Gerhard Hoehmes Kosmos
Die wundervolle Retrospektive in der Galerie der Kunstakademie veranlasste Rektor Petzinka zu einer spontanen „Beatmungsaktion“, wie er sagt: Ab sofort ist der Eintritt in die Ausstellungsräume frei.
Karlheinz Petzinka weiß, was er will. Nämlich immer noch mehr, noch bessere Bedingungen für seine Studierenden, die interessantesten Professoren an den Rhein ziehen und die Kunstakademie außenwirksam darstellen, so wie sie es verdient. Die Geniebude, wie sie Markus Lüpertz gerne nannte, ist nicht nur national und international als hochrangig einzuschätzen, sondern sie ist auch der Nukleus im weitschweifigen Kunstgeschehen von Düsseldorf.
Das sollte sie jedenfalls sein, sagt Karl-Heinz Petzinka, Rektor seit 2007, von Hause aus Architekt und daher umbaufreudig. Die Woche des traditionellen und überaus beliebten Semesterrundgangs soll noch stärker Menschen für die Akademie in der Breite begeistern, für ihre Kunst und Künstler, die alle in einer Stadt leben oder lebten, die sich gerne Kunststadt nennt. Dem fallenden Wert dieses Gütesiegels – bedingt etwa durch Abschaffung der Quadriennale oder Abschaffung des Kunstpreises – will Petzinka offensiv begegnen, indem er gemeinsam mit Kunstpalastchef Felix Krämer eine ereignisreiche kompakte Kunstwoche Anfang Februar anbietet.
„Wir sind Teil der Stadt“, sagt Petzinka, „in unseren Ausstellungsräumen soll es künftig noch lebendiger zugehen.“Daher entschied der Rektor, ab sofort die Eintrittspreise zu streichen. Eine „Beatmungsaktivität“nennt er das. Seit 2005 hat die Akademie am Burgplatz ihre eigene Galerie in Toplage direkt am Rhein; Zuschnitt, Ausstattung sowie architektonische Qualität sind Eins a. 650 Quadratmeter fügen sich zu einem ansprechenden Raum-Kontinuum.
Jetzt wird in der Galerie an Gerhard Hoehme erinnert, den berühmten Künstler, der am 5. Februar 100 Jahre alt würde. An der Akademie
hatte er Anfang der 1950er Jahre bei Otto Coester studiert, nachdem der in Greppin Geborene aus der DDR in den Westen gekommen war. Nach seiner „documenta“-Teilnahme berief man ihn 1960 zum Professor. Mehr als 20 Jahre lehrte er am Eiskellerberg und hatte so prominente Schüler wie Sigmar Polke und Chris Reincke. 1989 starb er in Neuss, wo er zuletzt sein Atelier betrieb.
„Das Gedächtnis zu pflegen ist wichtig an den Schnittstellen von
Vergangenheit und Zukunft“, sagt Petzinka, deshalb dürfte die aktuelle Ausstellung für alle von großem Interesse sein. Für jene, die die Zeiten des künstlerischen Aufbruchs selbst miterlebt hätten in Düsseldorf, und für jene, die gerade erst ihren künstlerischen Weg suchten; zugleich aber auch für alle Kunstenthusiasten, die in der Stadt am Rhein erste Qualität gewohnt sind.
Hoehmes Welt – das ist ein Kosmos, der erforscht werden will, das sind Bilder, die sich selbst pausenlos in Frage stellen und entgrenzen, Bilder, die von Virtuosität und Poetik zeugen und die zugleich eindringlich emotionale Lesarten eines Männerlebens nach dem Zweiten Weltkrieg anbieten. Als Kuratorin hat Vanessa Sondermann diesem Meister nachgespürt, hat dessen Wege in dessen Welt verfolgt, die sich aus den Bildern plastisch herauslesen lassen, und Leihgaben zusammengeholt, die ein atemberaubendes Panorama gewähren.
Selbst wer denkt, er kannte Hoehme, kann noch viel dazulernen. Das vielleicht größte Kompliment an die Kuratorin lautet: Wer ihn so wie sie kenntnisreich hängt, wird ihn als Modernen präsentieren. Und wenn auch nicht alle Werkphasen des umtriebigen Denkers aus konservatorischen Gründen abgebildet werden konnten, so sind doch maßgebliche Stücke versammelt. Dank der chronologischen Hängung durchschreitet man ein Künstlerleben, das als Markenzeichen gleich mehrere hinterlässt: Wichtiger Vertreter des deutsche Informels, Befreier von Farbe und Form, Avantgardist, Abstrakter, Experimentierer, Schriftmaler, Poet, Erbauer von Borkenbildern, Vulkanforscher, Italienfreund, Glasmaler und Schlauchspezialist, der mithilfe von eingewebten Fäden und später wuchernden Kunststoff-Schläuchen das Bild nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich
über seine Grenzen hinwegträgt („Blaustrom“, 1982) und außerhalb der Leinwand wirken lässt.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich Hoehme der Kunst zuzuwenden, sich ausbilden zu lassen und dann zu artikulieren. Wie manche seiner Generation hat er wohl nie über die Gräuel gesprochen, die er als Luftwaffen-Flieger erlebt hat, nicht über Einzelheiten und mögliche Traumata. Doch seine Sicht auf die Welt kommt einem mitunter vor wie aus tausenden Metern Entfernung taxiert – was heute Pixel können oder sich in den fantastischen Fotoarbeiten eines Andreas Gursky ereignet, vermochte er mit genialem Farbauftrag, Struktur, Motivik, Komplexität und Plastizität in einem Stimmungsbild zusammenzubringen. „Die große Strukturlandschaft“heißt das dann oder „Lebensraum“. Wer will, kann darin alles erkennen, was Leben bedeutet, vor allem kosmische Energie.