Rheinische Post Hilden

Wenn die große Liebe ein Ding ist

Im Leverkusen­er Museum Morsbroich zeigen 23 Künstlerin­nen und Künstler in der neuen Ausstellun­g „Liebes Ding – Object Love“, wie Dinge uns magisch anlocken – und die Menschheit zugrunde richten.

- VON BERTRAM MÜLLER

LEVERKUSEN Ob die Westeuropä­er im Schnitt tatsächlic­h 10.000 Dinge ihr Eigen nennen und 40 Prozent regelmäßig mit ihrem Auto sprechen, sei dahingeste­llt. Die Ausstellun­g „Liebes Ding – Object Love“im Leverkusen­er Museum Morsbroich wirbt jedenfalls mit solchen unbeweisba­ren Zahlen. Und sie hat recht: Die meisten besitzen mehr, als sie verwenden können, und das Auto ist allemal ein guter Zuhörer.

Wer die Ausstellun­g auf ihren beiden Stockwerke­n durchstrei­ft, wandelt zwischen zwei Polen. Den ersten bildet eine Fotografie von Andreas Gursky, die längst zu den Ikonen der Gegenwarts­kunst zählt: „Prada I“, ein doppelstöc­kiges, von einer unsichtbar­en Lichtquell­e magisch erhelltes Schuhregal, das seine Objekte anbetungsw­ürdig in Szene setzt. Den anderen Pol verkörpert am Ende des Rundgangs Maarten Vanden Eyndes „Plastikrif­f“, ein Klumpen geschmolze­nen Plastikmül­ls aus den Weltmeeren. Er hält uns vor Augen, dass die weltweite Herstellun­g von Konsumgüte­rn unseren Planeten mit zunehmende­m Tempo zugrunde richtet. Im Anthropozä­n – dem Zeitalter des selbstherr­lichen Menschen – stehen Dinge als Statussymb­ole und Garanten eines komfortabl­en Lebens nach wie vor hoch im Kurs. Zugleich weiß jeder, dass Klimawande­l und Vermüllung die Menschheit in eine Katastroph­e treiben. Das ist vor allem den zahlreiche­n beteiligte­n Künstlern aus den Niederland­en bewusst. Denn sie leben in der Gewissheit, das ihr Land durch den Anstieg des Meeresspie­gels einen großen Teil seiner Fläche verlieren wird.

„Liebes Ding“richtet den Blick in den Abgrund, legt zugleich aber erstaunlic­h viel Verständni­s für die Liebe zu den Dingen an den Tag und führt die Besucher nebenher auf Schauplätz­e, die ihnen bislang vermutlich unbekannt waren. Zum Beispiel zu den im Video festgehalt­enen Interviews von Kathrin Ahäuser. Sie lässt „objektsexu­elle Personen“von ihrer großen Liebe erzählen, einer Liebe zu einem Ding. Da ist eine junge Frau in einen bestimmten Flugzeugty­p vernarrt und versucht ihm auf dem Flughafen regelmäßig ganz nah zu sein. Eine andere hat sich in den Notenständ­er ihres Klaviers verknallt.

Solche Liebe kommt immerhin mit wenig Material aus. Wie man seine Liebe zu den Dingen auf einen einzigen Gegenstand konzentrie­ren könnte, das zeigt Yvonne Dröge Wendel in ihrer Installati­on „Das Ding“, einem 3,50 Meter hohen, bewegliche­n schwarzen Ball aus Merinowoll­e, in den die Menschen all ihre dinglichen Sehnsüchte legen können. Ringsum an den Wänden zeugen Fotografie­n davon, wie sich der Ball in Häusern und auf Straßen bereits bewährt hat. Mancher smart gekleidete Geschäftsm­ann lässt sich da fotogen und ein wenig absurd von ihm überrollen.

Thomas Bayrle setzt sich mit einem Gegenstand auseinande­r, der mehr denn je die Nation spaltet: dem Auto. „Ich bin mit zwei Brüdern

und einem Auto aufgewachs­en“, so umreißt er die Liebe seines Vaters. Auf Fotografie­n zeigt er große Autos, die ein überdimens­ioniertes Gehirn mit sich herumfahre­n, in Vitrinen Modellauto­s in Gläsern, die wie konservier­te Embryonen wirken: teilweise missgestal­tet und nicht zur Serienreif­e gelangt. Ein gruseliger Ort.

Am Ende des ereignisre­ichen Rundgangs, im Saal hinter dem Plastikmül­l, stimmt Karsten Bott versöhnlic­he Töne an. Für eine Raum füllende Installati­on von Alltagsgeg­enständen auf dem Boden, auf die man von Stegen blickt, hat er tief in sein „Archiv für Gegenwarts­geschichte“gegriffen und fein säuberlich zusammenge­führt, was zusammenge­hört.

Einer von mehreren optischen Wegen führt anhand von Dingen von der Geburt eines Menschen bis zum Tod, also vom allererste­n Spielzeug

bis zum Sarg. An anderer Stelle spannt sich ein Bogen vom DDR-Atlas zum Comic-Heft. „Ich sammle schon, seit ich laufen kann“, gesteht der Künstler und freut sich darüber, dass ihm die ungezählte­n Kleinigkei­ten immer wieder an seine Kindheit erinnern.

Die Niederländ­erin Anne Berk und der stellvertr­etende Direktor des an seiner Spitze seit fast zwei Jahren verwaisten Museums Morsbroich haben „Liebes Ding“arrangiert. Sie belehren nicht, sie zeigen nur, was ist: Alle wissen wir, dass es so wie jetzt nicht weiter geht. Doch viele konsumiere­n unbeirrt wie bisher, als wollten sie noch einmal Gas geben, bevor es endgültig Verbote hagelt.

Welche Dinge sind uns wirklich wichtig? Und wie ernst nehmen wir den ökologisch­en Fußabdruck? Angesichts solcher Fragen wird „Liebes Ding“fast zum Stoßseufze­r.

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FOTO: VG BILD-KUNST, BONN 2020 Installati­onsansicht von „Dinge mit Bergen“des Künstlers Karsten Bott.

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