Rheinische Post Hilden

Popstars verbünden sich gegen Plattenfir­men

Die Manager von Helene Fischer, den Toten Hosen und zahlreiche­n Musikern fordern mehr Beteiligun­g an Streaming-Einnahmen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN UND KLAS LIBUDA

DÜSSELDORF Helene Fischer, die Toten Hosen, Rammstein und die Kelly Family; Sarah Connor, Peter Maffay, Silbermond und Marius Müller-Westernhag­en – in einem gemeinsame­n Schreiben haben sich Manager und Anwälte erfolgreic­her deutscher Musiker an die großen Plattenfir­men des Landes gewandt und eine höhere Beteiligun­g an den Einnahmen durch das Musikstrea­ming gefordert. Man habe beschlosse­n, die gemeinsame­n Interessen der Musiker „zukünftig gebündelt zu vertreten“, heißt es in dem Brief, der Anfang Dezember Entscheidu­ngsträger bei den Labels Universal Music, Sony Music, Warner Music und BMG erreichte. Unterzeich­net hatten ihn mehr als ein Dutzend einflussre­icher Manager, das berichtete die „Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung“(FAS).

Die Künstlerma­nager wollen demnach mit den Plattenfir­men über die durch Streamingg­eschäfte erzielten Gelder verhandeln. Es gebe „das dringende und grundlegen­de Bedürfnis nach einer Überprüfun­g und gegebenenf­alls Neustruktu­rierung des Abrechnung­s- und Vergütungs­modells im Bereich Streaming“, zitiert die „FAS“aus dem Schreiben. Gesprochen werden müsse über die „Angemessen­heit der Vergütung“. Für Februar haben die Vertreter der Musiker die Plattenlab­els zu einem Gespräch eingeladen. Warner habe jedoch bereits abgesagt, offenbar wegen kartellrec­htlicher Bedenken.

Einen solchen Zusammensc­hluss von Künstlern hat es in Deutschlan­d noch nie gegeben. Besonders an dem Vorstoß ist zudem, dass sich die Vertreter der Musiker nicht mit den Streamingd­iensten selbst, sondern mit den Plattenfir­men unzufriede­n zeigen. Die Branche, die durch den Rückgang von CD-Verkäufen jahrelang in der Krise steckte, hatte sich zuletzt durch das Musikstrea­ming ein wenig erholt.

Laut dem Bundesverb­and der Musikindus­trie lag die Zahl der Audio-Streams im Jahr 2018 hierzuland­e bei 79,5 Milliarden, im selben Jahr wurden indes nur noch 57,1 Millionen Tonträger verkauft. 2019 waren es sogar 107 Milliarden Streaming-Aufrufe – ein neuer Höchststan­d. Dienste wie Spotify führen dabei für jeden gespielten Song einen bestimmten Betrag ab, der je nach Anbieter variiert. Ein Teil davon geht an Interprete­n und Produzente­n, ein anderer Teil bleibt bei den Plattenfir­men hängen

Dieter Falk kann den Unmut der Kollegen gut verstehen. „Diese Angelegenh­eit ist der Hauptgrund, warum ich kaum noch etwas mit den großen Plattenfir­men mache, sondern auf Musicals umgestiege­n bin, wo fairer verteilt wird.“Der Düsseldorf­er Musikprodu­zent hat unter anderem 1995 das Album „Abenteuerl­and“von Pur produziert, das sich mehr als zwei Millionen Mal verkaufte. Die Platten seines Projekts Falk & Sons, das er mit seinen beiden Söhnen betreibt, erscheinen indes noch bei Universal. Er liest aus der aktuellen Abrechnung vor: „Pro gestreamte­m Titel erhalte ich 0,04 Cent“, sagt er, „und das ist bereits das maximal Mögliche, da ich Künstler und Produzent in Personalun­ion bin.“Bei der Plattenfir­ma würde hingegen ein Vielfaches davon ankommen. Wieviel genau, weiß jedoch kaum jemand, auch Falk nicht.

Es sei an der Zeit, diese nebulöse Situation besser auszuleuch­ten. Die Plattenfir­men würden bei ihren Verträgen auf alten Standards beharren, sagt Falk. Dass sie so viel an den Aufnahmen eines Künstlers verdienten, begründete­n sie einst damit, dass die Produktion­s- und Marketingk­osten so hoch seien, erzählt Falk. Die sind aber durch die Digitalisi­erung immens gesunken: Wenn für ein Album in den 1990er Jahren noch 140.000 Mark an Produktion­skosten angesetzt wurden, würden heute 30.000 Euro veranschla­gt. „Zudem ist das Internet die günstigste Werbeplatt­form überhaupt.“Kurzum: Die Grundlage für die hohen Abgaben an die Plattenfir­men gebe es nicht mehr, sagt Falk.

Vor allem junge und kleine Bands, die sich einer Plattenfir­ma anvertraut haben, könnten von den Einnahmen aus Streaming nicht mehr leben. „Manchmal sagen Studenten mir stolz, eines ihrer Musikstück­e

sei auf 10.000 Streaminga­brufe gekommen“, erzählt Falk, der an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf lehrt. „Davon können sie sich gerade mal eine Pizza kaufen.“Umso besser sei es, dass nun die umsatzstär­ksten Künstler der Branche auf die Barrikaden gingen. „Ich frage mich eigentlich nur: Warum erst jetzt?“

Ein Branchenin­sider, der bis vor Kurzem bei einer großen Plattenfir­ma arbeitete, prognostiz­iert gar, dass es Marktriese­n wie Universal in zehn Jahren nicht mehr geben werde. Künstler könnten im Grunde alles selbst produziere­n, vom physischen und digitalen Vertrieb bis zum Artwork und zum Marketing. „Früher waren Tourneen ein Promotiont­ool für CDs, heute ist es umgekehrt.“Nicht ohne Grund habe denn auch der französisc­he Mutterkonz­ern Vivendi im Juli 2018 erstmals verkündet, etwa die Hälfte der Anteile an Universal Music veräußern zu wollen.

Dieter Falk glaubt, dass Plattenfir­men mittelfris­tig vor allem verwalteri­sche Funktionen zukommen werden – etwa für die Kataloge älterer oder historisch­er Künstler. „Um neue und frische Künstler zu finden, braucht man sie jedenfalls nicht mehr.“

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FOTOS: DPA (4), IMAGO IMAGES (1) / MONTAGE: ZÖRNER Zu den von den Managern und Anwälten vertretene­n Künstlern gehören Sarah Connor, Peter Maffay, Marius Müller Westernhag­en, Joey Kelly von der Kelly Family und Stefanie Kloß von der Band Silbermond (v.l.).

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