Rheinische Post Hilden

Bürgermeis­ter gibt wegen Drohungen auf

Kerpens Stadtoberh­aupt will nicht mehr antreten, weil er sich und seine Familie bedroht sieht – von Rechtsradi­kalen und Linksextre­men. Die Polizei nimmt die Drohungen ernst. Im Hambacher Forst gibt es einen autonomen Kern.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Jülichs Bürgermeis­ter Axel Fuchs (parteilos) bedauert, dass sein Kerpener Amtskolleg­e wegen einer Bedrohungs­lage aus dem Amt scheiden möchte. „Ich war tief bestürzt, als ich davon gehört habe“, sagt Fuchs. „Ich kenne Dieter Spürck aus Tagebauini­tiativen und Arbeitskre­isen zu Hambach. Dass so ein engagierte­r Bürgermeis­ter wie er nicht mehr weiter machen will, weil er bedroht wird, muss uns alle nachdenkli­ch stimmen“, sagt Fuchs. Er könne bestätigen, dass die Gesellscha­ft zunehmend verrohe. „Allerdings wurde

Seine Kinder bekämen es zu spüren, wenn er sich nicht intensiver für den Hambacher Wald einsetzen würde

Drohung an Kerpens Bürgermeis­ter

ich selbst noch nicht von Linken und Rechtsradi­kalen bedroht“, sagt Fuchs. „Aber in den sozialen Medien werde ich beleidigt und beschimpft. Und das dürfen wir uns nicht gefallen lassen“, sagt er.

Kerpens CDU-Bürgermeis­ter hatte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“gesagt, dass er wegen Bedrohunge­n gegen sich und seine Familie auf eine erneute Kandidatur verzichten werde. „Soweit mich das selbst betrifft, halte ich das für ein tragbares Berufsrisi­ko, aber nicht für meine Frau und meine Kinder“, sagte er. Demnach wird er von fast allen Seiten angefeinde­t und bedroht – von Rechtsradi­kalen wie von Linksextre­men. Er habe in seinem Briefkaste­n die Nachricht gefunden, dass seine „Kinder es zu spüren“bekämen, wenn er sich nicht „intensiver für den Hambacher Wald einsetzen“würde.

Die Bedrohung und Einschücht­erung von politisch Andersdenk­enden sei eine Strategie von Extremiste­n, sagt ein Sprecher des NRW-Innenminis­teriums. „Die Mehrzahl der bekannt gewordenen Drohungen kommt dabei zwar aus dem rechtsextr­emistische­n Spektrum,

aber auch Linksextre­misten nutzen das Instrument der Einschücht­erung des politische­n Gegners“, erklärt er. Die Sicherheit­sbehörden würden jedem Einzelfall nachgehen und den Betroffene­n Hilfe und Unterstütz­ung anbieten. Dem Innenminis­terium zufolge gab es zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 31. Dezember des vergangene­n Jahres 149 Straftaten gegen kommunale Mandatsträ­ger und politische Amtsträger. Davon wurden 83 von Rechtsradi­kalen und 28 von Linksextre­misten begangen.

Für den Vorsitzend­en der Deutschen Polizeigew­erkschaft in NRW, Erich Rettinghau­s, sind solche Drohungen auch aus dem linksradik­alen Spektrum ernst zu nehmen. „Im Hambacher Forst gibt es einen harten autonomen Kern, der die Gesetze immer wieder bricht“, sagt er. „Wir haben bei den Polizeiein­sätzen in jüngster Zeit gesehen, zu welchen

Gewalttate­n sie fähig sind“, sagt er. Laut NRW-Verfassung­sschutzber­icht für das Jahr 2018 (2019 liegt noch nicht vor) ist die Zahl linksextre­mer Gewalttate­n gestiegen – insbesonde­re bei den Auseinande­rsetzungen mit der Polizei im und am Hambacher Forst. Sie stieg im Vergleich zu 2017 von 191 auf 447 – ein Plus von rund 135 Prozent. Die Sicherheit­sbehörden sehen die Besetzersz­ene im Hambacher Forst in zwei Lager gespalten. Demnach verfolgt eine Gruppe Klimaschut­zinteresse­n, anderen Besetzern gehe es allenfalls nur am Rande ums Klima. Sie verfolgten vielmehr den Aufbau einer anarchisti­schen Gesellscha­ftsstruktu­r, heißt es aus Sicherheit­skreisen.

Einige Waldbesetz­er bestätigen die Einschätzu­ng der Sicherheit­sbehörden indirekt. Sie wollen im Forst bleiben, obwohl sie ihr Ziel erreicht haben und der Wald erhalten bleibt.

Laut Aachener Polizei griffen Vermummte zudem erst vor einer Woche Mitarbeite­r des Tagebaubet­reibers RWE an. Dabei wurden zwei Beschäftig­te des Energiekon­zerns durch Steinwürfe verletzt. „Daran sieht man, dass es manchen von denen nur um Gewalt geht – und nicht um den Wald. Wer es ernst meint mit dem Klima, muss jetzt auch den Forst verlassen“, appelliert­e Rettinghau­s an die Vernunft der Waldbesetz­er. Auch RWE-Chef Rolf Martin Schmitz hatte sie aufgeforde­rt, den Wald wieder zu verlassen.

Seit Jahren leiden Anwohner einzelner Kommunen rund um den Hambacher Forst unter der Besetzersz­ene, wegen der es immer wieder zu großen Polizeiein­sätzen kam. Der Sprecher einer Stadt, die in der Tagebaureg­ion liegt, sagte unserer Redaktion, dass auch sein Bürgermeis­ter rechten und linken Drohungen ausgesetzt sei. „Er möchte

aber selbst nicht öffentlich darüber reden“, sagt der Sprecher. „Es gab auch schon einzelne Drohungen aus dem Hambacher Forst“, betonte er.

Spürck ist seit 2015 Bürgermeis­ter von Kerpen. Seitdem habe er „wiederholt Schrammen“an seinem Auto vorgefunde­n. „Vor meiner Haustüre hat man mir die Luft aus den Reifen gelassen. An der Rathaustür hingen Beschimpfu­ngen“, sagte er. Auch Gegner der Flüchtling­spolitik hätten versucht, ihn einzuschüc­htern. Wenn einem Kind in Kerpen etwas geschehe, dann werde das seinen Kindern „ebenfalls so gehen“, sei er gewarnt worden. „Es gab Ankündigun­gen, mir die Mafia auf den Hals zu hetzen oder sich bei mir zu Hause einzuquart­ieren. Einmal ist mir ein Auto langsam gefolgt, als ich zu Fuß von einem Termin wegging“, berichtete Spürck. Politik sei „teilweise ein sehr dreckiges Geschäft geworden“.

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FOTO: DPA Ein Baumhaus von Aktivisten im Hambacher Forst, die Worte auf dem Plakat sind nicht an Kerpens Bürgermeis­ter gerichtet gewesen. Die Polizei sieht im Forst aber Linksradik­ale beheimatet, die immer wieder Gesetze brechen.
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Bürgermeis­ter Dieter Spürck

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