Staub auf Deutschlands Geschichte
Merkel würdigt das Haus der Geschichte in Bonn. In Berlin fällt der museale Blick auf die Republik dürftig aus.
BERLIN/BONN Ein Vierteljahrhundert ist seit der Eröffnung des Hauses der Geschichte in Bonn vergangen. Die Zeit ist am Rhein gut genutzt worden, um 70 Jahre Bundesrepublik mit ihren Herausforderungen und Aufbrüchen, Ermutigungen und Ernüchterungen spannend zu erzählen. Mehrfach wurde in Bonn der museale Blick auf die Republik modernisiert. Dagegen ist im eigentlich imposanten Gegenstück in Berlin die Zeit stehengeblieben. Ausgerechnet in der quirligen Metropole, die am treffendsten mit dem Bild beschrieben wird, dass sie nie sei, sondern immer werde, ist nichts mit Werden. Im Deutschen Historischen Museum (DHM) liegt eine imaginäre Staubschicht auf dem Bild von Deutschland.
In Berlin steht Kanzler Kohls Aktentasche, in Bonnn Adenauers Limousine
Es gibt im DHM hinreißende Sonderausstellungen, die zu Recht Hunderttausende Besucher in den Bann ziehen, es laufen hochinteressante Projekte wie das Demokratie-Labor, und auch die ständige Ausstellung beginnt im Obergeschoss bereits mit einer beeindruckenden Riesendarstellung Europas und der über die Jahrhunderte immer wieder verschobenen Grenzen „Deutschlands“. So großartig die Grundlegung der Historie vor 1945 gelungen ist, so renovierungsbedürftig ist die Präsentation der Bundesrepublik.
Helmut Kohl kommt das große Verdienst zu, die Geschichtsdarstellung, die im föderalistischen System vor allem den Ländern obliegt, mit dem Haus der Geschichte und dem Deutschen Historischen Museum auf die Bundesebene geholt zu haben. Merkels Vor-Vorgänger stand hinter beiden Neugründungen. Das DHM ging 1987 an den Start, das Haus der Geschichte 1994. Es ist ein origineller Zufall, dass die Entwicklung der in Berlin präsentierten Bundesrepublik just in jenem Jahr 1994 endet, in dem das Haus der Geschichte Fahrt aufnahm.
Das ist umso befremdlicher, als die DDR-Zeiten vom Haus der Geschichte nicht nur in Bonn, sondern auch in Leipzig sowie in der Kulturbrauerei und im Tränenpalast in Berlin sehr lebendig gehalten werden. Doch die Millionen Berlin-Touristen, die Deutschland in ihrer Hauptstadt erleben und hier vielleicht auch ein wenig erfahren wollen, warum denn diese Republik so viel stabiler ist als alle ihre Vorgängerinnen, bleiben auf die Zeit „von Mittelalter bis Mauerfall“beschränkt. Das ist eine hübsche Alliteration, aber es kann Deutschland heute nicht erklären.
Wie nötig das ist, hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erlebt, als ihr falsche Traditionspflege fast um die Ohren geflogen wäre. Sie renovierte den Traditionserlass, der nun im Kern auf die Botschaft hinausläuft: Wir brauchen keinen Blick auf Reichswehr und Wehrmacht, denn die Bundeswehr hat genügend eigene Geschichte. Die Bundesrepublik ist sechs Jahre älter als ihre Bundeswehr. Deshalb wäre es im 70. Jahr ihres Bestehens überragend wichtig, nicht nur den Touristen, sondern auch der jungen Generation anschauliche Antworten BERLIN (kna) Nach den heftigen Debatten der letzten Tage ist der Direktor der Stiftung Jüdisches Museum Berlin ( JMB), Peter Schäfer, von seinem Amt zurückgetreten. Er habe am Freitag der Vorsitzenden des Stiftungsrats, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) seinen Rücktritt angeboten, um weiteren Schaden vom Jüdischen Museum Berlin abzuwenden, teilte das Museum mit. Grütters habe den Rücktritt angenommen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte in den letzten Tagen scharf kritisiert, dass das Museum per Internet eine Leseempfehlung für einen Zeitungsartikel über Wissenschaftler gegeben hatte, die den Beschluss des Bundestags gegen die BDS-Bewegung verurteilen. Die Bewegung ruft unter anderem zum Boykott israelischer Waren auf. Der Zentralrat stellte infrage, ob die Bezeichnung „jüdisch“für das Museum noch angemessen sei. Überdies hatte der Rat Vorbehalte gegen eine Jerusalem-Ausstellung des Museums vorgebracht. Schäfer hatte betont, er bedauere den Anlass der Kritik „außerordentlich“. Das Museum habe nie die Aufgabe gehabt, „in politischen Tagesfragen Partei zu sein und Stellung zu nehmen“. Der Tweet zu BDS sei als Hinweis auf einen Diskussionsbeitrag gemeint gewesen. zu dem zu geben, was war. Damit sie besser einordnen können, was ist. Und deshalb klarer sehen, was werden soll.
Diese klassische Aufgabe von Museen erledigt das Haus der Geschichte vorbildlich. Vor nicht einmal zwei Jahren ist die Dauerausstellung zuletzt gründlich überarbeitet worden, hat inzwischen auch die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer aufgenommen. Dagegen endet die Bundesrepublik in Berlin mit dem Abzug der Alliierten aus Berlin. Wer sich in den kleinteiligen, nur sehr sachte geordneten Darstellungen nicht verirrt, kann durchaus gute Ansätze erkennen. Mit Exponaten, die in den Mittelpunkt der nachkriegsgeschichtlichen Entwicklung gerieten. So etwa der Kinderwagen, mit dem die RAF-Terroristen im Frühherbst 1977 die Wagenkolonne von Arbeitgeberpräsident Schleyer stoppten. Oder der selbst bemalte grüne Ansteckbutton mit den Worten „Alternative: Die Grünen“aus dem Gründungsjahr 1980. Auch wenn ein aufwärts fahrender Trabant und ein stärker aufwärts fahrender Käfer die deutsch-deutsche Parallelentwicklung in Berlin nett illustrieren, sind die Unterschiede zu Bonn doch deutlich. In Berlin steht Kanzler Kohls Aktentasche, in Bonn Adenauers Limousine. In Berlin hängt eine lila Latzhose, in Bonn steht ein bunter Hippie-Bulli.
Hinter den Kulissen tut sich was. So hat der frühere Fernsehjournalist Ulrich Deppendorf, jetzt Chef des tausend Mitglieder starken DHM-Museumsvereins, mit seinen NRW-Kontakten dafür gesorgt, dass bei der Stilllegung der letzten Kohlezeche Exponate für Bonn wie für Berlin gesichert wurden. „Ein bissken Ruhrgebiet für Berlin“, sagt Deppendorf. Auch ihm ist klar, dass das DHM „noch weiter fit gemacht werden muss“.
Deutschland scheint in tiefgreifenden Umwälzungen zu stecken. Umso dringlicher ist, dass seine Museen ihren Beitrag zur besseren Verortung leisten. Der Staub im Berliner DHM gehört weggepustet.
Direktor des Jüdischen Museums zurückgetreten