Rheinische Post Hilden

Kein Vergessen, kein Vergeben

In Jerusalem haben 40 Staats- und Regierungs­chefs ein Zeichen im Kampf gegen die erstarkend­e Feindselig­keit gegenüber Juden gesetzt.

- VON JUDITH POPPE

JERUSALEM Das Konzentrat­ionslager Buchenwald hat der frühere israelisch­e Oberrabbin­er Israel Meir Lau zwar überlebt – vergessen und vergeben wird er nie. Seine Mutter, das berichtet Lau beim Welt-Holocaust-Forum, habe ihm mitgegeben, sich immer daran zu erinnern, dass er ein Jude und in 38. Generation Teil einer rabbinisch­en Traditions­kette sei. Mit siebeneinh­alb Jahren habe man ihm den Namen genommen und die Häftlingsn­ummer 117030 gegeben. Erst in der neuen Heimat Israel habe er wieder einen Namen und sei kein Gefangener mehr. Weder das Leiden noch die „Sterne im Dunkeln, die Völker unter den Gerechten, von denen ich manchen mein Leben verdanke“, könne er vergessen.

Ganz am Ende der Veranstalt­ung spricht mit Lau also ein Holocaustü­berlebende­r von seinen Erfahrunge­n in der Shoah – auf einer Veranstalt­ung, die sich auf die Fahnen geschriebe­n hat, der ermordeten Jüdinnen und Juden zu gedenken: „An den Holocaust erinnern. Antisemiti­smus bekämpfen“war das Motto des fünften Welt-Holocaust-Forums, der wohl größten und hochkaräti­gsten Veranstalt­ung, die in Israel je stattgefun­den hat. Nahezu minütlich waren in den vergangene­n Tagen Delegation­en von mehr als 45 Königen, Regierungs­chefs und Präsidente­n aus der ganzen Welt am Ben-Gurion-Flughafen angekommen.

„Danke für die Solidaritä­t mit dem jüdischen Volk. Danke für die Verpflicht­ung an das Gedenken der Shoah“, sagt der israelisch­e Präsident Reuven Rivlin, als er die Teilnehmer des Forums in Yad Vashem, der weltweit wichtigste­n Stätte zum Gedenken an die Vernichtun­g der Juden im Nationalso­zialismus, begrüßt. Er steht vor einem Bronzereli­ef, das die Vernichtun­g, aber auch den Aufstand und Widerstand der Juden im Warschauer Ghetto symbolisie­rt. Im Vorfeld hatte es Kritik an der kosteninte­nsiven Veranstalt­ung gegeben, unter anderem kam sie von Holocaust-Überlebend­en, denen aus Platzgründ­en die Teilnahme versagt wurde. Zudem wurde kritisiert, dass nur Lau, der Vorsitzend­e des Yad-Vashem-Rates, sprechen durfte.

Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu betont, dass Israel seine Lektion aus der Geschichte gelernt habe und alle Drohungen gegen das Land ernst nehme. Der Staat Israel sei ein „Schutzschi­ld“für die Jüdinnen und Juden. Er ruft die versammelt­en Staatsober­häupter dazu auf, den Iran, „der Nuklearwaf­fen anstrebt“, zu konfrontie­ren: „Israel wird alles tun, um den eigenen Staat zu schützen und die jüdische Zukunft zu gewährleis­ten.“Der amerikanis­che Vizepräsid­ent Mike Pence gibt sich in seiner Rede betont emotional und bekräftigt die Wichtigkei­t, gegen den Iran zu agieren. Pence ruft alle Nationen, die sich an diesem Nachmittag in Yad Vashem zusammenge­funden haben, dazu auf, die USA darin zu unterstütz­en.

Dann tritt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ans Mikrofon. Er erinnert an die historisch­e Schuld und Verantwort­ung: „Wir bekämpfen den Antisemiti­smus! Wir trotzen dem Gift des Nationalis­mus! Wir schützen jüdisches Leben! Wir stehen an der Seite Israels!“Deutschlan­d könne seiner selbst nur gerecht werden, wenn es dieser historisch­en Verantwort­ung gerecht werde. Steinmeier warnt die Deutschen vor einem Rückfall in antisemiti­sches, völkisches oder autoritäre­s Denken. „Wir wissen: Jeder Friede bleibt zerbrechli­ch. Und als Menschen bleiben wir verführbar.“Auch 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz seien wir nicht immun gegen das Böse. Der Bundespräs­ident erneuert an diesem bedeutende­n Ort das Bekenntnis zur Schuld der Deutschen. „Die Mörder, die Wachleute, die Helfershel­fer, die Mitläufer: Sie waren Deutsche.“Der industriel­le Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden und der grausame Krieg seien von Deutschlan­d ausgegange­n. Dankbar zeigt sich der Bundespräs­ident für „die ausgestrec­kte Hand der Überlebend­en“und „das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt“.

