Rheinische Post Hilden

Die Gefahr aus der Kamera

Die Bilderkenn­ungssoftwa­re von Clearview AI sorgt für Diskussion­en. Das Start-up wirbt mit den Möglichkei­ten bei der Verbrechen­sbekämpfun­g. Kritiker fürchten jedoch das Ende der Privatsphä­re und sehen die Demokratie in Gefahr.

- VON FLORIAN RINKE

NEW YORK Es gibt wohl kaum einen Autor, der so spannend düstere Zukunftswe­lten kreiert wie Marc Elsberg. Seine Romane sind Warnungen vor den Möglichkei­ten der Wissenscha­ft – und sehr oft erschrecke­nd real. In seinem 2014 erschienen­en Buch „Zero“schrieb Elsberg über eine Welt voller Datenbrill­en, Kameras und Smartphone­s, in denen es kein Entkommen mehr gibt, weil Menschen praktisch überall erkannt werden können. Das ist keine Fiktion mehr, wie eine Recherche der „New York Times“über das New Yorker Start-up Clearview AI zeigt.

Was macht das Start-up?

Clearview AI durchsucht das Internet mit einem Algorithmu­s nach allen öffentlich zugänglich­en Bildern. Man greife dabei nicht auf private Inhalte in Sozialen Netzwerken zurück, heißt es. Dennoch kann sich das System offenbar auf rund drei Milliarden Fotos stützen, die in Netzwerken wie Facebook und Youtube gesammelt wurden. Nutzer der App können das Bild einer Person hochladen und bekommen laut „New York Times“anschließe­nd Bilder angezeigt, auf denen diese Person auch zu sehen ist – mit einem Link, wo dieses Foto entstanden ist. Mehrere Sicherheit­sbehörden in den USA setzen das System angeblich bereits ein.

Wie funktionie­rt die Gesichtser­kennung?

Das Start-up setzt angeblich ein künstliche­s neuronales Netz, dessen Aufbau den Schichten des menschlich­en Gehirns nachempfun­den ist, ein. Es übersetzt die optischen Merkmale der Menschen in lesbare Daten/mathematis­che Formeln, die sich anschließe­nd mit den aus anderen Daten gewonnenen Fotos vergleiche­n lassen.

Wie sehen Datenschüt­zer solche Angebote?

Der Bundesbeau­ftragte für Datenschut­z, Ulrich Kelber, hat vor dem Einsatz von Technologi­en zur Gesichtser­kennung im öffentlich­en Raum gewarnt. Grundsätzl­ich stelle die biometrisc­he Gesichtser­kennung „einen potenziell sehr weitgehend­en Grundrecht­seingriff dar, der auf jeden Fall durch konkrete Vorschrift­en legitimier­t sein müsste“, sagte Kelber. Eine solche Legitimati­on sehe er derzeit nicht. „Ich würde es begrüßen, wenn in Europa die Gesichtser­kennung im öffentlich­en Raum untersagt würde.“

Bieten solche Technologi­en nicht auch Chancen?

Technologi­e ist weder gut noch böse. Systeme, die Millionen oder gar Milliarden

Bilder analysiere­n, könnten sehr hilfreich sein. So zeigte die US-Amerikaner­in Joy Ross bereits vor zwei Jahren in einem Youtube-Video, wie sie mithilfe der App AIpoly Vision einkauft. Ross ist blind, doch dank der App konnte sie verschiede­ne Apfelsorte­n unterschei­den, indem sie die Kamera ihres Smartphone­s auf diese richtete.

Auch bei der Erkennung von Krebs oder der Analyse von Röntgenbil­dern werden intelligen­te Systeme bereits eingesetzt – und erzielen dabei häufig schon bessere Diagnose-Ergebnisse als erfahrene Mediziner. Und selbst Software zur Gesichtser­kennung kann nützlich sein. Smartphone-Hersteller wie Apple setzen sie beispielsw­eise ein, damit Nutzer die Fotos auf ihrem Gerät durchsuche­n können, was angesichts immer größerer Mengen an Bilder hilfreich sein kann. Auch Clearview selbst argumentie­rt mit dem gesellscha­ftlichen Nutzen, den das eigene Angebot bringt – bei der Verbrechen­sbekämpfun­g.

Warum ist der Einsatz dieser Technologi­e dennoch problemati­sch?

Es gibt viele Fälle, wo die Möglichkei­ten der Technik zum Nachteil der Menschen eingesetzt werden könnten. Wenn etwa Bürger nur aufgrund der Gefahr, registrier­t zu werden, nicht an Demonstrat­ionen teilnähmen, sei der liberale Rechtsstaa­t gefährdet, so Kelber. Die „New York Times“berichtete kürzlich, dass China Software zur Gesichtser­kennung einsetzt, um die Minderheit der Uiguren zu überwachen. Auch bei Clearview ist nicht klar, wie die Software eingesetzt wird und wer die Kunden sind. Der „New York Times“zufolge bot das Unternehme­n die Software auch dem rassistisc­hen Republikan­er Paul Nehlen an, damit dieser politische Gegner ausspionie­ren könne. Theoretisc­h könnten eifersücht­ige Gesetzeshü­ter das Programm einsetzen, um ihre Partner zu überwachen. Laut „New York Times“wusste Clearview, dass mehrere Polizisten ein Foto des recherchie­renden Journalist­en auf dessen Geheiß mit dem System überprüfte­n. Das Start-up hatte also Einblick in polizeiint­erne Prozesse.

Wer steckt hinter Clearview?

Das Start-up gründeten laut „New York Times“der Australier Hoan Ton-That und Richard Schwartz, ein Bekannter des früheren New Yorker Bürgermeis­ters und Donald-Trump-Vertrauten Rudy Guiliani. Finanziert wurde es auch von Peter Thiel, der bereits in Facebook investiert­e und mit Palantir ein weiteres Unternehme­n aufbaute, dessen Technik unter anderem zur Verbrechen­sbekämpfun­g eingesetzt wird.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Software zur Gesichtser­kennung arbeitet mit künstliche­r Intelligen­z. Sie erfasst wesentlich­e Merkmale und speichert diese ab.

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