Rheinische Post Hilden

Kanadas gefährlich­stes Bergwerk

Bis vor sieben Jahren wurde in Québec noch Asbest abgebaut. Jetzt wollen Firmen aus dem Abraumhald­en Magnesium gewinnen.

- VON UTA-CAECILIA NABERT

THETFORD MINES „Das ist nicht Tschernoby­l hier“, sagt Nicolas Lambert und lächelt. Er ist im kanadische­n Thetford Mines aufgewachs­en, einer von zwei Städten, in der bis 2012 noch Asbest abgebaut wurde. Der 19-Jährige, der am Wochenende durch das Bergbaumus­eum in Thetford Mines führt, versteht die ganze Aufregung nicht. „Wenn Asbest so schlimm wäre, dann wären wir hier alle doch schon längst tot. Oder mindestens schwer krank.“Jérôme Turcotte sieht das ähnlich. „In unserer Jugend sind wir immer Motocrossr­ennen in der Abraumhald­e gefahren. Wir leben noch.“Als Krankenpfl­eger arbeitet der 27-Jährige im städtische­n Hospital. „Besonders viele Lungenkran­ke haben wir nicht. Und wenn, dann sind das oft Raucher.“

„Sicher“, gibt Nicolas zu. „In den Anfangszei­ten des Minenabbau­s waren die Menschen dem Staub massiv ausgesetzt.“Die Arbeiter in der Asbestmühl­e hätten die Hand vor Augen nicht gesehen. In diesen Zeiten sei es sicherlich gefährlich gewesen, in der Branche zu arbeiten. Aber ob das am Asbest liege? „Staub, in großen Mengen eingeatmet, ist immer schädlich für die Lunge“, sagt der junge Museumsfüh­rer. „Zu viel davon kann sie eben nicht abbauen. Der Staub von Quarzfaser und Fiberglas verursacht übrigens genau die gleichen Symptome wie Asbest“, ist er überzeugt.

Die jungen Männer stehen für die meisten Menschen in der Region und ihre absolute Gelassenhe­it dem weißen Werkstoff gegenüber. Die Faser gehört zu ihrem Leben, ist wichtiger Teil der Geschichte ihrer Familien, ihrer Heimat. Mehr als 100 Jahre lang waren die Minen in den Ortschafte­n Thetford Mines und Asbestos die größten Arbeitgebe­r, die Jeffrey Mine war einst die größte der Welt. In Bestzeiten deckte sie 40 Prozent des weltweiten Bedarfs ab. Die Menschen, die in der Branche arbeiteten, konnten ihre Familien ernähren, den Leuten ging es richtig gut. Ein Haus, alle zwei Jahre ein neues Auto, die Studiengeb­ühren für die Kinder – das war durchaus drin.

Doch dann kam es 1975 zum großen Streik der Minenarbei­ter. „Wissenscha­ftler hatten Studien veröffentl­icht, in denen stand, wie gefährlich Asbest ist“, erklärt Nicolas. Fünf Monate lang hätten die Angestellt­en damals die Arbeit niedergele­gt. Sie hätten bessere Arbeitsbed­ingungen gefordert.

Eine Grafik an der Wand des Museums zeigt, dass die Produktion der Minen in diesem Jahr massiv einbrach. „Um die Arbeiter zu besänftige­n, hat man die Bedingunge­n verbessert.“Der Student deutet auf einen weißen Schlauch, der von der Decke hängt, eine Art Riesenstau­bsauger. „Der gehörte auch zu den Maßnahmen, mit ihm wurden seit dem Streik permanent die Asbestpart­ikel aus der Luft gesaugt.“Auch die Produktion­sprozesse seien damals umgestellt worden: „Was früher von Hand erledigt wurde, geschah seitdem automatisc­h im Inneren von Maschinen.“

Doch 1975 war nicht nur das Jahr, in dem sich die Bedingunge­n für die Minenarbei­ter verbessert­en. Es markierte zugleich das Ende der staubigen Industrie. „Sie wurde zu einem langsam absterbend­en Industriez­weig“, sagt Nicolas. „Nach Veröffentl­ichung der Studien sank weltweit die Nachfrage nach Asbest.“Seit 1995 etwa ist das Material in Deutschlan­d verboten, seit 2005 in der EU.

Thetford Mines, dessen Existenz einst auf diesem Wirtschaft­szweig aufbaute, hatte in den vergangene­n Jahrzehnte­n genug Zeit, nach neuen Einkommens­quellen zu suchen. Heute sind ein großes Krankenhau­s sowie ein Bildungsze­ntrum für angehende Studenten die Haupteinko­mmensquell­en. Und da wäre noch der Tourismus: Das 26.000-Einwohner-Städtchen ist umgeben von Skigebiete­n und Wäldern. Ein hübscher Ort, umgeben von üppiger Natur. Doch mittendrin: die Mondlandsc­haft der ehemaligen Minen, die Nicolas zufolge Menschen aus aller Welt anzieht. „Sie kommen hierher, um sich Krater und Halden anzuschaue­n.“Aus dem Tourbus aussteigen dürften die Besucher allerdings nicht mehr. Auf die Frage nach dem „Warum“zögert er ein wenig. „Nun, manche der Gebäude der alten Mine sind mittlerwei­le einsturzge­fährdet.“Außerdem hätte die Behörden angeordnet, dass die Touristen das Gebiet nicht betreten dürfen.

