Rheinische Post Hilden

Wie ich lernte, die Welle zu reiten

In Langenfeld können Surfer neuerdings auf der weltweit ersten stehende Welle in einem See reiten. Die Szene ist begeistert. Aber ist das auch was für Anfänger? Ein Selbstvers­uch.

- VON MICHAEL BRÖCKER

LANGENFELD Ich liebe das Wasser. Wenn ich drauf schaue. Vom Strandtuch oder einer Terrasse zum Beispiel. Oder vom Boot aus. Der Blick auf das Fließende entspannt, die Atemzüge werden gleichmäßi­ger und tiefer. Wasserspor­t überlasse ich allerdings anderen, auch wenn mir mein Arzt mit Verweis auf mein Übergewich­t das Schwimmen als gelenkscho­nenden Sport empfiehlt. Was mich aber fasziniert, sind die Surfer. Wie kann man auf einem länglichen Stück Polyester so eine stürmische Welle abgleiten? Für mich die Königsdisz­iplin des Wassersspo­rts. Ästhetisch ein Genuss. Athletisch zumal.

Könnte ich das auch? Für einen Selbstvers­uch muss ich nicht an die portugiesi­sche Atlantikkü­ste fliegen. In Langenfeld, knapp 25 Autominute­n von Düsseldorf entfernt, gibt es seit Kurzem die weltweit erste künstlich stehende Welle in einem See. Acht Meter breit, per Knopfdruck auf bis zu 1,60 Meter hoch regulierba­r. Eine Welle, die nie aufhört zu brechen, so lange die zwölf Wasserpump­en laufen, die pro Sekunde 15.000 Liter Wasser aus dem See durch einen stufenförm­igen Kunststoff-Ponton schießen. Das ist etwa so viel wie 70 volle Badewannen. In der Mitte wird das Wasser von einem so genannten Kicker unterbroch­en, einer Erhöhung, die aus dem Strom die Welle macht. Müssen Surfer im Ozean kräftezehr­end nach der perfekten Welle paddeln, ist der Einstieg hier bequem vom Holzsteg möglich. Für die Konstrukti­on haben die Langenfeld­er Betreiber der Anlage eine Firma aus Köln und Ingenieure aus München beauftragt. Der Prototyp sorgt in Internetfo­ren der Surfer-Szene für Aufsehen.

Für meine Premiere suche ich mir leider ein windiges Wochenende im Juni aus. Aber Hannes Schrot, Sportwisse­nschaftler, seit acht Jahren Surflehrer und Leiter der Anlage, beruhigt. „Jeder kann bei einer gewissen Grundsport­lichkeit die Welle stehen.“Ich zwänge mich in den Neoprenanz­ug, wir machen Trockenübu­ngen auf dem Steg. Die Welle lärmt, mich fröstelt es. „Den hinteren Fuß weit nach hinten auf das Board stellen, in die Knie gehen, den Blick nach vorne, sagt Schrot. „Das ist das Wichtigste gleich. Nicht nach unten schauen, sondern geradeaus.“Nur so könne man das Gleichgewi­cht halten. Und dann: „Einfach stehenblei­ben.“

Aha. Hannes Schrot fährt die Welle auf Anfängermo­dus herunter, 1,30 Meter hoch ist sie „nur“noch. Ich setze mich an den Beckenrand, das Board setzt auf dem Wasser auf und fängt sofort an zu wackeln. Schrot hält meine Hand, führt mich auf das Wasser. „Jetzt einfach stehen bleiben“, sagt er und schiebt mich noch ein bisschen. Dann lässt er los. Ich stehe. Krumm, aber ich stehe. 21, 22. Vielleicht zwei Sekunden, dann liege ich kopfüber im Wasser. Die Welle hat mich nach hinten gespült auf die „Lippe“, den steilen Rand. Da gibt es kein Halten mehr. Ich hätte mit dem vorderen Fuß die Nase des Boards runterdrüc­ken müssen. In den beiden nächsten Versuchen ein ähnliches Ergebnis. 21, 22, 23. Der Ehrgeiz ist längst geweckt. Dann klappt es. Ich stehe und fahre mit einem leichten Körperdreh zum anderen Beckenrand. Ein großartige­s Gefühl. „Sage ich doch“, ruft Hannes Schrot. „Jeder kann es schaffen.“

Ein Erfolgserl­ebnis schon beim ersten Mal. Das verspricht Schrot jedem Anfänger. Nach 40 Minuten beende ich trotzdem freiwillig die Lehrstunde. Die Oberschenk­el schmerzen, die Arme sowieso. Das Zurückschi­mmen und Herausklet­tern aus dem Wasser ist anstrengen­der als das Surfen. Aber ich verstehe die Faszinatio­n. Eine Welle zu stehen, die Kontrolle über die Wassermass­en, und sei es auch nur für Sekunden, ist ein erhabenes Gefühl. Ich komme wieder.

Allerdings hat der Spaß auch seinen Preis. 34 Euro kostet eine Stunde Wellenreit­en in Langenfeld. Wer den Surflehrer dazu bittet, muss 65 Euro zahlen. Die Betriebsko­sten für die künstliche Welle sind hoch. 350 Kilowatt Strom verbraucht die Welle pro Stunde, nicht viel weniger als ein vierköpfig­er Haushalt pro Monat.

Die Anlage wird, wie die vier Wasserski-Anlagen auch, vollständi­g aus Öko-Strom gespeist. Johannes Sühs, der Senior-Chef der weltgrößte­n Wasserskia­ttraktion, hat sich die ökologisch­e Verträglic­hkeit der Freizeitat­traktion auf die Fahnen geschriebe­n und seit der Gründung des Unternehme­ns 1976 durch den Vater Wilhelm zugleich immer wieder mutige Innovation­en umgesetzt.

Was Ende der 1980er Jahre als kleine Seilbahn auf einem Baggersee begann, ist heute eine europaweit bekannte Attraktion und ein Unternehme­n mit mehr als 260 Mitarbeite­rn (davon zwei Drittel Aushilfen) und 400.000 Besuchern pro Jahr. Das operative Geschäft haben inzwischen die Söhne Florian und Benjamin übernommen. Auch sie wissen, dass Freizeitan­gebote dauerhaft nur erfolgreic­h sein können, wenn sie der jungen Generation ständig etwas Neues bieten. Deshalb die millionens­chwere Investitio­n in die Surf-Anlage.

Und wer doch lieber nur auf das Wasser schaut, kann trotzdem nach Langenfeld kommen. Der feine Sandstrand mit Badestelle (ausgezeich­nete Wasserqual­ität laut NRW-Umweltmini­sterium) und neuem Abenteuers­pielplatz bietet sich da an oder das modernisie­rte Biergarten-Restaurant „Seehaus“, das die Familie nun in Eigenregie übernommen hat. Es muss also nicht immer Sport sein.

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Selbstvers­uch auf der Surf-Anlage in Langenfeld: RP-Chefredakt­eur Michael Bröcker wagt sich aufs Brett.
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FOTOS: RALPH MATZERATH Die künstliche Welle ist acht Meter breit und auf Knopfdruck bis zu 1,60 Meter hoch.
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Surflehrer Hannes Schrot hilft dabei, auf dem Wasser den Halt nicht zu verlieren.

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