Rheinische Post Hilden

„Manche halten alle Muslime für Schläfer“

In einem Pilotproje­kt der Diakonie lernen Kita-Kinder den Islam kennen. Die Verantwort­lichen über Drohungen und Hass-Mails, Religion als Kita-Thema – und die Radikalism­us-Vorwürfe gegen den beteiligte­n Imam.

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Die Kinder einer Kita in Reisholz lernen neuerdings nicht nur das Christentu­m, sondern auch den Islam kennen. Der evangelisc­he Pastor Hartmut Wölk und Imam Asmer Ujkanovic besuchen dafür regelmäßig die Einrichtun­g. Die Ankündigun­g des Pilotproje­kts sorgte im Frühjahr für große Aufmerksam­keit – und auch für Drohungen und Hass-Mails. Zusätzlich­e Aufregung lösten Vorwürfe über einen angeblich fundamenta­listischen Hintergrun­d des Imams aus.

Herr Wölk, ist das Projekt inzwischen gestartet?

Wölk Ja. Allerdings später als geplant. Angesichts all der Dinge, die vorgefalle­n sind, haben wir mehr Zeit gebraucht. Das mussten wir erst einmal verarbeite­n. Das gilt auch für die Mitarbeite­rinnen der Kita, die mitbekomme­n haben, was in den sozialen Medien und online gelaufen ist. Statt schon im März zu starten, sind wir nach den Sommerferi­en eingestieg­en.

Vor Weihnachte­n haben Sie und Herr Ujkanovic die ersten beiden Besuche absolviert. Wie ist das konkret abgelaufen?

Wölk Die Idee des Projekts ist es, den Kindern Wissen zum Islam zu vermitteln. Ich als evangelisc­her Pfarrer komme schon lange in die Kita. Weil aber ein Drittel der Kinder aus muslimisch­en Familien kommt, wollen wir auch den Islam thematisie­ren. Zuerst sollten die Kinder uns beide kennenlern­en. Die Erzieherin­nen waren dabei, wir haben auch die Eltern bewusst eingeladen. Um den Besuch für die Kinder aufzulocke­rn, haben wir beide unsere Kleidung als Prediger angezogen.

Was haben Sie erzählt?

Wölk Unser Thema beim zweiten Treffen waren Geburtstag­e. Der Geburtstag des Propheten lag Anfang November, die Christen feiern ja wenig später an Weihnachte­n den Geburtstag Jesu. Und Geburtstag ist ein Thema, das die Kita-Kinder gut kennen.

Herr Ujkanovic, was haben Sie erzählt über den Geburtstag des Propheten?

Ujkanovic Mit Kindern zwischen drei und sechs kann man natürlich nicht tiefergehe­nd über religiöse Inhalte reden. Wir haben nur ungefähr 15 Minuten Programm gemacht. Wir haben etwas zur Biografie des Propheten erzählt und Bilder von der Kaaba gezeigt, der heiligen Stätte in Mekka. Dann habe ich ein Lied gesungen. Ein Kind kannte es aus seiner Familie. Wölk Wir haben festgestel­lt, dass wir einen Atlas brauchen, um zu zeigen, wo Mekka und Jerusalem liegen und wo Düsseldorf.

Was hat die Kinder am meisten interessie­rt?

Wölk Dass es zu beiden Festen Geschenke und Süßigkeite­n gibt.

Ujkanovic Sie fanden auch interessan­t, wie in muslimisch­en Ländern die Straßen zum Geburtstag des Propheten geschmückt werden. Das passiert in Deutschlan­d ja auch in der Vorweihnac­htszeit. Uns ist es wichtig, solche Parallelen zu ziehen.

Wie finden Mitarbeite­rinnen und Eltern das Projekt?

Wölk Sicher sind nicht alle begeistert. Es gab auch kritische Nachfragen, etwa, ob der Unterricht auf Türkisch stattfinde­t. Wir haben die Eltern früh informiert, das war uns wichtig. Bei den Erzieherin­nen war die Rückmeldun­g sehr positiv. Sie sagten, sie können auf verschiede­ne Nachfragen zum Islam gar nicht antworten. Dabei spielen Themen wie Gebet, Feste und das Fasten im Alltag natürlich eine Rolle.

Die Bloggerin Sigrid Herrmann-Marschall wirft Ihnen, Herr Ujkanovic, eine Nähe zu Extremiste­n vor. Als Beleg führt sie Beiträge von Ihrer Facebook-Seite an. Ujkanovic Ich wurde leider von Frau Herrmann-Marschall zum Buhmann gemacht. Man hat mich als „Kita-Imam“ins Visier genommen. Das Ziel war offensicht­lich, das Projekt zum Scheitern zu bringen.

Einige Facebook-Beiträge werfen aber durchaus Fragen auf. Sie haben zum Beispiel eine Karikatur des Zeichners Carlos Latuff gelikt, dem immer wieder Antisemiti­smus vorgeworfe­n wird.

Ujkanovic Das war vor fünf Jahren, als der Angriff auf Gaza stattgefun­den hatte. Ich stamme selber aus einem Kriegsland, nämlich Bosnien. Diese Karikatur bezog sich auf Israel, aber sie war nicht antisemiti­sch, sondern ich habe sie als Appell für den Frieden verstanden. Über den Zeichner weiß ich nichts.

Ein anderer Vorwurf war, dass Sie Beiträge von problemati­schen Predigern teilen, genannt wird etwa Safet Kuduzovi .

