Neue Runde im Kampf um Datteln
Prozesse, Pleiten, Pannen verhindern seit 2011 den Start des Kohlekraftwerks. Nun will die Politik es ans Netz lassen, Greenpeace und Hambach-Aktivisten wollen das verhindern. Für Freitag ist eine Großdemonstration geplant.
DATTELN/DÜSSELDORF Es ist eine der teuersten Industriebaustellen in Deutschland: das Steinkohlekraftwerk Datteln. 1,5 Milliarden Euro haben Uniper und sein Vorgängerkonzern Eon seit 2007 verbaut. 178 Meter ragt der Kühlturm in den Himmel. Seit 2011 sollte hier Strom für jeden vierten Zug in Deutschland erzeugt werden. Doch daraus wurde nichts. Datteln 4 wurde zum Symbol für Planungschaos und Widerstand. Und das hat sich durch den Beschluss zum Kohleausstieg nicht geändert: Datteln 4 könnte zu einem „zweiten Hambi“werden, sagt Kathrin Henneberger, Sprecherin vom Aktionsbündnis „Ende Gelände“. Das Bündnis hat jahrelang gegen die Abbaggerung des Hambacher Forstes gekämpft. Nun, wo die deutsche Politik mit RWE den Erhalt des Forstes und mit Uniper die Inbetriebnahme von Datteln vereinbart hat, richten die Aktivisten ihre Blicke nach Osten. Uniper stellt sich bereits auf eine neue Sicherheitslage ein.
Die Dimensionen am Kanal in Datteln sind gewaltig: Jeden Tag sollen in dem 1100-Megawatt-Block rund 8000 Tonnen Steinkohle verfeuert werden. Das entspricht der Ladung von zwei großen Binnenschiffen, die hier täglich anlegen. Unipers Kohle kommt vor allem aus Südafrika, Russland, Kolumbien und wird über Rotterdam importiert. Theoretisch könnte Datteln zwei Millionen Haushalte versorgen. Tatsächlich aber verkauft Uniper den Strom an die Deutsche Bahn und seinen Konkurrenten RWE. Bahn und RWE hatten vor Jahren einen entsprechenden Vertrag mit dem Betreiber geschlossen – allerdings zu den hohen Strompreisen von damals. Daher versucht RWE seit Jahren vor Gericht, aus dem Vertrag herauszukommen. Die Bahn setzt darauf, dass die Politik das Kraftwerk stoppt. Entsprechend soll sich Bahn-Vorstand Ronald Pofalla auch in der Kohlekommission stark gemacht haben.
Lange sah es danach aus, als würde der Plan aufgehen: Umweltschützer und Anwohner hätten das
Projekt fast zu Fall gebracht. 2009 stoppte das Oberverwaltungsgericht Münster den Bau, der damals zu 60 Prozent fertig war. Die Stadt Datteln hatte gravierende Fehler gemacht. Es gab immer wieder Ärger mit Abständen zur bestehenden Bebauung. Auch die Umweltprüfungen waren aus Sicht der Richter völlig unzureichend. Der Planungsprozess wurde neu aufgerollt: Mehr als 30 Umweltgutachten wurden erstellt. Eon musste nachbessern und zum Beispiel den Lagerplatz für Kohle um ein Drittel verkleinern sowie eine Schallschutzmauer um den Kühlturm errichten. Das im Turm herunterrauschende Kondenswasser ist der lauteste Teil am Kraftwerk. Der frühere Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) versuchte, Datteln über die Verschärfung des
Quecksilber-Grenzwertes zu stoppen. Und als dann die Bezirksregierung endlich grünes Licht gab – da versagte die Technik. Der Kesselhersteller Hitachi hatte minderwertige Ware geliefert, die dem Druck nicht standhalten würde, der Kessel musste erneuert werden. Im Dezember 2019 war es dann endlich soweit: Uniper brachte das Kraftwerk testweise ans Netz. Nun geht Uniper davon aus, es im Sommer endgültig in Betrieb zu nehmen.
Wenn die Aktivisten nicht doch einen Weg finden, es zu blockieren: Greenpeace will sich nun direkt an die finnische Regierung wenden, um Datteln 4 zu stoppen. Der finnische Staatskonzern Fortum hält 49,9 Prozent der Anteile an Uniper und hat angekündigt, seine Beteiligung auf 70 Prozent auszubauen. Allerdings muss dazu der russische Staat noch Kartellhürden aus dem Weg räumen. Bereits im Oktober hatte Greenpeace einen Brief an die finnische Regierung geschrieben, um vor Datteln zu warnen. „Diesen politischen Weg wollen wir weiter gehen“, hieß es bei Greenpeace. „Mit der Entscheidung zu Datteln 4 provoziert die Bundesregierung kaltschnäuzig die Menschen, die endlich entschlossene Schritte gegen die Klimakrise fordern“, sagte Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser. Es sei offensichtlich, dass das Kraftwerk zum Brennpunkt der Klimabewegung werde. „Fortum wird kaum tatenlos zuschauen, wie in Datteln sein Ruf als fortschrittlicher Konzern verheizt wird“, so Kaiser. In NRW laufen viele Fäden zur Organisation der Proteste bei Fridays
for Future zusammen. Für Freitag ist eine Großdemonstration am Kraftwerk geplant.
Auch beim Bund für Umweltund Naturschutz (BUND) ruhen die Hoffnungen auf Unipers finnischer Mutter. „Der Ausstoß von Datteln 4 entspricht den gesamten Emissionen des finnischen Verkehrssektors in einem Jahr“, sagte Thomas Krämerkämper vom BUND. Finnland plane den Kohleausstieg schon 2029, das vertrage sich nicht mit der Entscheidung für Datteln.
Womöglich knöpfen sich die Aktivisten auch beides vor, das Kraftwerk Datteln und den Hambacher Forst. Die Entscheidung, ob die Besetzer im Forst bleiben, sei noch nicht gefallen, so ein Sprecher. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) appellierte dagegen an die Besetzer, den Wald zu räumen: „Jetzt ist es amtlich: Der Hambacher Forst bleibt erhalten. Ein beachtlicher Erfolg für die Klimaschützer im Wald. Sie haben ihr Anliegen zu 100 Prozent durchgesetzt“, sagte Reul unserer Redaktion. „Ich gehe davon aus, dass sie sich jetzt darüber freuen und den Wald in nächster Zeit verlassen. Dann erübrigt sich auch jede Spekulationen über etwaige Räumungsmaßnahmen.“Doch die Zeichen stehen weiter auf Konflikt: „Wir schlagen deshalb vor, die subversive Energie über den Hambacher Forst hinauszutragen“, so ein Sprecher von „Hambi bleibt“. Bei Düsseldorfer Konzern Uniper dürfte man das als Drohung wahrnehmen.