Leidenschaft für Quallen
Verena Meis und Kathrin Dreckmann gründeten das Qualleninstitut als Stätte zwischen Wissenschaft, Medien und Kunst.
Verena Meis und Kathrin Dreckmann kennen sich seit gut 20 Jahren, sind beste Freundinnen und haben schon während des Studiums zusammen gearbeitet. Seit einem gemeinsamen Urlaub auf Mallorca im Jahr 2012 erforschen die beiden promovierten Kulturwissenschaftlerinnen – die Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Meis arbeitet als Dramaturgin am Forum Freies Theater (FFT), Kathrin Dreckmann lehrt am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – mit großer Leidenschaft Quallen. „Wir hatten uns ein paar Tage freigenommen, waren nach Mallorca geflogen und konnten dann nicht im Meer schwimmen, weil Strand und Wasser voller Feuerquallen waren“, erinnert sich Meis.
Die beiden waren nicht begeistert, fanden die Quallen aber sofort faszinierend und begannen zu recherchieren und sich näher mit diesen gallertartigen Meerestieren zu beschäftigen – und zwar aus ihrer persönlichen Forschungsperspektive.Quallen bestehen zu 98 Prozent aus Wasser. Sie haben keinen Kopf, kein Herz, keine Knochen und kein Gehirn. Sie sind queere, also von der Norm abweichende, Lebewesen. Sie können ihre Identität verändern, vom Polypen zur Qualle, und sich geschlechtlich und ungeschlechtlich fortpflanzen. Quallen sind außerdem sehr anpassungsfähig, sie sind wahre Überlebenskünstler, lassen sich mit der Strömung treiben und erobern so in
Schwärmen die Weltmeere. „Wir haben dann schnell herausgefunden, dass sich nicht nur Meeresbiologen mit Quallen beschäftigen, sondern dass sie auch in der Literatur, in der Musik, in Filmen oder im Tanz vorkommen“, sagt Dreckmann. So habe es bereits im 18. und 19. Jahrhundert von Künstlern begleitete Reisen zur Erforschung von Meerestieren gegeben, ergänzt Meis. Die Künstler zeichneten oder malten die Tiere – auf diese Weise entstanden schon damals Bilder von Quallen.
Bekannt sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die Aquarelle des Naturforschers Ernst Haeckel aus dem 19. Jahrhundert. „Auch in der Popkultur tauchen Quallen immer wieder auf, etwa in dem Musikvideo zu Oceania von Björk. Darin wird die Sängerin von Quallen umtanzt“, erzählt Meis. Je mehr die Wissenschaftlerinnen über Quallen herausfanden, desto mehr war ihr Forscherdrang geweckt. „Wir haben uns sozusagen an der Qualle festgebissen, sie dient uns als Denkfigur“, sagen beide übereinstimmend. Inzwischen haben sich diese faszinierenden Wesen für sie zu einem Hauptforschungsthema entwickelt, zu dem sie schreiben oder Veranstaltungen organisieren. Sie sehen ihre Quallenforschung als interdisziplinäres Projekt zwischen Wissenschaft und Kunst. Immer wieder kooperieren sie dabei mit Künstlern, seien es Choreografen, Regisseure, bildende oder auch
Video- und Soundkünstler. So haben sie beispielsweise als Qualleninstitut einen Beitrag für den Ausstellungskatalog von Carsten Nicolai verfasst, dessen Arbeiten derzeit im K21 zu sehen sind. Eines seiner Werke mit dem Titel „98% Wasser“zeigt drei Ohrenquallen in einem Aquarium und beschäftigt sich mit der Frage, wozu die zwei Prozent der Qualle, die eben nicht aus Wasser bestehen, wohl fähig sind. Meis und Dreckmann stehen mit dem Künstler in Kontakt, forschen zu seiner Arbeit. Für die Zukunft möchten sie ihr Qualleninstitut, das derzeit keine feste Adresse hat, eher virtuell besteht und projektweise arbeitet, zu einem richtigen Forschungsinstitut ausbauen.