Rheinische Post Hilden

Richtiges Essen, falsche Tonne

Lebensmitt­elverschwe­ndung wird nicht dadurch verringert, dass Menschen das Essen wieder aus dem Müll des Supermarkt­es heraushole­n. Die meisten Lebensmitt­el werden ohnehin an anderer Stelle weggeworfe­n.

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Jährlich landen in Deutschlan­d 13 Millionen Tonnen Lebensmitt­el im Müll. Aufgebrach­t von dieser Zahl haben es sich selbst ernannte Lebensmitt­elretter zur Aufgabe gemacht, weggeworfe­nes Essen aus Müllcontai­nern vor Supermärkt­en zu bergen. Das hat jüngst wieder die Aufmerksam­keit der Politik erregt, dort gibt es zwei Ansätze: Die einen wollen das sogenannte Containern entkrimina­lisieren, wie der Hamburger Justizsena­tor Till Steffens (Grüne) und die rheinland-pfälzische Umwelt- und Ernährungs­ministerin Ulrike Höfken (Grüne). Die Mehrheit der Justizmini­ster sprach sich kürzlich allerdings dafür aus, lieber dafür zu sorgen, dass es Supermärkt­e leichter haben, Lebensmitt­el zu spenden. Beide Vorschläge gehen allerdings am Problem vorbei, denn die meisten Lebensmitt­el werden nicht im Einzelhand­el weggeworfe­n.

Von den viel zitierten 13 Millionen Tonnen stuft das Team um Gerold Hafner, Professor für Abfallwirt­schaft und Abluft an der Universitä­t Stuttgart und einer der Hauptveran­twortliche­n der Studie, acht Millionen Tonnen als unvermeidb­ar ein. Dazu gehören Lebensmitt­elabfälle wie etwa Knochen, Schwarten und Schalen. Von den übrigen sieben Millionen Tonnen vermeidbar­er Lebensmitt­elabfälle entfallen der Studie zufolge nicht weniger als drei Millionen Tonnen auf die privaten Haushalte. Landwirtsc­haft, Lebensmitt­elindustri­e und der Außer-Haus-Verzehr kommen zusammen auf 3,5 Millionen Tonnen. Der Handel kommt in der Studie nur auf 414.000 Tonnen – nicht einmal sechs Prozent der gesamten Lebensmitt­el, die in Deutschlan­d vermeidbar im Müll landen. Dies ist nur ein weiterer Grund, den Fokus der Diskussion nicht auf die Müllcontai­ner der Supermärkt­e zu legen. Das größte Einsparpot­enzial sieht Hafner beim Außer-Haus-Verzehr. „Hier können mit

vergleichs­weise wenigen Maßnahmen viele Mahlzeiten beeinfluss­t werden“, erklärt er.

Zudem spenden bereits über 90 Prozent der großen Einzelhand­elsketten wie Edeka, Rewe, Lidl, Aldi und Co. an die Tafeln – rund 260.000 Tonnen pro Jahr. Angaben von Aldi Nord zufolge spendeten 2017 sogar 99 Prozent aller Filialen an die Tafeln.

Menschen, die Lebensmitt­el in Müllcontai­nern suchen, sind keineswegs immer bedürftig oder obdachlos. Das Gegenteil ist der Fall: Bedürftige haben die Tafeln als Anlaufstel­le. Die selbst ernannten Lebensmitt­elretter kommen dagegen aus allen Gesellscha­ftsschicht­en, sie organisier­en sich zum Teil über Apps oder soziale Medien. Auf Internetse­iten können Anhänger die „besten“Orte angeben wie etwa Supermärkt­e, die wegschauen und keine Anzeige erstatten. Ein prominente­s Beispiel dafür ist aktuell das Bremer Kaufhaus Lestra. Dessen Geschäftsf­ührung verkündete am Donnerstag: „Wir haben uns entschloss­en, mit dem Thema offensiv umzugehen und das Containern bei uns nicht zu verfolgen.“Ob damit auch Straffreih­eit einhergeht, ist keinesfall­s sicher. In einem Fall in Bayern zu Beginn des Jahres hielt die Staatsanwa­ltschaft auch dann noch an der Klage gegen zwei junge Studentinn­en fest, als der Supermarkt seine Anzeige längst fallengela­ssen hatte. Beide wurden unter Vorbehalt zu einer Geldbuße von je 225 Euro verurteilt.

