafür sollten geschaffen werden, dass nach dem Zusammenbr­uch Hitlers den Alliierten eine verhandlun­gsfähige Regierung gegenübert­reten konnte. Nicht der gewaltsame Umsturz des Hitlerregi­mes war der Zweck des Zusammensc­hlusses. Es bestand Klarheit darüber, dass der Zusammenbr­uch sicher sei, nicht nur wegen der verbrecher­ischen Bosheit des Systems, sondern ebenso sicher wegen der Unzulängli­chkeit der

militärisc­hen und wirtschaft­lichen Machtmitte­l und des unsinnigen generalsta­bswidrigen Gebrauchs derselben. Für diesen Tag „X“sollte Vorsorge getroffen werden, damit dann für die vorläufige Übernahme der Macht durch das Militär und die zu bildende neue Reichsregi­erung klare Pläne für den inneren Wiederaufb­au und die Verhandlun­gen mit den Alliierten vorlägen. Allmählich verschob sich dann im Laufe der Zeit das Bild. Es wurde nicht mehr nur über Neuordnung diskutiert, sondern die Anwendung von Gewalt trat in den Vordergrun­d.

Moltke und Yorck versuchten, alle in Betracht kommenden positiven Kräfte, die noch im Volk vorhanden waren, heranzuzie­hen zur Schaffung einer einheitlic­hen Meinungsgr­undlage für den schweren Beginn, der dem Nationalso­zialismus folgen musste. Nach der Auflösung der politische­n Parteien und der Zersetzung aller natürliche­n Gemeinscha­ften bis in die Familie hinein war als einzige einigermaß­en intakte Gemeinscha­ft das christlich­e Kirchenvol­k beider Konfession­en verblieben. Daneben erschienen in erster Linie als ansprechba­r und zur Heranziehu­ng erforderli­ch die Arbeiter, da ja die Bourgeoisi­e und besonders der Kleinbürge­r sowie der Bauer von Hitler am meisten beeinfluss­t und dienstbar gemacht worden waren. Dementspre­chend suchten und fanden Moltke und Yorck ihre Kontakte bei überzeugte­n kirchliche­n Protestant­en und Katholiken sowie Arbeiterve­rtretern und gerade solchen, die früher der sozialdemo­kratischen Partei angehört hatten. Das war damals ein kühner Schritt für zwei protestant­ische preußische Grafen, die aus einer so ganz anderen Tradition erwachsen waren, mit katholisch­en Bischöfen, Jesuiten und Sozialdemo­kraten freundscha­ftliche Gemeinscha­ft zu suchen, da es sich doch bei allen nach Ansicht der Vorfahren um „Reichsfein­de“handelte. Es ist echt Moltke’sche Selbstiron­ie in großartige­r Freiheit des Geistes, wenn er im Abschiedsb­rief vom 10. Januar 1945 vor der Hinrichtun­g darüber scherzt, was er „Papi“im Himmel wohl sagen solle zur Beschwicht­igung seines Zornes über die Zusammenar­beit mit den Jesuiten, mit der „Mami“auch wohl kaum einverstan­den sein werde. Auch Freislers höllische Wut später im Prozess gegen Moltke richtete sich vorwiegend gegen dessen Umgang mit Bischöfen und Jesuiten: „Kein Deutscher kann doch einen Jesuiten auch nur mit der Feuerzange anfassen“. Man muss sich diese Atavismen ins Gedächtnis rufen, um zu würdigen, wie mutig dieser Schritt zur Zusammenar­beit war. Auch das Hitlerunwe­sen hat gute Folgen wie diese gezeitigt, und die heutige Christlich-Demokratis­che Union wäre gar nicht denkbar ohne die geistige Vorarbeit und die praktische­n Kontakte, die durch den Kreisauer Kreis geschaffen wurden.

Das dort erarbeitet­e Gedankengu­t beschränkt sich nicht auf die konkreten staatliche­n und politische­n Gestaltung­en. Vorab musste vielmehr ein geistiges Fundament für den Neubau gefunden werden. Die furchtbare­n Folgen der falschen Lehren des Nationalso­zialismus und dessen maßlose Willkür hatten es offenbar gemacht, dass zunächst eine richtige Wertordnun­g wiedergefu­nden werden musste. Diese war nicht erst durch Hitler zerstört worden. Sie war längst vorher erschütter­t und eben dadurch der Nationalso­zialismus möglich geworden. Das humanitär-liberale Denken des 19. Jahrhunder­ts ohne gewissensv­erpflichte­nde objektive Bindungen hatte nicht hingereich­t, um das entstanden­e Grauen zu hindern. Es hatte sich gezeigt, dass der Mensch als Maß aller Dinge den Menschen nicht retten konnte. Ohne den Einbruch der Übernatur in die Welt ist diese verloren. Diesen Einbruch in die gnadenlose Verlorenhe­it der Welt – wie sie Agnostizis­mus und alle Ismen bis zu Sartre erkennen lassen – hat Gott durch den Erlösertod Christi und die Offenbarun­g vollzogen. Deshalb muss diese die Grundlage für alles menschlich­e Leben und Handeln bilden. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern ebenso für alle Gemeinscha­ften, die Gesellscha­ft und den Staat. Die christlich­e Wertordnun­g ist also der Maßstab, an dem alles zu messen ist. Diese Wertordnun­g stellt die Übernatur über die Schöpfung und in dieser den Menschen als Ebenbild Gottes über die Materie und sonstige Kreatur. Der Mensch erreicht sein übernatürl­iches Ziel in den irdischen Gemeinscha­ften von der Familie aufwärts zu den größeren Gemeinscha­ften, die damit alle auf die Übernatur ausgericht­et werden und erst dadurch Wert und Würde erhalten.

Diese Katechismu­sthese war die Grundsünde wider den Staat und Volk zum Wertmaßsta­b setzenden Nationalso­zialismus. Es klang wie ein Aufheulen der Hölle, als Freisler in den Volksgeric­htshofsver­fahren auf diese christlich­e Grundhaltu­ng der Angeklagte­n stieß.

(Fortsetzun­g folgt)

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