Als der Wagen nicht kam
In seinem Abschiedsbrief sagte Moltke u. a. über die Verhandlung: „Letzten Endes entspricht diese Zuspitzung auf das kirchliche Gebiet dem inneren Sachverhalt und zeigt, dass Freisler eben doch ein guter politischer Richter ist. Das hat den ungeheuren Vorteil, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a) getan haben und b) sich lohnt. Und dann bleibt übrig ein Gedanke: Somit kann im Chaos das Christentum ein Rettungsanker sein. Dieser eine einzige Gedanke fordert morgen wahrscheinlich 5 Köpfe, später noch den von Steltzer, Haubach und wohl auch Husen.“Eine überzeugendere Darlegung des Kreisauer Grundgedankens im Angesicht des Todes kann es wohl nicht geben. Ebenso hat Yorck vor Freisler sich zu diesem christlichen Beweggrund bekannt.
Die Annahme dieser christlichen Grundlage für das gesamte öffentliche Leben – was die Gegner Verquickung
von Religion und Politik nennen – war eine Tat, die für Protestanten ein schwerer und mutiger Schritt war. Bei ihnen sind diese in der konstanten katholischen Soziallehre feststehenden Dinge vielfach kontrovers. Das zeigt sich selbst heute noch im Ringen der evangelischen Kirchentage und Synoden über diese Fragen sowie innerhalb der Christlich-Demokratischen Union. Für unsere sozialdemokratischen Freunde aber war die Annahme dieses Grundgedankens ein großer staatsmännischer Entschluss. Geistesgeschichtlich bedeutete es das Abrücken von der mechanistischen Geschichtsauffassung des Marxismus, das bei der heutigen Sozialdemokratischen Partei seine Folgen zu zeigen beginnt. Im Hinblick auf die sozialdemokratische Ideologie und „antiklerikale „ Politik vor 1933 war es ein geschichtsträchtiges Handeln, ohne das die heutige grundsätzliche und nicht nur taktische Kampfstellung der Sozialdemokratischen Partei gegenüber dem Kommunismus nicht möglich geworden wäre. Die Haltung unserer sozialdemokratischen Freunde bedeutete aber nicht nur eine Verneinung des Marxismus, denn es wurde ein „Ja“damit ausgesprochen von Leuten, die ich nicht alle als christlich oder gar kirchlich ansprechen möchte. Sie hatten die Überzeugung gewonnen, dass aus dem Elend und Schmutz der Hitlerzeit das deutsche Volk nur gesunden und wieder rein werden könne, wenn es zu der Ordnung zurückkehrte, in der es gewachsen war und die sich im Chaos einzig als bestandfest erwiesen hatte. Leber hat mir einmal gesagt: „Ich bin katholisch getauft und erzogen. Aus der Kirche bin ich nicht ausgetreten wie früher so viele führende Sozialdemokraten, weil ich das nicht aus politischen Gründen tun wollte, ich habe aber nichts mehr mit der Kirche zu tun. Ich begleite oft Frau und Kinder zur Kirchentür und vielleicht werde ich selber auch einmal wieder durch sie eintreten.“
Diese Basis konnte von allen angenommen werden ohne Verletzung anderer Überzeugungen, aus dem Wissen heraus, dass für den Christen der Gewissensentscheid und die Liebe die bestimmenden Faktoren sind. Diese aber umfasst auch die Schwäche und den Irrtum der Menschen. Die Grundlegung der christlichen Wertordnung beinhaltet mehr als die heute weit verbreitete Formulierung von der Wahrung des christlichen oder abendländischen Ahnenerbes, weil es sich um die ganzheitliche Verwirklichung der Werte handeln sollte. Auch die heutige Christlich-Demokratische Union hat nicht die absolute Kreisauer Fundierung übernommen.