Bürgermeister gibt wegen Drohungen auf
Kerpens Stadtoberhaupt will nicht mehr antreten, weil er sich und seine Familie bedroht sieht – von Rechtsradikalen und Linksextremen. Die Polizei nimmt die Drohungen ernst. Im Hambacher Forst gibt es einen autonomen Kern.
DÜSSELDORF Jülichs Bürgermeister Axel Fuchs (parteilos) bedauert, dass sein Kerpener Amtskollege wegen einer Bedrohungslage aus dem Amt scheiden möchte. „Ich war tief bestürzt, als ich davon gehört habe“, sagt Fuchs. „Ich kenne Dieter Spürck aus Tagebauinitiativen und Arbeitskreisen zu Hambach. Dass so ein engagierter Bürgermeister wie er nicht mehr weiter machen will, weil er bedroht wird, muss uns alle nachdenklich stimmen“, sagt Fuchs. Er könne bestätigen, dass die Gesellschaft zunehmend verrohe. „Allerdings wurde
Seine Kinder bekämen es zu spüren, wenn er sich nicht intensiver für den Hambacher Wald einsetzen würde
Drohung an Kerpens Bürgermeister
ich selbst noch nicht von Linken und Rechtsradikalen bedroht“, sagt Fuchs. „Aber in den sozialen Medien werde ich beleidigt und beschimpft. Und das dürfen wir uns nicht gefallen lassen“, sagt er.
Kerpens CDU-Bürgermeister hatte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“gesagt, dass er wegen Bedrohungen gegen sich und seine Familie auf eine erneute Kandidatur verzichten werde. „Soweit mich das selbst betrifft, halte ich das für ein tragbares Berufsrisiko, aber nicht für meine Frau und meine Kinder“, sagte er. Demnach wird er von fast allen Seiten angefeindet und bedroht – von Rechtsradikalen wie von Linksextremen. Er habe in seinem Briefkasten die Nachricht gefunden, dass seine „Kinder es zu spüren“bekämen, wenn er sich nicht „intensiver für den Hambacher Wald einsetzen“würde.
Die Bedrohung und Einschüchterung von politisch Andersdenkenden sei eine Strategie von Extremisten, sagt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums. „Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Drohungen kommt dabei zwar aus dem rechtsextremistischen Spektrum,
aber auch Linksextremisten nutzen das Instrument der Einschüchterung des politischen Gegners“, erklärt er. Die Sicherheitsbehörden würden jedem Einzelfall nachgehen und den Betroffenen Hilfe und Unterstützung anbieten. Dem Innenministerium zufolge gab es zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 31. Dezember des vergangenen Jahres 149 Straftaten gegen kommunale Mandatsträger und politische Amtsträger. Davon wurden 83 von Rechtsradikalen und 28 von Linksextremisten begangen.
Für den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW, Erich Rettinghaus, sind solche Drohungen auch aus dem linksradikalen Spektrum ernst zu nehmen. „Im Hambacher Forst gibt es einen harten autonomen Kern, der die Gesetze immer wieder bricht“, sagt er. „Wir haben bei den Polizeieinsätzen in jüngster Zeit gesehen, zu welchen
Gewalttaten sie fähig sind“, sagt er. Laut NRW-Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 (2019 liegt noch nicht vor) ist die Zahl linksextremer Gewalttaten gestiegen – insbesondere bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei im und am Hambacher Forst. Sie stieg im Vergleich zu 2017 von 191 auf 447 – ein Plus von rund 135 Prozent. Die Sicherheitsbehörden sehen die Besetzerszene im Hambacher Forst in zwei Lager gespalten. Demnach verfolgt eine Gruppe Klimaschutzinteressen, anderen Besetzern gehe es allenfalls nur am Rande ums Klima. Sie verfolgten vielmehr den Aufbau einer anarchistischen Gesellschaftsstruktur, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Einige Waldbesetzer bestätigen die Einschätzung der Sicherheitsbehörden indirekt. Sie wollen im Forst bleiben, obwohl sie ihr Ziel erreicht haben und der Wald erhalten bleibt.
Laut Aachener Polizei griffen Vermummte zudem erst vor einer Woche Mitarbeiter des Tagebaubetreibers RWE an. Dabei wurden zwei Beschäftigte des Energiekonzerns durch Steinwürfe verletzt. „Daran sieht man, dass es manchen von denen nur um Gewalt geht – und nicht um den Wald. Wer es ernst meint mit dem Klima, muss jetzt auch den Forst verlassen“, appellierte Rettinghaus an die Vernunft der Waldbesetzer. Auch RWE-Chef Rolf Martin Schmitz hatte sie aufgefordert, den Wald wieder zu verlassen.
Seit Jahren leiden Anwohner einzelner Kommunen rund um den Hambacher Forst unter der Besetzerszene, wegen der es immer wieder zu großen Polizeieinsätzen kam. Der Sprecher einer Stadt, die in der Tagebauregion liegt, sagte unserer Redaktion, dass auch sein Bürgermeister rechten und linken Drohungen ausgesetzt sei. „Er möchte
aber selbst nicht öffentlich darüber reden“, sagt der Sprecher. „Es gab auch schon einzelne Drohungen aus dem Hambacher Forst“, betonte er.
Spürck ist seit 2015 Bürgermeister von Kerpen. Seitdem habe er „wiederholt Schrammen“an seinem Auto vorgefunden. „Vor meiner Haustüre hat man mir die Luft aus den Reifen gelassen. An der Rathaustür hingen Beschimpfungen“, sagte er. Auch Gegner der Flüchtlingspolitik hätten versucht, ihn einzuschüchtern. Wenn einem Kind in Kerpen etwas geschehe, dann werde das seinen Kindern „ebenfalls so gehen“, sei er gewarnt worden. „Es gab Ankündigungen, mir die Mafia auf den Hals zu hetzen oder sich bei mir zu Hause einzuquartieren. Einmal ist mir ein Auto langsam gefolgt, als ich zu Fuß von einem Termin wegging“, berichtete Spürck. Politik sei „teilweise ein sehr dreckiges Geschäft geworden“.