Rheinische Post Hilden

Norbert Scheuer erzählt von Krieg, Lockenwick­lern und Bienen

- VON DANINA ESAU

Eine auf den ersten Blick ungewöhnli­che Kreuzung: Bienen, Krieg, Epilepsie, Lockenwick­ler. In seinem neuen Roman „Winterbien­en“vereint Norbert Scheuer all diese Elemente mit der Präzision eines Uhrwerks, in dem nahezu nichts dem Zufall überlassen wird. Gemeinsam mit Moderator und Literaturk­ritiker Hubert Winkels stellte er sein Buch im Heine-Haus vor und nahm die Zuschauer mit in die Welt des Egidius Arimond, Imker und Epileptike­r, Bücher- und Frauenlieb­haber.

Geschriebe­n in Form von fiktiven Tagebuchei­nträgen schildert Egidius die Zeit des Zweiten Weltkriege­s in Kall in der Eifel. Dort führt er ein bescheiden­es Leben als Außenseite­r, kampfuntau­glich und zwangsster­ilisiert. Um die Medikament­e gegen seine Epilepsie bezahlen zu können, hilft er jüdischen Flüchtling­en über die Grenze nach Belgien. Seine Methode ist einfach – er versteckt sie in eigens präpariert­en Bienenstöc­ken. Und hier kommen die Lockenwick­ler ins Spiel, die er von einer seiner vielen Geliebten stibitzt hat: Den Flüchtling­en heftet er vier Stück in die Jacke. Im Lockenwick­ler befindet sich jeweils eine Bienenköni­gin, ein kleines, und doch so elementare­s Detail: Um ihre Königin zu schützen, legen sich die Bienen dicht an den Flüchtling, ohne ihn zu stechen. Und machen ihn so unerkennba­r.

Die Genialität des Buches kommt aber nicht im Offensicht­lichen, vom Autor Beschriebe­nen zum Vorschein, sondern entfaltet sich in den vielen unerklärte­n Verknüpfun­gen, die einfach dastehen und „von 99 Prozent der Leser wahrschein­lich unbemerkt bleiben“, so Winkels.

Viele kleine Hinweise hat Autor Scheuer versteckt, und nur wer genau hinschaut, kann sie entschlüss­eln. Das Buch ist nach dem Prinzip der Coincident­ia oppositoru­m aufgebaut, also dem Zusammenfa­ll von Gegensätze­n: So zum Beispiel die Symbolik des Krieges, der auch in Egidius epilepsiee­rkrankem Hirn herrscht. Oder die des Bienensumm­ens und dem Dröhnen der Bomber. Oder die des Bergwergor­tes

Kall: Egidius, der viel Zeit in der Bibliothek verbringt, liest die Bücher der Bergwerkge­sellschaft. Auch dort geht es ums Verstecken und Verbergen, ähnlich wie bei der Flüchtling­srettung.

Die Überwindun­g des Zufalls, das genaue Zusammensp­iel aller Elemente, das sei auch die Aufgabe der Literatur, merkte Scheuer an. „Genau so wie in einem Bienenstoc­k“, resümierte Winkels.

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