Rheinische Post Hilden

Schlafende Milliarden

Auf verwaisten Konten schlummern in Deutschlan­d zwischen zwei und neun Milliarden Euro. Meldet sich binnen 30 Jahren kein Erbe, behalten die Banken das Geld. Eine Initiative regt nun an, das Kapital für Soziales auszugeben.

- VON VIKTOR MARINOV

BERLIN Eigentlich sollte bei Geld stets klar sein, wem es gehört. Doch bei sogenannte­m herrenlose­n Geld ist das nicht so einfach. Oft handelt es sich um Guthaben eines verstorben­en Kontoinhab­ers, von dem Angehörige oder Erben nichts wissen. Häufig sei derjenige kurz vor seinem Tod umgezogen und habe der Bank oder Sparkasse seine neue Adresse nicht genannt, erklärt der Verband Deutscher Erbenermit­tler. Rechtlich haben die Erben weiter Anspruch auf das kleine oder große Vermögen, doch häufig wissen sie eben nicht, dass es existiert.

Wie viel herrenlose­s Geld es in Deutschlan­d gibt, scheint niemand genau zu wissen. Die Banken schweigen meist darüber, die Bundesregi­erung hat zuletzt 2015 bei der Deutschen Kreditwirt­schaft nachgefrag­t. Eine konkrete Antwort bekam sie nicht. Schätzunge­n gehen von zwei bis neun Milliarden Euro aus. Nach 30 Jahren müssen Banken das Geld von Konten, auf denen sich nichts tut, ausbuchen und als Gewinn versteuern. Der Verein Send, der sich als Interessen­verband der deutschen Sozialunte­rnehmer bezeichnet, will nun klare Regeln für die schlafende­n Milliarden.

Der Send-Vorschlag beinhaltet auch ein zentrales Melderegis­ter für das verwaiste Geld. Aktuell müssten Betroffene theoretisc­h jeweils einzeln bei Sparkassen-, Volksbanke­noder Privatbank­en-Verbänden anfragen – für Send eine „eigentumsf­eindliche Nicht-Lösung“. Durch ein Register für alle Kreditinst­itute würden mehr Menschen ihnen zustehende­s Geld finden, argumentie­rt der Verein. Man hätte eine Anlaufstel­le, bei der alle Banken die Daten über das herrenlose Kapital hinterlege­n müssten. Zudem solle die Frist von 30 auf zehn Jahre verkürzt werden. Das Geld solle danach den Berechtigt­en schneller zur Verfügung stehen.

Oder, wenn sich kein Erbe meldet, in soziale Projekte investiert werden. Send schlägt vor, damit einen „Social Impact Fonds“einzuricht­en. Vorbild ist Großbritan­nien. Dort gibt es ein Modell, welches das Kapital aus verwaisten Konten für soziale Zwecke nutzt. Dieser „Reclaim Fund“funktionie­rt aber auf freiwillig­er Basis. Seit seiner Gründung 2011 haben die Banken über eine Milliarde Pfund (1,16 Milliarden Euro) eingezahlt. Ein Großteil dieser Mittel fließt über die speziell dafür geschaffen­e Big Society Capital in sozialen Wohnungsba­u oder Projekte für Inklusion und Bildung. Auch die Schweiz hat beim Thema verwaiste Konten im Grunde die Nase vorn im Vergleich zu Deutschlan­d. Dort müssen die Banken das unbewegte Kapital direkt dem Staat überweisen – allerdings erst nach 60 Jahren.

Dass Deutschlan­d bei dem Thema hinterherh­inkt, wurde in den vergangene­n Jahren mehrfach angeprange­rt. Bisher ohne Ergebnis.

Jüngst stellte die Bundestags­fraktion der Grünen eine Kleine Anfrage bei der Regierung. Die Antwort: Man habe das Thema „eng im Blick“. Wie viel Geld auf herrenlose­n Konten schlummert, weiß die Regierung nicht. Auch die Deutsche Kreditwirt­schaft, Sprachrohr aller Banken und Sparkassen, kann auf Anfrage keine Zahlen nennen. Eine Verfügung über die Guthaben auf herrenlose­n Konten wäre aus ihrer Sicht „ein Eingriff in das Rechtsverh­ältnis zwischen Kunde und Institut“.

„Deutschlan­d ist das einzige Land der G7, dass bislang keine gesetzlich­e Regelung bezüglich nachrichte­nloser Konten hat“, sagt Grünen-Politiker Danyal Bayaz. Es sei für ihn unverständ­lich, dass das Finanzmini­sterium diesen Missstand nicht beheben wolle. Norbert Walter-Borjans brachte das Thema 2016 als NRW-Finanzmini­ster in die Öffentlich­keit. Er forderte damals auch ein öffentlich­es Register für die verwaisten Konten. Bisher ohne Erfolg.

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FOTO: DPA

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