Aktivistin aus dem Hause Adenauer
Bei der Feier zur Diamantenen Hochzeit ihrer Großeltern hat Tabea Angela Merkel getroffen. Die Kanzlerin eröffnete dort, auf dem Petersberg in Königswinter, den Klimadialog. Und kam zu Tabeas Großmutter, um sie zu grüßen. Die siebenjährige Tabea war neugierig und hat ihre Eltern gefragt, woher die
Großmutter die Kanzlerin kennt. „Sie haben mir erklärt, dass Uropa in der Politik war und viel für unser Land getan hat.“
So in etwa kann man es formulieren. Man könnte aber auch sagen: Er hat eine Ära geprägt. Tabea Werhahn, 16 Jahre alt, Zahnspange und schulterlanges blondes Haar, sitzt in einem Café im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel und streift sich einen blauen Pulli mit goldenen EU-Sternen über – so wie ihn die SPD-Politikerin Katarina Barley auf ihren Wahlplakaten trug. Die Familiengeschichte sieht man Menschen nicht an, und niemand, der Tabea trifft, würde ahnen, dass sie die Urenkelin Konrad Adenauers ist, des ersten Bundeskanzlers und Gründungsvaters der CDU.
Wie ist das, wenn Straßen, Brücken, Plätze, Stiftungen, sogar ein Flughafen nach dem eigenen Uropa benannt sind? „Mit seinen Verdiensten hab ich mich nie wirklich beschäftigt“, sagt Tabea. „Das ist mir alles zu weit weg.“Vielmehr interessiert sie die aktuelle Politik in Bezug auf das Klima. Spätestens jetzt wird klar: Auch Tabea ist politisch. Sie ist eine, die freitags mit der Bewegung „Fridays for Future“für mehr Klimaschutz streikt.
Drei Generationen Abstand, zwei Missionen: Konrad Adenauer hat aus dem labilen Nachkriegsdeutschland eine starke europäische Volkswirtschaft gemacht. Westintegration, Wiederbewaffnung und soziale Marktwirtschaft waren seine Themen. Als Mitbegründer der Montanunion schuf er einen gemeinsamen europäischen Markt für Kohle und Stahl – und förderte damit auch die Produktion in der Ruhrregion.
Tabea hingegen schwänzt freitags die Schule – auch weil ihr der Kohleausstieg nicht schnell genug erfolgt. „So wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter“, sagt sie. Die größte Krise der Menschheit könne nicht von Einzelnen gelöst werden – ein Systemwandel müsse her.
Der Bundeskanzler und die Aktivistin. Zu Recht könnte man behaupten: Dazwischen liegen 70 Jahre, jede Zeit hat ihre Themen. Und jedes Thema seinen Kampf. Doch so einfach ist es nicht: Denn Tabea kämpft eigentlich auf zwei Seiten, weil sie zwischen der Bewegung und ihrer Familie steht.
Konrad Adenauer hatte aus zwei Ehen acht Kinder: 24 Enkel und 51 Urenkel sind gefolgt. An Weihnachten kommt die Großfamilie zusammen, im Wohnhaus des Altkanzlers in Rhöndorf bei Bonn. Das ist seit 1967 eigentlich ein Museum, aber es gibt eine Abmachung: Solange noch Kinder von ihm leben, darf die Familie sich dort treffen. Das hatte sich „der Alte“so gewünscht.
Adenauers Nachkommen haben die Werte und den politischen Katholizismus des CDU-Gründungsvaters bewahrt: Als Parteichef und Bundeskanzler hatte er die Partei zur stärksten Kraft im Land gemacht – und die Traditionspartei SPD überholt. Seine jüngste Tochter, Tabeas Großmutter Libet, saß jahrelang für die CDU im Neusser Stadtrat. Auch einige seiner Enkel gingen als Christdemokraten in die Kommunalpolitik. Viele Familienmitglieder sind wie Adenauer Juristen, arbeiten als Rechtsanwalt oder Notar.
