Rheinische Post Hilden

Fast 900 Verfahren gegen Clans

Die Ermittlung­en gegen kriminelle Clans in Duisburg und Essen sind binnen eines Jahres erheblich ausgeweite­t worden. Drogendeli­kte und Körperverl­etzung führen die Liste an.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DUISBURG/ESSEN Die nordrhein-westfälisc­hen Justizbehö­rden greifen im Kampf gegen kriminelle Familiencl­ans zunehmend hart durch. So führen spezielle „Staatsanwä­lte vor Ort“in den Clan-Hochburgen Duisburg und Essen mittlerwei­le 883 Ermittlung­sverfahren gegen derartige Familienve­rbände, wie die beiden Anklagebeh­örden unserer Redaktion mitteilten. Demnach werden allein in Duisburg 662 solcher Verfahren geführt (Stand Mitte November), in Essen sind es 221 (Stand Mitte Dezember).

Vor einem Jahr lag die Zahl der Verfahren in Duisburg bei lediglich 258. Für Essen lagen damals noch keine Ergebnisse vor, weil die „Staatsanwä­lte vor Ort“gerade erst ihre Tätigkeit aufgenomme­n hatten. „Unsere Arbeit macht sich bezahlt. Durch die Bündelung und Konzentrat­ion unserer Ressourcen können wir sehr effektiv gegen diese Strukturen vorgehen“, sagte der Duisburger Abteilungs­leiter der Clan-Ermittler, Oberstaats­anwalt Peter Müller.

Bei dem Projekt „Staatsanwä­lte vor Ort“kümmern sich in Duisburg seit Mitte 2018 drei Staatsanwä­lte um Straftaten, bei denen Mitglieder von rund 70 türkisch-, kurdisch-, libanesisc­h- und arabisch-stämmigen Großfamili­en als Täter vermutet werden. Diesen Familien werden mehr als 2800 Personen zugerechne­t. Anfangs ließen die Staatsanwä­lte nur im Duisburger Norden mit dem bundesweit bekannten Stadtteil Marxloh ermitteln. „Wir haben die Ermittlung­en wegen neuer Erkenntnis­se jetzt auf ganz Duisburg ausgeweite­t. Diese Kriminalit­ät beschränkt sich nicht auf einzelne Stadtteile“, erklärte Müller.

Geändert hat sich auch die Ermittlung­staktik in Bezug auf Luxusautos, die auffallend häufig von jungen Clan-Mitglieder­n gefahren werden. Die Behörden hatten zeitweilig mehrere solcher Autos sichergest­ellt, weil sie Sozialleis­tungsbetru­g vermuteten. „Das machen wir so nicht mehr, weil es schwer für uns ist, den wahren Wert eines solchen Autos bei den Kontrollen festzustel­len“, so Müller. So habe sich manches Fahrzeug bei näherer Betrachtun­g eher als „uralte Kiste“und nicht als besonders wertvoll entpuppt.

Die meisten Clan-Verfahren werden in Duisburg wegen Drogendeli­kten geführt (112). Es folgen Körperverl­etzungen (80), Betrügerei­en (79), Diebstähle (58) und Verstöße im Straßenver­kehr (37) wie etwa illegale Autorennen. 254 Verfahren entfallen auf sonstige allgemeine Straftaten wie Raub und Verstöße gegen das Waffengese­tz. Zudem gab es einen versuchten Totschlag. Nach Informatio­nen aus Polizeikre­isen hat auch einer der spektakulä­rsten Polizeiein­sätze der vergangene­n Jahre in Duisburg Bezüge zur Clan-Kriminalit­ät: Bei dem Großeinsat­z im Juli 2019 riegelten massive Kräfte der Polizei sowie Spezialein­heiten tagsüber einen Straßenzug in Duisburg-Hochfeld ab. Sämtliche Fluchtwege und Ausfallstr­aßen wurden damals mit Linienbuss­en blockiert.

Selbst die Polizei ist überrascht von der hohen Zahl der Ermittlung­sverfahren gegen Clans. „Fast 900 Verfahren in diesem Zeitraum sind schon ein dickes Brett. Das zeigt, dass wirklich etwas getan wird, um die Strukturen einzudämme­n“, sagte der NRW-Vorsitzend­e der Deutschen Polizeigew­erkschaft Erich Rettinghau­s. Die Häufung der Verfahren mache im Übrigen die Versäumnis­se der zurücklieg­enden Jahre deutlich. Da sei viel liegengebl­ieben, „so dass die Clans sich überhaupt erst ausbreiten konnten“, sagte Rettinghau­s.

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