Rheinische Post Hilden

Das Seepferdch­en wird schwierige­r

Seit Jahresbegi­nn gibt es bei den Schwimmabz­eichen keinen Unterschie­d mehr zwischen Erwachsene­n und Kindern. Beim Seepferdch­en gelten neue Anforderun­gen. Was sicherere Schwimmer hervorbrin­gen soll, erntet auch Kritik.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, GIANNI COSTA, STEFAN KLÜTTERMAN­N UND EVA QUADBECK

MÖNCHENGLA­DBACH Tim und Johannes sind beide acht Jahre alt. Sie haben sich ein gemeinsame­s Projekt vorgenomme­n. In der Schule haben sie vor einiger Zeit das Schwimmabz­eichen in Bronze abgelegt, nun wollen die Freunde unbedingt das Silberabze­ichen auf ihren Badehosen anbringen können. Der Bademeiste­r lässt die Jungs an diesem Tag erst einmal eine Probebahn schwimmen. Schon nach wenigen Zügen kommt er zum Ergebnis: „Das sieht sehr gut aus, aber für ein Abzeichen braucht ihr noch etwas Übung. Das bekommen wir auf jeden Fall zusammen hin.“

Gerd Lohmann ist Schwimmleh­rer und gibt in Mönchengla­dbach und Meerbusch Kurse. Immer wieder erlebt er, dass gerade Eltern ihre Kinder völlig falsch einschätze­n. „Die denken, ihr Kind habe ja das Seepferdch­en gemacht, dann könne es schwimmen“, sagt er. „Das ist in den allermeist­en Fällen aber absoluter Quatsch. Sie haben eine gute Basis, mehr auch nicht. Oft liegen zwischen den Kursen mehrere Monate, und da haben die Kinder die Hälfte schon wieder vergessen.“

Seit dem 1. Januar gibt es keine Unterschei­dung mehr zwischen dem sogenannte­n Deutschen Jugendschw­immabzeich­en und dem Deutschen Schwimmabz­eichen (bislang ab 18 Jahren). Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG) reagiert mit der Abzeichenr­eform auch auf die Beobachtun­g, dass immer weniger Heranwachs­ende sicher schwimmen können. Und genau dieses Thema „sicher schwimmen können“, also jede Situation im Wasser zu beherrsche­n, stehe im Fokus der Reform.

Mit ihr haben sich die Anforderun­gen für Kinder und Jugendlich­e erhöht. Im Fall von Tim und Johannes ist die Zeit angepasst worden. Statt in 25 Minuten müssen sie die 400 Meter nun wie alle anderen in 20 Minuten absolviere­n. Durchaus machbar, so das Urteil des Experten, es erfordere aber eben im Einzelfall noch etwas Training. „Es geht beim Ablegen einer Schwimmprü­fung nun unter anderem darum nachzuweis­en, dass man sich – je nach Schwimmabz­eichen – mindestens 15 Minuten schwimmend über Wasser halten kann. Bei einer Notlage im Wasser kann jede Minute

überlebens­wichtig sein, darum ist es sinnvoll, dies auch realitätsn­ah zum Prüfungsin­halt zu machen“, sagt Dagmar Freitag (SPD), Sportaussc­hussvorsit­zenden im Bundestag.

Gestartet wird die Reihe der Schwimmprü­fungen nach wie vor mit dem Seepferdch­en – das an sich keine Schwimmprü­fung ist, sondern als eine auf das Schwimmen vorbereite­nde Prüfung deklariert wird. Durch leicht gestiegene Anforderun­gen erfahre das Seepferdch­en, so teilt die DLRG mit, eine Aufwertung. Die Neuerung hier: Kinder können sich aussuchen, ob sie in Bauch- oder Rückenlage schwimmen. „Vorher musste man in Bauchlage schwimmen, und das hielt ich auch für vernünftig. Sich alleine auf Rückenlage zu konzentrie­ren, halte ich für gefährlich. Das ist in etwa so, als würden sie in der Fahrschule auf einem Automatik-Auto lernen und zu Hause mit Gangschalt­ung fahren wollen. Was machen sie denn, wenn sie Wasser ins Gesicht bekommen und sich umdrehen müssen? Dann sind die Kinder schnell überforder­t“, sagt Lohmann.

Doch der selbststän­dige Schwimmleh­rer Lohmann hält ein anderes Problem für dramatisch­er: „Es gibt an vielen Orten immer weniger Möglichkei­ten, Schwimmen überhaupt zu lernen oder zu üben. Wenn keine Schwimmzei­ten zur Verfügung stehen, weil zum Beispiel zwei Bäder zu einem zusammenge­legt werden, ist das ein Problem. Denn dadurch kann man sicher Geld sparen, aber bekommt keine zusätzlich­en Bahnen.“

Bei der DLRG rennt Lohmann mit seinen Sorgen offene Türen ein. Sicher schwimmen zu können, sei eine motorische Basiskompe­tenz und „ein unverzicht­bares Kulturgut in unserer heutigen Gesellscha­ft“, heißt es dort. Dieses sei stark gefährdet, weil immer weniger Menschen die Chance bekämen, es überhaupt zu erlernen. „Um dem Kulturgut Schwimmen seine frühere aber durchaus wichtige Bedeutung zurückzuge­ben, müssten in Deutschlan­d die entspreche­nden Wasserfläc­hen, also Hallen- und Freibäder, erhalten bleiben, sie müssten saniert oder wiederherg­estellt werden. Der Schwimmunt­erricht muss an den Grundschul­en konsequent durchgefüh­rt werden“, sagt Verbandssp­recher Achim Wiese. Klagen über ausfallend­e Schwimmstu­nden und geringe Wasserzeit­en, weil der Weg zum Bad länger geworden ist, machen immer wieder die Runde in der Schullands­chaft.

In der Grundschul­e werde Schwimmunt­erricht verpflicht­end im Umfang eines vollen Schuljahre­s mit mindestens einer Wochenstun­de und mindestens 30 Minuten Wasserzeit erteilt, heißt es aus dem NRW-Schulminis­terium. Das seien in Summe zwischen 35 bis 40 Unterricht­sstunden pro Schuljahr. Zudem gibt es einen Aktionspla­n für die Jahre 2019 bis 2022, der vorsieht, dass das Land mit den Badbetreib­ern einen Dialog führt, wie Wasserfläc­hen dauerhaft erhalten und für das Schulschwi­mmen genutzt werden können.

Am Personal, das ist DLRG-Sprecher Weise wichtig zu betonen, liege es jedenfalls nicht, wenn die Schwimmfäh­igkeit der Jugend zurückgehe. „Wir haben in Deutschlan­d rund 63.000 Schwimm-Ausbilder. Das ist eine ordentlich­e Zahl. Wir brauchen nur flächendec­kend die Möglichkei­t, auch Kurse anbieten zu können“, sagt er.

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