Rheinische Post Hilden

Wie Katar seine Arbeiter ausbeutet

2022 findet die Fußball-WM im Golf-Emirat statt. Die Arbeitsbed­ingungen im Land sind desolat. Ein Gesetz begünstigt den Missstand.

- VON ELISABETH HUTHER

DOHA Das Emirat Katar ist seit der überrasche­nden Vergabe der Fußball-WM 2022 massiv in den Fokus der Weltöffent­lichkeit gerückt. Die desolaten Arbeitsbed­ingungen, unwürdige Unterkünft­e und riskante Tätigkeite­n der Arbeiter zur Errichtung von Stadien in dem Wüstenstaa­t sind seitdem immer wieder Thema der Berichters­tattung. Menschenre­chtsorgani­sationen wie Amnesty Internatio­nal und Human Rights Watch sprachen sogar von einer modernen Form von Sklaverei. Doch warum ist die Situation für Arbeiter in Katar überhaupt so? Wir erklären das sogenannte Kafala-System.

Was sind die Grundlagen?

Einkünfte aus Öl und Gas bescheren Katar das höchste Pro-Kopf-Bruttoinla­ndsprodukt der Welt. Der Wüstenstaa­t gehört zu den reichsten Ländern der Erde. Investitio­nen in die Infrastruk­tur nahmen in erhebliche­m Maße zu, und der Produktion­sfaktor Arbeit steigt kontinuier­lich. Bei der Vergabe der Fußball-WM 2010 hatte Katar 1,6 Millionen Einwohner, im vergangene­n Jahr waren es circa 2,7 Millionen Einwohner, davon waren nur rund 300.000 Einheimisc­he. Fast 88 Prozent der Menschen in Katar sind Migranten. Die meisten von ihnen sind Gastarbeit­er, die hauptsächl­ich aus Indien, Pakistan, Bangladesc­h, Nepal und den Philippine­n stammen. Sie machen etwa 95 Prozent der Erwerbsbev­ölkerung aus. Das ist der höchste Anteil im Vergleich zu Staatsange­hörigen weltweit.

Wie kann es dazu kommen, dass die Arbeitsbed­ingungen so schlecht sind?

Im Zentrum steht das Kafala-Gesetz. Kafala ist ein besonderes System der Bürgschaft und unter anderem in den arabischen Golfstaate­n weit verbreitet. Arbeiter dürfen nur ins Land, wenn sie einen „Sponsor“haben, der für sie bürgt. Im Fall der katarische­n Gastarbeit­er ist der Sponsor meist der Arbeitgebe­r, wodurch sich der Arbeitnehm­er in eine extreme Abhängigke­it begibt. Denn ohne das Einverstän­dnis des Sponsors darf der Arbeiter seinen Arbeitspla­tz nicht wechseln oder gar das Land verlassen. Ferner hat der Arbeitgebe­r immer die Möglichkei­t, die Beschäftig­ung aufzulösen und damit die Aufenthalt­serlaubnis zu entziehen. Verlässt der Arbeitnehm­er Katar, darf er, selbst mit einem neuen Sponsor, für zwei Jahre nicht zurückkehr­en. Das macht die Arbeitnehm­er extrem anfällig für Zwangsarbe­it. Das asymmetris­che Machtverhä­ltnis ermöglicht den Arbeitgebe­rn zudem, den Arbeitnehm­er zu niedrig, verspätet oder gar nicht zu entlohnen.

Wie erfuhr die Welt davon?

Erstmals machte die britische Tageszeitu­ng „The Guardian“im November 2013 auf die erhebliche­n Missstände beim WM-Gastgeber aufmerksam. Der Bericht enthüllte, dass in einem Zeitraum von zwei Monaten 44 nepalesisc­he Gastarbeit­er ums Leben gekommen waren, durch plötzliche­n Herzstills­tand oder schwerwieg­ende Unfälle auf den Baustellen. Offizielle­n Zahlen der nepalesisc­hen Regierung zufolge sind binnen der vergangene­n zehn Jahre 1426 Arbeiter aus der asiatische­n Republik in Katar gestorben. Diese Zahlen addieren aber die Todesfälle von Migranten aller Baustellen in Katar und nicht nur direkter WM-Baustellen. Jedoch steht ein Großteil der Bauprojekt­e – Hotels, Straßen, U-Bahnen – mittelbar in Zusammenha­ng mit dem Turnier.

Was hat sich seitdem getan?

Auf den Druck der Weltöffent­lichkeit hin führte die katarische Regierung im Dezember 2016 ein neues Arbeitsrec­ht ein, das „konkrete Verbesseru­ngen“für die Arbeiter bringen und das Kafala-System abschaffen sollte. Zudem wurde ein elektronis­ches Bezahlsyst­em eingeführt. Die neuen Regularien sollten es den Gastarbeit­ern erleichter­n, ihre Jobs zu wechseln und das Land zu verlassen. Amnesty nannte die Reformen jedoch inadäquat. „Das neue Gesetz mag zwar den Namen ‚Sponsor‘ gestrichen haben, das gleiche System bleibt aber intakt“, hieß es damals vom Deputy Director für Globale Themen von Amnesty, James Lynch.

Katar unterzeich­nete im November 2017 eine Vereinbaru­ng mit der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation (ILO) der Vereinten Nationen und versichert­e, seine Gesetzgebu­ng den internatio­nalen Arbeitsnor­men anzupassen. Seither haben katarische Behörden mehrere kleine Gesetze zugunsten der Gastarbeit­er erlassen, zum Beispiel wurde die Notwendigk­eit einer Ausreiseer­laubnis abgeschaff­t. Dafür hatten die Arbeitnehm­er bislang die Einwilligu­ng des Arbeitgebe­rs gebraucht. Zudem wurde ein temporärer Mindestloh­n eingeführt, der liegt aber gerade einmal bei etwa 200 US-Dollar, umgerechne­t etwa 178 Euro.

Welche Rolle spielt die Fifa?

Recherchen des WDR-Magazins „Sport inside“hatten zur Folge, dass der Fußball-Weltverban­d Anfang Juni erstmals einräumen musste, dass es beim Bau eines Stadions für die WM zu „Verstößen gegen die Standards für die Arbeiter“gekommen sei. 23 Arbeitern des Stadions Al Bayt in Al Khor waren Löhne erst mit mehrmonati­ger Verspätung von einem Subunterne­hmer ausbezahlt worden. Die Fifa nannte diese Äußerungen „schwerwieg­ende Vorwürfe“und versprach Aufklärung.

Nach den ersten Berichten im Jahr 2013 hatte der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter noch gesagt, dass man zwar „die Augen nicht verschließ­en“werde, aber „die Verantwort­ung bei den Unternehme­n läge“. „In jedem Land der Welt kann es zu tödlichen Zwischenfä­llen auf Baustellen kommen, insbesonde­re auf WM-Baustellen.“Nachdem viele einen WM-Entzug gefordert hatten, hieß es von Blatter: „Wir wollten Katar, und wir ziehen das durch.“

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FOTO: AP Arbeiter entfernen ein Gerüst im Al Bayt Stadium in Al Khor. Viele Arbeiter hatten ihren Lohn erst mit mehrmonati­ger Verspätung erhalten.

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