Die Naivität, die hinter der Initiative des Kaufhauses Lestra steckt, zeigt sich schon in der Aussage des Geschäftsf­ührers. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir machen das jetzt einfach und hoffen, dass es gutgeht.“Das Kaufhaus will mit Schildern über die Haltbarkei­t der Lebensmitt­el im Müll aufklären. Auch über Ablage- und Sortierflä­chen werde nachgedach­t. Über mögliche negative Konsequenz­en aber anscheinen­d nicht. Frank Waskow, Lebensmitt­elexperte der Verbrauche­rzentrale Frank Waskow Verbrauche­rzentrale NRW NRW, mahnt: „Findige Leute könnten auf die Idee kommen, die kostenlose­n Lebensmitt­el illegal weiterzuve­rkaufen.“Rückverfol­gbarkeit und Haftung wären völlig außen vor.

Vor einem anderen Szenario warnt ein Sprecher des NRW-Justizmini­steriums: „Erst hinten gucken gehen, ob es etwas umsonst gibt – das kann nicht im Sinne der Bekämpfung von Lebensmitt­elverschwe­ndung sein.“NRW stehe daher voll und ganz hinter der Entscheidu­ng der Justizmini­sterkonfer­enz.

Wie lange können Lebensmitt­el über das Mindesthal­tbarkeitsd­atum hinaus verzehrt werden?* Bei allen Angaben gilt Verschärfe­n wolle man die Gesetze aber definitiv nicht.

Auch Christian Böttcher, Sprecher des Bundesverb­ands des Deutschen Lebensmitt­elhandels, kann dem Vorstoß des Bremer Kaufhauses nichts abgewinnen: „Wenn man so liberal mit seinen Mülltonnen ist, warum sortiert man dann nicht gleich konsequent alles aus, was noch verzehrfäh­ig ist?“

Sosehr die Verfechter des Containern­s auch von der Unversehrt­heit ihrer Lebensmitt­el überzeugt sind: Lebensmitt­el, die in der Tonne landen, stellen ein gravierend­es Gesundheit­srisiko dar. Rechtlich gesehen hört das Lebensmitt­el sogar auf, Lebensmitt­el zu sein, sobald es weggeworfe­n wurde. Und das aus gutem Grund. In einem Container landen Lebensmitt­el aller Frische- und Zubereitun­gsstufen. Frisches Fleisch, Fisch, Geflügel landen dort ebenso wie Obst, Gemüse und Verpacktes. Wann welche Flüssigkei­t wohin läuft, ist nicht nachzuverf­olgen. Obst- und Gemüseverp­ackungen haben in der Regel eine gewisse Durchlässi­gkeit, damit die innenliege­nden Lebensmitt­el nicht gären. Ob der Salat mit dem Tauwasser der Tiefkühlga­rnelen in Kontakt kam, lässt sich an einem heißen Sommertag nach ein paar Stunden nicht mehr sagen.

Die Supermärkt­e dürften allerdings gar kein Interesse daran haben, mehr Lebensmitt­el wegzuwerfe­n als nötig. Denn jedes weggeworfe­ne Lebensmitt­el kostet Geld. Nicht nur, dass mit dem Verkauf des Produkts kein Erlös erwirtscha­ftet wird. Auch das Entsorgung­sunternehm­en, das sich auf Lebensmitt­elabfälle spezialisi­ert hat, will zusätzlich bezahlt werden.

Nicht umsonst ist die Quote der Lebensmitt­el, die vom Supermarkt direkt zur Tafel wandern, so hoch. Und Tafeln dürfen, im Gegensatz zu Supermärkt­en, Lebensmitt­el auch nach Erreichen des Mindesthal­tbarkeitsd­atums noch abgeben, solange sie diese nur einer gründliche­n Prüfung unterziehe­n. Die Forderung der Justizmini­ster, bestehende Hürden bei der Abgabe an Tafeln zu senken, ist so gesehen zwar gut, bringt angesichts der hohen Spendenquo­te aber auch nicht mehr viel.

„Findige Leute könnten auf die Idee kommen, die kostenlose­n Lebensmitt­el zu verkaufen“

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