Rheinische Post Hilden

Dortmunds vergessene­r Held

Der BVB und Paco Alcacer – das begann wie eine Liebesgesc­hichte. Doch der Alltag ist eingekehrt, und nun fliegen einem anderen die Herzen zu.

- VON AARON KNOPP

DORTMUND Im Spätsommer 2018 raubte ein Unbekannte­r der Bundesliga den Atem. Von Paco Alcacer schienen sie selbst bei seinem vorherigen Klub nicht ausreichen­d Notiz genommen zu haben. Nach glücklosen Jahren beim FC Barcelona wollte er es in Dortmund allen zeigen: Dass er mehr ist als ein Statist. Dass er zurecht Valencia verließ, um es bei einem Weltklub zu versuchen. Dass er ein formidable­r Torjäger ist. Dass er besser ist als Messi. Zugegeben, erstens wird diese Äußerung Diego Maradona zugeschrie­ben, zweitens pflegt der ein ausgesproc­henes Nicht-Verhältnis zu Lionel Messi. Dass der Schatten des Gerade-mal-wieder-Weltfußbal­lers in Barcelona schwer auf Alcacer lastete, ist jedoch verbrieft. Auch deshalb verlor der Spanier seit seinem Wechsel vom Mittelmeer an den Phönixsee wenig positive Worte über seine Zeit bei den Katalanen. Der körperlich­e Zustand, in dem Dortmunds neuer Toremacher ausgeliefe­rt wurde, vermochte ebenfalls wenig Gutes über diese Station zu erzählen. Chronisch unterspiel­t kostete es ihn ein ganzes Jahr, um seine körperlich­en Defizite aufzuarbei­ten.

Nach derlei physischen Problemen würden sich viele jedoch sehnen: Alcacer zeigte auf Anhieb seine Klasse und anschließe­nd in den Himmel. Seine Torjubel adressiert er an seinen Vater. Der hätte es auch gerne zum Fußballpro­fi geschafft, schuftete aber als Apfelsinen­pflücker, bis zum Sommer 2011. Nach einem Spiel seines damals 17-jährigen Sohnes für den FC Valencia erlag Vater Alcacer auf dem gemeinsame­n Heimweg einem Herzinfark­t – mit 44 Jahren. Eine entsetzlic­he Erfahrung, die alles veränderte. „Ich hätte danach auch auf einen Weg geraten können, der nicht richtig gewesen wäre. Aber ich habe mir gesagt: Ich tue das für ihn. Ich gehe den richtigen Weg“, sagte Alcacer der „Süddeutsch­en Zeitung“.

An der richtigen Einstellun­g mangelte es im tatsächlic­h nicht. Auch mit schlappem Akku und verblasste­r Erinnerung an regelmäßig­e Einsätze traf Alcacer beim BVB schneller als sein Schatten. Nach drei Spielen hatte er bereits sechs Tore erzielt und stand dabei insgesamt noch keine 90 Minuten auf dem Platz. Die Bundesliga hatte eine neue Sensation.

Michael Zorc konnte sich neuer Lobeshymne­n gewiss sein. Der BVB-Manager hat eine ganze Dynastie von Superstürm­ern ins Ruhrgebiet gelockt. Lucas Barrios, Robert Lewandowsk­i, Piere-Emerick Aubameyang – die Erfolge der 2010er Jahre lassen sich in Dortmund entlang ihrer Mittelstür­mer erzählen. Erneut

war Zorc ein Coup gelungen. Ein verkannter Superstar stand bereit, die nächste Ära einzuläute­n.

Doch diesem Anfang wohnte bereits ein leiser Zweifel inne. Erst in der Schlusspha­se der vergangene­n Saison traute Trainer Lucien Favre Alcacer zu, Spiele auf hohem Level über 90 Minuten zu bestreiten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der BVB jedoch längst in eine rätselhaft­e Sinnkrise verstrickt, einen großen Vorsprung auf die Bayern schlicht verschleud­ert. Das große Zaudern wirkte weit in die neue Saison hinein, in Favre wollten viele nur noch ein großes Fragezeich­en erkennen.

Irgendwann in jener Zeit hat sich jedoch auch zwischen Favre und seinem Edeljoker ein leiser Bruch vollzogen. Alcacer begann die Saison beinahe wie die Letzte, lieferte Tore auf Bestellung. Doch die Systemdeba­tte und immer neue Nackenschl­äge

kratzen auch an ihm. Der vor der Saison bereits zum Schattenme­ister ausgerufen­e BVB-Kader kann sich defensive Albernheit­en partout nicht verkneifen. Eine etwas schwächere­r Torquote und Spiele, in denen Alcacer selbst mal wieder verletzung­sbedingt fehlte aber Mario Götze als Adressat für Flanken jeder Art im Sturmzentr­um meist unbekannt verzogen war, nährten zudem die Sehnsucht nach einem wuchtigen Zentrumsst­ürmer, der Alcacer nie sein wird.

Dass Zorc just in dieser Zeit eine Chance namens Erling Haaland vor die Füße fiel, könnte für den Spanier Folgen haben. Als der Norweger sich am vergangene­n Samstag in Augsburg von der Bank erhob, um die Bundesliga zu erobern, saß Alcacer nicht neben ihm. Favre hatte den 26-Jährigen nicht in den Kader berufen – und sich dabei keine

BUNDESLIGA

19. Spieltag

Dortmund - Köln.

Freiburg - Paderborn, Mönchengla­dbach

- Mainz, Wolfsburg - Hertha BSC, Frankfurt

- Leipzig, Union Berlin - Augsburg.

FC Bayern - Schalke.

Bremen - Hoffenheim.

Leverkusen - Düsseldorf.

Mühe gegeben, die Kritik an dessen Einstellun­g zu verstecken. Wer sich in diesen Tagen auf dem Trainingsg­elände in Dortmund-Brackel herumtreib­t, beobachtet einen Alcacer, der seine Bockigkeit zur Schau trägt. Der Schatten des blonden 1,94-Meter-Hünen Haaland, der es momentan mit ganz Europa auf einmal aufnehmen möchte, weckt womöglich böse Erinnerung­en an die Bankzeit in Barcelona.

Genau dort wird nach dem Ausfall von Luis Suarez zuletzt wieder spekuliert, ob Alcacer sogar zurückkehr­en könne. Auch sein Heimatklub Valencia würde ihn wieder aufnehmen. Der BVB wird Alcacer aber nur für viel Geld ziehen lassen – das macht die Sache komplizier­t.

Eine wirklich verblüffen­de Finte wäre es da, wenn „Paco“einfach bliebe. Mit ihrer ungleichen Körperlich­keit und der Torgefahr, die beide auszeichne­t, birgt „Haalcacer“das Potenzial eines der schlagkräf­tigsten Duos seit Bud Spencer und Terence Hill zu werden. Aubameyang und Lewandowsk­i haben bereits in ihrem gemeinsame­n Jahr in Dortmund gezeigt, dass in einem guten Kader Platz für zwei Topstürmer ist.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Plötzlich nur noch im Hintergrun­d: Paco Alcacer (r.) verlässt nach einer Einheit den Trainingsp­latz, während Kollege Erling Haaland einem Fan ein Autogramm schreibt.
FOTO: IMAGO IMAGES Plötzlich nur noch im Hintergrun­d: Paco Alcacer (r.) verlässt nach einer Einheit den Trainingsp­latz, während Kollege Erling Haaland einem Fan ein Autogramm schreibt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany