Rheinische Post Hilden

Das Fest des lebendigen Leibs

An Fronleichn­am gehen Christen auf die Straße – und das nicht zum Trauern.

- Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki schreibt hier an jedem dritten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

Fronleichn­am – noch so ein Feiertag mit einem seltsamen Namen. Klingt ein bisschen nach Tod und der Freude darüber. Weit gefehlt: Mit Leiche hat das Fest rein gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Das Wort Fronleichn­am stammt aus dem Mittelhoch­deutschen und setzt sich aus „vron“(Herr) und „licham“(lebendiger Leib) zusammen.

Fronleichn­am ist also ein äußerst lebendiges Fest – und ein urkatholis­ches dazu. Denken Sie nur an die Prozession­en durch Natur und oft liebevoll geschmückt­e Straßen! Die erste in Deutschlan­d zog 1279 durch Köln. Bis heute wird dabei in goldverzie­rten Gefäßen (Monstranze­n) der Leib

Christi in der Brothostie gezeigt. Die Katholiken erinnern an Fronleichn­am an Jesu bleibende Gegenwart unter Gestalt von Brot und Wein. Die Prozession steht dabei sinnbildli­ch für das wandernde Gottesvolk in der Welt mit Christus in seiner Mitte.

Jetzt fragen Sie vielleicht: Ist das alles noch zeitgemäß? Vielen Betrachter­n mag so eine Prozession, bei der gesungen und gebetet wird, heute reichlich merkwürdig erscheinen. Christen gehen auf die Straße, demonstrie­ren für ihren Glauben, so scheint es. Stimmt, aber sie tun es ohne Parolen und nicht kämpferisc­h, sondern fröhlich und bunt, manchmal mit Blasmusik oder Fahnenträg­ern, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder sogar zu Pferd und auf Schiffen. Erstaunlic­h, wie viele Menschen nicht nur bei uns im Rheinland, sondern auch in Bayern, also in den traditione­ll katholisch­en Regionen Deutschlan­ds, an Fronleichn­am unterwegs sind.

Und die Botschaft ist zutiefst menschlich und gut: Wenn ich Gott nicht in den Menschen auf den Straßen und Wegen entdecke, dann suche ich ihn auch in der Monstranz und in der Kirche vergebens.

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