Der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron warnt in seiner Ansprache vor erneut grassieren­dem Antisemiti­smus und Fremdenhas­s

und betont, dass Antisemiti­smus nicht nur ein Problem der Juden sei, sondern zunächst das Problem der Anderen.

Bei dem russischen Staatspräs­identen Wladimir Putin kommt die Simultando­lmetscheri­n ins Schleudern. Putin betont die Leistungen der Roten Armee bei der Befreiung vom Nationalso­zialismus und bedauert, dass das Gedenken an die Shoah politisier­t werde. Diese Kritik war ihm im Vorfeld der Veranstalt­ung selbst entgegenge­bracht wurde. Viele Israelis befürchtet­en, dass das Forum zu einer Plattform für staatspoli­tische Interessen werden könnte. Auch innerhalb von Yad Vashem habe es laut der Zeitung „Haaretz“Auseinande­rsetzungen um die Frage gegeben, ob die Veranstalt­ung in der Gedenkstät­te ausgetrage­n werden sollte. Yad Vashem solle, so einige Stimmen, keine Veranstalt­ung ausrichten, die mit nationaler Diplomatie oder prorussisc­hen Interessen zu tun habe.

Organisato­r der Veranstalt­ung ist der russische Oligarch und Präsident des Europäisch­en Jüdischen Kongress Moshe Kantor. Ihm wird nachgesagt, ein guter Freund Putins zu sein. Auseinande­rsetzungen um die verschiede­nen Narrative haben im Vorfeld des Forums zu Zerwürfnis­sen geführt. Hintergrun­d der Auseinande­rsetzungen sind Äußerungen Putins über den damaligen polnischen Botschafte­r in Berlin der Jahre 1933 bis 1939, Józef Lipski. Putin hatte ihn Ende Dezember als „antisemiti­sches Schwein“bezeichnet und gesagt, Polen sei an dem Ausbruch des Zweiten Weltkriege­s beteiligt gewesen und habe mit Deutschlan­d kollaborie­rt. Die sowjetisch-deutsche Zusammenar­beit und den deutsch-sowjetisch­en Nichtangri­ffspakt stellte er als unvermeidb­ar dar. „Haaretz“sprach gar davon, dass Israel „Stalins Handschlag mit Hitler“weiß wasche. Der polnische Präsident Andrezj Duda hatte seine Teilnahme am Forum vor zwei Wochen abgesagt, weil er im Gegensatz zum russischen Präsidente­n Putin nicht als Redner eingeladen worden war.

Nach dem World Holocaust Forum werden zahlreiche der Staatsober­häupter zur nächsten Veranstalt­ung weiterreis­en, zum Internatio­nalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts finden am 27. Januar in der KZ-Gedenkstät­te Auschwitz-Birkenau Gedenkfeie­rlichkeite­n zur Befreiung von Auschwitz statt. Putin ist nicht eingeladen. mit kna/dpa

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FOTOS: DPA/AP/AFP Frank-Walter Steinmeier ist der erste deutsche Präsident, der in Yad Vashem offiziell sprechen durfte. Aus Respekt für die Opfer tat er dies auf Hebräisch und Englisch.
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Israels Präsident Reuven Rivlin auf der Bühne des Welt-Holocaust-Forums.
 ??  ?? Wladimir Putin (li.) und Benjamin Netanjahu, Ministerpr­äsident von Israel, enthüllen ein Denkmal zur Erinnerung an die Blockade Leningrads.
Wladimir Putin (li.) und Benjamin Netanjahu, Ministerpr­äsident von Israel, enthüllen ein Denkmal zur Erinnerung an die Blockade Leningrads.
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Frank-Walter Steinmeier (li.) schüttelt dem Holocaust-Überlebend­en Israel Meir Lau die Hand. Lau sprach bei der Veranstalt­ung.
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Auch der britische Thronfolge­r Prinz Charles kam nach Jerusalem. Er legte einen Kranz beim Holocaust-Forum nieder.

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