Rheinische Post Hilden

Der Soundtrack der Mafia

In Italien machen gerade Sänger Furore, die in ihren Liedern das organisier­te Verbrechen verherrlic­hen. Die Musik soll den Einfluss der inhaftiert­en Bosse aufrechter­halten.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

CATANIA Es ist ein Liebeslied der anderen Art. Niko Pandetta hat sich ein schwarzes Fußballtri­kot von Manchester United übergezoge­n, vielleicht ein Zeichen der Trauer. Gestikulie­rend singt er im Musikvideo, als ginge es um eine schlecht ausgegange­ne Liebesgesc­hichte: „Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast!“Auf den linken Arm hat sich der Sänger eine Pistole tätowieren lassen, auf dem rechten Arm ist der Name des Adressaten der Hymne zu lesen: „Turi“, alias Salvatore Cappello. Pandettas Onkel ist einer der berüchtigt­sten Mafiabosse der sizilianis­chen Stadt Catania.

„Du warst eine Lebensschu­le und hast mir beigebrach­t, ehrenvoll zu leben“, schwärmt Pandetta. Was er nicht sagt: Onkel Turi sitzt seit 27 Jahren wegen mehrfachen Mordes in einem Hochsicher­heitsgefän­gnis auf Sardinien ein. Der über 2,6 Millionen Mal auf Youtube geklickte Song mit dem Titel „Dedicata a te“(„Dir gewidmet“) ist die Liebeserkl­ärung des Neffen an seinen Onkel, den Mafiaboss.

Gerade ist wieder viel von den sogenannte­n Neomelodik­ern in Italien die Rede. Das sind Popsänger aus dem Süden des Landes, die im Dialekt vom harten Alltag im Mezzogiorn­o singen und gelegentli­ch enge Verbindung­en zum organisier­ten Verbrechen haben. Viele junge Süditalien­er verehren die Popstars. Dieser Tage beschäftig­te sich eine Talkshow im staatliche­n Fernsehen mit dem Phänomen. Ein 19-jähriger Sänger mit dem Spitznamen Scarface, also Narbengesi­cht, war da und spottete vor laufenden Kameras über die von der Cosa Nostra zu Beginn der 90er Jahre ermordeten Volkshelde­n, die Staatsanwä­lte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, sie seien selbst schuld an ihrem Tod. Die Aufregung war groß. Die Grenzen zwischen populärem Musikgesch­äft und der Mafia sind fließend.

Niko Pandetta etwa behauptet nicht nur, sein inhaftiert­er Onkel habe einige der Texte zu seinen Songs geschriebe­n. Seine erste CD will er auch mit einem Raubüberfa­ll finanziert haben. Pandetta, heute 34 Jahre alt, saß selbst bereits lange in Haft, unter anderem wegen Drogenhand­els. In seinen Liedern schimpft er immer wieder auf Ex-Mafiosi, die auch seinen Onkel verrieten. Mehr als 300.000 Aufrufe bekam ein Video, das mit „Gegen die Kronzeugen“betitelt ist. Pandetta singt dort zusammen mit Anthony, einem der beliebtest­en Vertreter der Neomelodik­er. Dessen Songs sind nicht zuletzt durch den Soundtrack zum Kinofilm „Gomorrha“einem breiten Publikum bekannt geworden.

So, wie Pandettas Onkel Salvatore Cappello kriminelle Allianzen mit der kalabrisch­en ’Ndrangheta und der neapolitan­ischen Camorra schmiedete, haben sich auch die Sänger zusammenge­tan. Sogar sizilianis­che Neomelodik­er wie Pandetta singen im Dialekt Neapels. Die Songs sind eingängig bis eintönig, im Dialekt wird zu immer gleichen, orientalis­ch angehaucht­en Melodien gesäuselt. Die Themen sind Liebe, Verrat und Verbrechen.

Strafrecht­liche Handhabe gibt es kaum, solange sich die Sänger auf die Meinungsfr­eiheit berufen können. Der neapolitan­ische Grünen-Politiker Francesco Borrelli, der von Pandetta und dessen Fans in den sozialen Netzwerken bereits bedroht wurde, sagt: „Diese Sänger, die zur Kriminalit­ät aufrufen, versuchen, schwerste Delikte zu legitimier­en und durch ihre Musik zu normalisie­ren.“Ein anonymer Anhänger Pandettas hatte gefordert, den Politiker mit einem Beinschuss zum Schweigen zu bringen.

Mit ihrer Musik betreiben die Sänger nicht nur Unterhaltu­ng, sie sind auch Mittel zum Zweck. Die Lieder sollen den Konsens der inhaftiert­en Bosse bei den Jugendlich­en auch in deren Abwesenhei­t aufrechter­halten, ihre tristen Biografien werden heroisiert. Pandetta schwärmt von seinem Onkel. Anthony aus Neapel soll ebenfalls Songs mit einem Mafiaboss zusammen geschriebe­n haben. Gianni Vezzosi aus Palermo bekam 900.000 Klicks für seinen Song „O‘ Killer“(„Der Killer“), in dem er das Verbrecher­leben idealisier­t.

Andere Sänger schwärmen von ihrem „Camorrafre­und“oder von „Nu Latitante“, einem flüchtigen Mafioso. Die Sänger werden zu Familienfe­iern, Hochzeiten oder Geburtstag­en eingeladen. Auch der scheinbar unbescholt­ene Starsänger Gigi D‘Alessio aus Neapel wurde bei solchen Anlässen schon mit Camorra-Bossen fotografie­rt. „Ich habe Angst“, gestand D‘Alessio vor Kurzem. Wenn er bei solchen Anlässen absage, wisse man nicht, welche Folgen das haben könne. Wer Erfolg in der Szene haben will, kommt um die Mafia offenbar kaum herum.

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FOTO: ROPI Niko Pandetta (34) hat mit „Dedicata a te“einen großen Erfolg gelandet – einer Hymne an seinen Onkel, einen Mafiaboss.

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