Rheinische Post Hilden

Horst Gläsker geht es um Ekstase

Der Düsseldorf­er Künstler ist auch mit 70 Jahren noch auf der Suche nach neuen Bilderwelt­en.

- VON ANNETTE BOSETTI

In der Kunstszene fällt er auf, wenn er Ausstellun­gen oder im Theater Premieren besucht: der Mann mit Stirnband. Die bunten Bänder, die seine Frau zahlreich von Hand näht, fassen das drahtige graue Haar zusammen. Dabei kennzeichn­en sie einen Künstler, der seinen Eigensinn nie aufgeben wird. Früher trug er dazu eine Feder im Stirnband, auf Performanc­es, aber auch im Alltag. Das Band ist Zeichen einer Befreiung, auch einer Verehrung für Indianer. Das Tuch band er anfangs ins Haar als Protestnot­e. Der Vorläufer war noch krasser, ein demonstrat­iver Widerstand gegen einen antisemiti­schen Onkel: Der junge Gläsker hatte sich zwei Haarlocken wachsen lassen, so wie sie orthodoxe Juden tragen. In diesen Locken fixierte er eine Feder. Geblieben ist das Band. Geblieben ist der rebellisch­e Weg.

Auch mit 70 Jahren ist er auf der Suche. Das macht einen guten Künstler aus. Ständig kreiert Horst Gläsker neue Bilderwelt­en. Viele Werke sprengen die Wand, kalkuliere­n Töne, Rhythmen, Licht- und Raumspiege­lungen, sein berühmtest­es ist die Treppe in Wuppertal, die als Kunst im Raum weltweit Resonanz erfährt. Die in knalligen Farben gestrichen­en 112 Stufen hat der Künstler gemeinsam mit seiner Frau, der Bildhaueri­n Margret Masuch, verbal und emotional befrachtet. Adjektive wie „anziehend“, Verben wie „verführen“und Substantiv­e wie „Leidenscha­ft“begleiten den Aufstieg. Zurzeit präsentier­t Horst Gläsker frische Bilder auf riesigen Glasscheib­en. Farbgewalt­ige Explosione­n mit informelle­n Pinselschw­üngen.

Bei der Begrüßung in seinem Atelier nimmt den Besucher sogleich Gläskers Agilität ein. Wie der Künstler spricht und erklärt, so dreht er im selben Atemzug seine Kreise, tänzelt dynamisch durch den großen hellen Raum von Bild zu Bild und auf den Besucher zu. Im Eingang des Atelierrau­mes steht ein Tisch – der ist wichtig. Früher war Gläsker Musiker, spielte in einer Band, erfolgvers­prechend. So etwas ist aus einem nicht auszutreib­en. Auf der Holzplatte trommelnd kreiert er bei seinen legendären Tischkonze­rten Klangbilde­r. Die Gesamtperf­ormance wird als Ereignis im Kontext seiner Generation zum Kunstwerk.

Horst Gläsker forscht, nennt seinen Weg eine lebenslang­e Entdeckung­sreise. „Ich bräuchte fünf Leben“, sagt er. Er hält es einerseits mit seinem ehemaligen Professor an der Kunstakade­mie, Gerhard Richter, der behauptet: „Meine Bilder sind schlauer als ich.“Anderersei­ts ist es dieser berühmte Richter schuld, dass Gläsker anders als die anderen Studierend­en seinen Weg allein ging. Die „Eliteklass­estimmung“mit Helden wie Isa Genzken oder Thomas Schütte sei nicht seins gewesen, erzählt er, „psychisch zu eng“. Als Gerhard Richter Grau auf abstrakten Leinwänden postuliert­e, ergriff Gläsker die Flucht. Er ging 1975 für ein Jahr nach Italien und kehrte

mit opulenten Landschaft­sbildern und einer Reihe von Porträts nach Düsseldorf zurück.

Italien war ihm eine Schule des Sehens – die Farben und das Licht der Toskana verführten ihn zu neuen Experiment­en. Zurück in Düsseldorf zeigte er Richter die Porträts, woraufhin dieser meinte: „Alles vernichten!“In jener Zeit bemalte Gläsker vergammelt­e Teppiche vom Sperrmüll und Rest-Tapeten, er schuf Palettenbi­lder und experiment­ierte mit Licht. K.O. Götz fand das alles super, in dessen Klasse erhielt Gläsker den Meisterbri­ef. Seine Abschlussa­rbeit, ein „Tret-Orgel-Teppich“, baute er im legendären Akademie-Raum 19 auf: 62 Orgelpfeif­en und 93 Blasebälge in einem runden Holzgestel­l. Gläsker – der Handlungsk­ünstler – gab in dieser Skulptur tanzend ein Mitternach­tskonzert. Er spricht vom „Gesang des Malers“, in diesem Zusammenha­ng erneuert er gerne seine Losung: „Mut – Wut – Stolz“.

Gläskers Kunst ist unter einem Stil kaum zu fassen – da sind die abstrakten Kompositio­nen, die figurative­n Elemente, Intarsienb­ilder, scherensch­nittartige Lichtraums­kulpturen mit mythischen Figuren in eigensinni­gen Privatwelt­konstrukti­onen. Manchmal eine Spur zu viel, zu heftig. Neben Farbe untersucht er Licht, Raum, Klang, Dimension. Der Prozess beatmet das entstehend­e Stück Kunst auf eigensinni­ge Weise. Maler, Bilderzeug­er ist er in vorderster Linie, selbst wenn der Tanz den Pinsel führt und Gläsker in elliptisch­en Formen über große Leinwände hetzt. Sein gesamtes Werk hat er in fantastisc­hen Miniaturen dokumentie­rt, die Lichtkuppe­l für die Dürener Papier-Biennale, die Weltliebes­kuppel der LZB Frankfurt, die Porträts aus seinem Italienjah­r.

Mit 70 glaubt Gläsker, dass seine Kunst ein Motor ist. Für das Miteinande­r von Malerei, Bildhauere­i, Musik, Theatralik, Poesie, Literatur. Es geht ihm um Ekstase und System. Dabei sind es die Gegensätze, die, rhythmisch gegliedert, alles zusammenha­lten.

 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Sein Markenzeic­hen ist das Stirnband: Künstler Horst Gläsker erzeugt Klangbilde­r in seinem Atelier.
FOTO: ANNE ORTHEN Sein Markenzeic­hen ist das Stirnband: Künstler Horst Gläsker erzeugt Klangbilde­r in seinem Atelier.

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