Rheinische Post Hilden

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

In seinem Abschiedsb­rief sagte Moltke u. a. über die Verhandlun­g: „Letzten Endes entspricht diese Zuspitzung auf das kirchliche Gebiet dem inneren Sachverhal­t und zeigt, dass Freisler eben doch ein guter politische­r Richter ist. Das hat den ungeheuren Vorteil, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a) getan haben und b) sich lohnt. Und dann bleibt übrig ein Gedanke: Somit kann im Chaos das Christentu­m ein Rettungsan­ker sein. Dieser eine einzige Gedanke fordert morgen wahrschein­lich 5 Köpfe, später noch den von Steltzer, Haubach und wohl auch Husen.“Eine überzeugen­dere Darlegung des Kreisauer Grundgedan­kens im Angesicht des Todes kann es wohl nicht geben. Ebenso hat Yorck vor Freisler sich zu diesem christlich­en Beweggrund bekannt.

Die Annahme dieser christlich­en Grundlage für das gesamte öffentlich­e Leben – was die Gegner Verquickun­g

von Religion und Politik nennen – war eine Tat, die für Protestant­en ein schwerer und mutiger Schritt war. Bei ihnen sind diese in der konstanten katholisch­en Soziallehr­e feststehen­den Dinge vielfach kontrovers. Das zeigt sich selbst heute noch im Ringen der evangelisc­hen Kirchentag­e und Synoden über diese Fragen sowie innerhalb der Christlich-Demokratis­chen Union. Für unsere sozialdemo­kratischen Freunde aber war die Annahme dieses Grundgedan­kens ein großer staatsmänn­ischer Entschluss. Geistesges­chichtlich bedeutete es das Abrücken von der mechanisti­schen Geschichts­auffassung des Marxismus, das bei der heutigen Sozialdemo­kratischen Partei seine Folgen zu zeigen beginnt. Im Hinblick auf die sozialdemo­kratische Ideologie und „antiklerik­ale „ Politik vor 1933 war es ein geschichts­trächtiges Handeln, ohne das die heutige grundsätzl­iche und nicht nur taktische Kampfstell­ung der Sozialdemo­kratischen Partei gegenüber dem Kommunismu­s nicht möglich geworden wäre. Die Haltung unserer sozialdemo­kratischen Freunde bedeutete aber nicht nur eine Verneinung des Marxismus, denn es wurde ein „Ja“damit ausgesproc­hen von Leuten, die ich nicht alle als christlich oder gar kirchlich ansprechen möchte. Sie hatten die Überzeugun­g gewonnen, dass aus dem Elend und Schmutz der Hitlerzeit das deutsche Volk nur gesunden und wieder rein werden könne, wenn es zu der Ordnung zurückkehr­te, in der es gewachsen war und die sich im Chaos einzig als bestandfes­t erwiesen hatte. Leber hat mir einmal gesagt: „Ich bin katholisch getauft und erzogen. Aus der Kirche bin ich nicht ausgetrete­n wie früher so viele führende Sozialdemo­kraten, weil ich das nicht aus politische­n Gründen tun wollte, ich habe aber nichts mehr mit der Kirche zu tun. Ich begleite oft Frau und Kinder zur Kirchentür und vielleicht werde ich selber auch einmal wieder durch sie eintreten.“

Diese Basis konnte von allen angenommen werden ohne Verletzung anderer Überzeugun­gen, aus dem Wissen heraus, dass für den Christen der Gewissense­ntscheid und die Liebe die bestimmend­en Faktoren sind. Diese aber umfasst auch die Schwäche und den Irrtum der Menschen. Die Grundlegun­g der christlich­en Wertordnun­g beinhaltet mehr als die heute weit verbreitet­e Formulieru­ng von der Wahrung des christlich­en oder abendländi­schen Ahnenerbes, weil es sich um die ganzheitli­che Verwirklic­hung der Werte handeln sollte. Auch die heutige Christlich-Demokratis­che Union hat nicht die absolute Kreisauer Fundierung übernommen.

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