Union begräbt Soli-Abschaffung für alle
Nach den Verlusten bei der Europawahl vor allem für die SPD üben die Regierungsfraktionen den Schulterschluss: Der Solidaritätszuschlag soll wie geplant nur für 90 Prozent der Bürger wegfallen. Die Union wollte bisher ehrgeiziger sein.
BERLIN Die Union hat ihre Pläne zur vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags für alle Steuerzahler vorerst begraben. Nach einer Klausurtagung einigten sich die Fraktionsspitzen von Union und SPD, den Zuschlag in einem ersten Schritt zum 1. Januar 2021 für 90 Prozent der Steuerzahler abzuschaffen. Die einkommensstärksten zehn Prozent sollen ihn weiter bezahlen. Union und SPD hielten damit an ihrem Koalitionsvertrag aus dem Frühjahr 2018 fest. Dagegen hatten führende Vertreter der Unionsparteien in den vergangenen Monaten immer wieder die vollständige Soli-Abschaffung gefordert. Zuletzt hatte CSU-Chef Markus Söder vergangene Woche erklärt, die Teil-Abschaffung sei verfassungswidrig.
Die Einwilligung der CDU/ CSU-Fraktion in die 90-Prozent-Lösung markiert einen offiziellen Kurswechsel, der sich in der CDU schon abgezeichnet hatte. Wichtigster Grund ist eine Pattsituation, die die Union auflösen wollte: Sie erwartet jetzt, dass sich auch die SPD fair an den Koalitionsvertrag hält und ihre Forderung nach einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung aufgibt. Die Union besteht auf einer Grundrente nur mit Bedarfsprüfung. Zudem geht der Koalition wegen teurer Zukunftsvorhaben und einer schwächeren Konjunktur auch schlicht das Geld aus: Die vollständige Soli-Abschaffung würde den Bund jährlich 20 Milliarden Euro kosten, die Teil-Abschaffung nur die Hälfte.
„Wir müssen realistisch und fair bleiben. So, wie ich mich an den Koalitionsvertrag halte und den ersten Schritt beim Soli-Abbau mittrage, erwarte ich von der SPD, dass sie nicht noch bei der Grundrente draufpackt. Die Bedarfsprüfung muss bleiben“, sagte Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann. „Bei der Halbzeitbilanz im Herbst können, ja müssen die Parteien neue Punkte in Angriff nehmen. Der Koalitionsvertrag gehört überarbeitet. Ich werde mich vor allem für eine Unternehmensteuerreform und für den zweiten Schritt zum Soli-Abbau einsetzen.“
Union und SPD übten nach ihren teils starken Verlusten bei der Europawahl auch bei anderen Themen wie dem Mobilfunk-Ausbau und der Pflege demonstrativ den Schulterschluss. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einer „Klausur auf Augenhöhe“. Auch Rolf Mützenich, der nach dem Rücktritt von Andrea Nahles vorübergehend die Leitung der SPD-Fraktion übernommen hat, äußerte sich optimistisch, dass die Beschlüsse gut für die SPD-Entscheidung nach der Halbzeitbilanz im Herbst seien, ob die große Koalition fortgesetzt werden soll. Wegen schlechter Umfrageergebnisse ist es gut möglich, dass die SPD die Koalition verlässt.
Nach dem Willen der Fraktionen soll es eine neue Mobilfunk-Infrastrukturgesellschaft des Bundes zum Bau von Mobilfunkmasten in unversorgten Regionen geben. Mit der Gesellschaft soll der Bund dann überall tätig werden, wo sich der Ausbau für Mobilfunkunternehmen nicht lohnt und weiße Flecken auf der Versorgungskarte bleiben würden. Für den Bau von Masten sollen bundeseigene Flächen in den jeweiligen Gebieten genutzt werden, um langwierigen Genehmigungsverfahren aus dem Weg zu gehen.
Ferner soll die Bundesregierung ihre Pläne für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege „zügig und mit ganzer Kraft umsetzen“. Die Vorhaben der sogenannten Konzertierten Aktion Pflege müssten „so schnell wie möglich“ins Kabinett eingebracht werden. An der Aktion waren über 50 Verbände beteiligt.
Auch bei der Reform der Grundsteuer zeichnet sich nach langem Streit eine Einigung ab. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) soll der Forderung der Union nachgegeben und einer Länderöffnungsklausel zugestimmt haben. Dies bestätigte die SPD zwar zunächst nicht. Doch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte beim Mietertag in Köln an, die Grundsteuerreform werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit“am Mittwoch im Kabinett verabschiedet.
Der Einigung zufolge soll es ein Bundesgesetz zur Neubestimmung der Grundsteuer geben. Durch eine Grundgesetzänderung und eine Öffnungsklausel soll den Ländern eine eigene Methode der Besteuerung ermöglicht werden. Scholz will die Grundsteuer ab 2025 stärker nach dem Wert einer Immobilie festlegen. Bei der Neuberechnung will er die reale oder fiktive Kaltmiete einbeziehen. Dies hatte massive Kritik der Wirtschaftsverbände und der Union ausgelöst, weil viele Eigentümer eine deutliche Steuererhöhung befürchten. Vor allem die CSU verfolgt dagegen ein wertunabhängiges Besteuerungsmodell, das allein auf die Fläche eines Grundstücks abstellt. Ob sich dem andere unionsregierte Länder anschließen, ließ der Chef der Finanzministerkonferenz, Hessens Minister Thomas Schäfer (CDU), am Freitag offen.