Onkel Stephan Werhahn wiederum hat die CDU schon zweimal verlassen und sich den Liberalen zugewandt. Auch die gehören zu Tabeas Familie: Großmutter Libet, die ihren Vater häufig zu offiziellen Anlässen begleitete, hat Hermann Josef Werhahn geheiratet, einen Sohn der reichen Neusser Unternehmerfamilie Werhahn. Er saß unter anderem im Kontrollgremium von RWE. Viele Werhahns sind heute Unternehmer in der freien Wirtschaft.
Das Gefühl, belächelt zu werden – „Fridays for Future“-Aktivisten kennen das gut. Tabea kennt es wahrscheinlich noch besser. „Es gibt schon viele Punkte, über die ich mit meinen Verwandten nicht mehr rede“, sagt sie. „Ich habe das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Die denken, ich bin zu idealistisch.“Wie ihr Onkel aus Köln, Konrad Adenauer junior, der sich häufig in der Presse äußert. Vor Kurzem hat er sich im „Express“über Greta Thunberg echauffiert: Die Aufregung um die Klimakrise grenze an „Massenhysterie“, schrieb er, sämtliche klimaschonenden Anstrengungen seien „jeck“. Man suche sich ja nicht aus, wo man reingeboren wird, sagt Tabea. Und fügt hinzu, wie sehr sie ihre Familie liebt. „Die wollen mir nichts Böses und haben zum Teil einfach nur eine andere Meinung.“
Dass ihre Verwandten sie nicht ernst nehmen, ist für sie nur ein Teil des Problems. „Viele denken, dass „Fridays for Future“-Aktivisten linke Bio-Kinder sind“, sagt sie. Dabei sei sie selbst der Beweis, dass das nicht stimmt. „Ich komme aus einer teilweise ziemlich konservativen Familie. Und trotzdem ist mir das Thema so wichtig.“Und doch: Vor ihren Mitstreitern in der Bewegung hält sie sich aus Angst vor Vorurteilen mit der Familiengeschichte bedeckt.
Und es gibt auch etwas, das sie an den Klimademos stört: Der AntiCDU-Geist zum Beispiel, oder wenn jemand „Anti-Kapitalismus“ruft. Sie habe dann den Impuls, solche Parolen zu übertönen. Die Klimabewegung legt wert darauf, politisch unabhängig zu sein, „anti-kapitalistisch“sei sie deshalb gerade nicht. „Politik ist für mich immer nur das kleinste Übel“, sagt Tabea. Sie hält es für gefährlich, eine Partei aus Prinzip abzulehnen. Deswegen habe sie auch kein Problem mit der CDU an sich. Sie würde sie eben nur nicht wählen, weil diese nicht genug für das Klima unternehme. So richtig kann sich Tabea mit keiner Partei identifizieren, vielmehr ist es ihr ein Anliegen, zwischen unterschiedlichen Meinungen zu vermitteln. Sie könnte sich vorstellen, Diplomatin zu werden.
Geprägt hat Tabea auch ein Praktikum im NRW-Landtag. Gerne hätte sie das bei den Grünen gemacht, aber die Stelle war belegt. Am Ende fand sie sich in der CDU-Fraktion wieder. Und musste feststellen: „Ein großer Teil der Sitzungen bestand darin, sich über die Grünen zu amüsieren.“Dieses Gegenhalten, rein aus Tradition, habe sie jedenfalls so sehr gestört, dass sie versucht gewesen sei, ins Mikro zu sprechen, sagt sie. Hat sie dann aber nicht gemacht. Nur einmal kurz hat sie sich per Mikro bedankt – weil Ministerpräsident Armin Laschet ihr sein Beileid aussprach, als im Februar ihre Großmutter starb. Ihr, der Urenkelin „auf den Spuren Konrad Adenauers“, wie ein Online-Beitrag über das Praktikum später getitelt hat.