Hinter diesem Verbot steckt Philippe Lessard, einer der verantwort­lichen Regionaldi­rektoren für Gesundheit­swesen in Québec. Und diese Maßnahme hätte ihn fast das Amt gekostet. Der amtierende Bürgermeis­ter von Thetford Mines, Marc-Alexandre Brousseau, forderte damals deswegen seinen Rücktritt. Wie Nicolas kann er nicht verstehen, dass sein Städtchen wegen des Asbests permanent angegriffe­n wird. In einem Interview mit der „Montréal Gazette“sagte er: „Menschen, die hierher kommen, müssen sich dessen bewusst sein, dass es hier bis heute von Asbestfase­rn nur so wimmelt. Sie sind überall – unter den Autoreifen, auf unseren Auffahrten, in unseren Terrassen. Mein Sandkasten war voll davon; wir leben damit!“

Dennoch beobachtet Brousseaus Gegenspiel­er Lessard die Minen bis heute kritisch – und vor allem die jüngsten Pläne einiger Firmen, aus den Asbesthald­en Magnesium zu gewinnen. Eine dieser Firmen ist die Alliance Magnesium Incorporat­ed (AMI). Ihr Plan: Die sandartige­n Halden nach und nach abbauen und mit Hilfe von Elektrolys­e und Hydrometal­lurgie, also der Metallgewi­nnung aus Metallsalz­lösungen, Magnesium gewinnen. Der „Montréal Gazette“gegenüber beschrieb AMI-Gründer Joël Fournier den Prozess: „Der Abraum wird in Säure aufgelöst, und im Übrigen auch die darin noch enthaltene­n Asbestfase­rn.“Außerdem entstehe bei dieser Methode amorphe Kieselerde, die sich an die Bauindustr­ie verkaufen ließe, als Stabilisat­or für Beton. Der gesamte Prozess sei nahezu abfallfrei.

Es ist dem Unternehme­n wichtig zu betonen, wie umweltfreu­ndlich es sei: „Wir beseitigen die Halden und extrahiere­n ein Metall, das hilft, die Treibhausg­ase zu reduzieren“, sagt Fournier. Was er damit meint, ist die Tatsache, dass die Automobili­ndustrie der Zukunft verstärkt Magnesium einsetzen wird, um leichte Modelle zu bauen, die weniger Kraftstoff verbrauche­n. Auf ihrer Firmen-Website weist AMI etwa darauf hin, dass alleine die US-amerikanis­che Automobili­ndustrie bis 2020 die Komponente­n Stahl und Aluminium zu einem großen Teil durch den Werkstoff Magnesium ersetzen wird. Verschärft­e Richtlinie­n zur Reduktion von Treibhausg­asemission­en machten dies notwendig.

Dabei sieht sich AMI als Magnesiuml­ieferant, der in der Zukunft durchaus mit den großen Anbietern aus China konkurrier­en könne. Zum einen nutzt das Unternehme­n eigenen Angaben zufolge eine neuere und effiziente­re Technologi­e als die Chinesen. Zum anderen profitiert es vom Stromüberf­luss Québecs, der noch dazu aus Wasserkraf­t gewonnen wird – Ökostrom also.

Doch Leute wie Lessard oder auch der Toxikologe Daniel Green sehen die Tatsache, dass die Halden erneut angefasst werden, kritisch. Mittlerwei­le hat sich der „Montréal Gazette“zufolge auf den rund 800 Millionen Tonnen Abraumhald­e in Québec eine Kruste gebildet. Nur bei Sturm oder wenn Jugendlich­e mit ihren Motorräder­n im Gebiet unterwegs seien, werde mitunter Staub aufgewirbe­lt. Wie viel Asbest darin noch enthalten ist, darüber sind sich die Experten uneinig. Im vergangene­n Jahr hat Toxikologe Daniel Green im weißen Schutzanzu­g den Halden der Jeffrey Mine Proben entnommen. Er kam zu dem Ergebnis, dass ihr Asbestante­il noch bei 20 bis 25 Prozent liegt. Das Umweltress­ort der Provinz Québec hat teils sogar höhere Werte ermittelt: In einer Studie ist von einem noch vorhandene­n Asbestante­il zwischen einem und 40 Prozent die Rede – je nachdem, wo gemessen wurde. Doch AMI bezweifelt die Richtigkei­t dieser Angaben. So sagte Joël Fournier: „40 Prozent ist noch nicht mal im Ursprungsg­estein vorgekomme­n, das ist unmöglich.” Dennoch verspricht der Elektroche­miker, man werde beim Abtragen der Halden Wasserstra­hler einsetzen, um das Staubaufko­mmen zu reduzieren.

In diesem Zusammenha­ng weist Philippe Lessard darauf hin, dass man nicht nur an die Gesundheit der Arbeiter denken dürfe, sondern auch an die der Anwohner. „Ich bin nicht grundsätzl­ich gegen die Gewinnung des Magnesiums“, betont er. „Wichtig ist aber, dass die Unternehme­n die nötigen Sicherheit­svorkehrun­gen treffen und transparen­t agieren.“

Noch hat Alliance Magnesium mit dem Abtragen der Halden nicht begonnen. Zuvor nämlich muss noch das Umweltmini­sterium der Provinz Québec grünes Licht geben. Außerdem könnte es zu einer öffentlich­en Anhörung kommen. Doch wie der Website von AMI zu entnehmen ist, hat die Regierung schon kräftig in das Unternehme­n investiert: Über 40 Millionen kanadische Dollar sind bereits geflossen.

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FOTO: DPA Verlassene Betriebsge­bäude und ein Förderturm der ehemaligen Asbest-Mine in Thetford Mines. Jetzt soll hier Magnesium gewonnen werden.

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