Das Geheimnis der Tajine
In Nordafrika hat unsere Autorin gelernt, wie man marokkanischen Schmortopf zubereitet – und versteht jetzt ihre Nachbarn besser.
Warum willst du unbedingt nach Marokko?“, fragt der Herr des Hauses. „Du wohnst in Oberbilk!“
Wahrscheinlich ist es gerade das: Es macht mich wahnsinnig, umgeben zu sein von Menschen, Dingen und Lebensmitteln, die ich nur unzureichend verstehe. Ich möchte wissen, warum das flache runde Brot auf dem oberen Regal der Bäckerei an der Ecke „Fladenbrot“und das flache runde Brot auf dem untersten Regal „Hausbrot“heißt. Der Verkäufer versteht meine Frage nicht, er lächelt entschuldigend. Französisch müsste man können, oder besser noch Arabisch. Warum sind die dutzenden Tajines, die an der Ellerstraße auf einem Regal stehen, so geformt, wie sie es sind, und wie unterscheidet man eine gute Tagine von einer schlechten? (Sie haben sie bestimmt schon einmal gesehen, diese nach oben zulaufenden Schmortöpfe aus Keramik. Wenn nicht, bestellen Sie mal eine – das Gericht heißt so wie der Topf, in dem es zubereitet wird – bei La Grilladine am Dreiecksplatz.) Und wie kriegt man den Minztee so hin, wie er einem im Restaurant aus Metallkännchen in kleine Gläser eingeschenkt wird?
Ein paar dieser Fragen hat mir diese Woche Amine beantwortet, ein freundlicher, schwarzgekleideter Mann etwa in meinem Alter, der sich beim Gehen auf einen Stock stützt. Er wurde geboren in der Medina, der Altstadt von Essaouira. Mit 18 wurde er Koch. Einige Jahre betrieb er sein eigenes Restaurant wenige hundert Meter von seinem Geburtshaus entfernt, dann musste er wegen einer Krankheit drei Jahre pausieren. „Den ersten Tag, an dem ich wieder auf den Beinen war, bin ich losgegangen und habe mein heutiges Restaurant gemietet“, erzählt er auf dem Weg zum Hafen.
Er glaube nicht, dass es heute guten Fisch gebe, wegen des Wetters sei niemand rausgefahren, sagt er, aber wir probieren es trotzdem und finden genau einen schrecklich hässlichen Seeteufel (wo wir doch eigentlich Dorade wollten). Amine zeigt mir, dass nur dieser
Fisch frisch gefangen ist, alle anderen waren zwischendurch tiefgefroren: Auf der dunkelbraunen Haut liegt noch ein durchgängig glitschiger Film, das Fleisch ist fest. „Du kannst das Leben noch sehen“, sagt Amine. Auf dem Markt zeigt er auf ein weißgefiedertes Huhn und der Verkäufer schneidet dem Tier die Kehle durch. Während es ausblutet, kaufen wir Oliven, Harissa (eine Chili-Zitronen-Paste), bundweise Minze und Absinth (den die Marokkaner im Winter lieber als Tee trinken), reichlich Gemüse und Brot.
In Amines Küche lüftet er als erstes das Geheimnis des Tees: Grüner Gunpowder wird überbrüht, bis die Blätter aufgehen. Dieser erste kleine Aufguss wird aufbewahrt. Mit dem zweiten wäscht man die offenen Blätter – das trübe Ergebnis landet im Abguss. Der erste Aufguss kommt wieder in die Kanne, mehr Wasser, dann eine Hand voll Minze mit kleinem Blatt. „Tu sofort Zucker dazu, sonst wird die Minze bitter!“Das Kraut wird mit einem Suppenlöffel Zucker untergetaucht.
Das zerteilte Huhn wird mit grobem Meersalz und Zitronenachteln „gewaschen“, dann abgespült. Wir massieren es mit der Gewürzmischung Ras el Hanout (die einen eigenen Artikel verdient hat), Knoblauch, Salz, Pfeffer und Öl. Dann wird es auf dem Boden der Tajine auf Zwiebelwürfel gebettet und auf kleiner Flamme geschmort; später häufen wir Gemüse darüber. Der Fisch bekommt eine Massage mit Sharmoulla, einer Paste aus frisch geriebener Tomate, Knoblauch, Petersilie und Gewürzen (Paprika, Kreuzkümmel, Ingwer, Kurkuma, Salz und Pfeffer). Später bedecken wir ihn in der Tajine mit karamellisierten Zwiebeln – das ist Amines Lieblingsgericht.
Warum ist die Tajine geformt, wie sie geformt ist? Ich könnte es nachlesen, dann mit vielen Worten erklären, aber gelernt habe ich, wie eine Tajine schmeckt, die ein Koch, der seine Arbeit liebt, mit frischen Zutaten zubereitet. Niemals wird ein Gericht wieder so schmecken wie das, was Amine und ich gekocht haben, aber jetzt bin ich bereit – bereit, mir an der Ellerstraße meine eigene Tajine zu kaufen und ein bisschen Marokko in meine Küche zu holen.
Kulinarik-Kolumne Unsere Autorin schreibt jede Woche übers Einkaufen, Kochen und Genießen in Düsseldorf. Hier finden Sie die vorangegangene Folge. Anregungen bitte an helene.pawlitzki@rheinische-post.de.