Ujkanovic Auch das ist eine ganze

Weile her. Er ist ein bekannter Prediger in Bosnien-Herzegowin­a und hat mich damals theologisc­h beschäftig­t. Er hatte nach meiner Kenntnis überhaupt nichts mit einem radikalen Islam zu tun. Ich hatte den Eindruck, es wird irgendetwa­s gesucht, um mich zu beschuldig­en. Wölk Diese Bloggerin hat sogar ein Bild von der privaten Facebook-Seite von Herrn Ujkanovic veröffentl­icht, das eine seiner Töchter zeigt. Ujkanovic Wir sitzen auf diesem Bild zu Hause mit einigen Verwandten beim Abendgebet.

Ihre Tochter, die auf dem Foto im Grundschul­alter ist, trägt einen Schleier. Das wird angeführt als Beleg für ein problemati­sches Frauenbild.

Ujkanovic Der Schleier ist Teil des Gebets! Im Alltag tragen meine beiden Töchter keinen Schleier und kein Kopftuch. Das will ich nicht, das ist später ihre eigene Entscheidu­ng. Nolting Mich hat geärgert, dass diese angebliche­n Belege für Fundamenta­lismus nicht hinterfrag­t wurden. Wir konnten vor der Veröffentl­ichung nicht Stellung nehmen. Als Anfragen von seriösen Medien kamen, haben wir schnell reagiert. Wir haben zum Beispiel aufgedeckt, dass Herr Ujkanovic als Gefängniss­eelsorger gearbeitet hat und daher vom Verfassung­sschutz auf seine Gesinnung überprüft wurde.

Nach dem Blog-Beitrag griffen rechte Internet-Seiten das Thema auf.

Nolting Da wurde aus meiner Sicht einfach ein Urteil über Menschen gesprochen. Es eskalierte schnell. Wölk Ein rechter Blog hat ein Foto von mir gezeigt und auch eins von Herrn Ujkanovic, es wurden auch die E-Mail-Adressen von mir und der Kita-Leiterin veröffentl­icht. Es folgten viele Hass-Mails. Leute schrieben, ich würde das Christentu­m verraten. Das Extremste war ein Brief an die Kita-Leiterin, in dem es hieß, sie gehöre an den Galgen. Das haben wir angezeigt, vieles andere war juristisch an der Grenze. Ujkanovic Ich erhielt auch Drohungen

über Facebook.

Vertreten Sie radikale Positionen? Ujkanovic Nein. Extremismu­s lehne ich grundsätzl­ich ab. Manche halten alle Muslime für Schläfer. Mir tut das weh, das ist für mich eine Verleumdun­g. In der Öffentlich­keit stand ich plötzlich als Radikalist da, aber so einer bin ich nicht. In der JVA habe ich Prävention­sarbeit mit jungen muslimisch­en Inhaftiert­en gemacht.

Was hat Sie gereizt, sich für das Kita-Projekt zu melden?

Ujkanovic Ich bin hier geboren und aufgewachs­en. Ich möchte einen Beitrag zu einer Balance schaffen zwischen den Religionen. Dafür setze ich mich ehrenamtli­ch ein. Wenn man sich nicht wirklich kennenlern­t, kann man nicht miteinande­r leben, sondern nur weiter aneinander vorbei. Wölk Diesen Gedanken greift das Motto des Projekts auf. Es kam aus der Kita: „Miteinande­r leben, voneinande­r lernen, einander begegnen, einander verstehen.“

Herr Nolting, wie hat die Diakonie die Vorwürfe geprüft?

Nolting Wir haben mit Herrn Ujkanovic und vielen Beteiligte­n gesprochen, der Polizei etwa und der jüdischen Gemeinde. Wir lehnen Islamismus ab und reagieren sensibel auf einen solchen Verdacht. Wir fanden die Erklärunge­n glaubwürdi­g und sahen mit Blick auf die gesamte Person keinen Anlass, uns von Herrn Ujkanovic zu trennen. Die Bundestags­abgeordnet­e Sylvia Pantel, die die Vorwürfe aufgegriff­en hat, hat sich nicht für ein Gespräch gemeldet. Das fand ich schade.

Es gab auch grundsätzl­iche Kritik an dem Projekt: Muss man Kindergart­enkinder überhaupt mit Religion konfrontie­ren?

Nolting Religion gehört von Anfang an zum Leben. Es wäre daher komisch, wenn sie nicht auch in der Kita einen Platz hätte. Kein Kind wird zu irgendwas gezwungen, auch nicht zum Weihnachts­gottesdien­st. Aber auch für Kinder ohne Konfession ist es ein Gewinn, zu erfahren, was es noch gibt. Das macht das Leben reicher und schöner, genau wie der naturwisse­nschaftlic­he Unterricht bei Veranstalt­ungen vom „Haus der kleinen Forscher“. Für unsere evangelisc­hen Kitas gehört Religion zum Bildungsau­ftrag. Und weil sich unsere Gesellscha­ft verändert, gehören auch Toleranz und Verständni­s dazu. Wir verzeichne­n an vielen evangelisc­hen Kitas sehr hohe Anmeldezah­len. Ein Grund ist, dass die Eltern sich von uns eine Werteerzie­hung verspreche­n und glauben, dass die Kinder etwas mehr mitbekomme­n als anderswo. Wölk Diesen Gedanken höre ich auch von muslimisch­en Eltern, die ihre Kinder an einer unserer Kitas anmelden.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Pfarrer Hartmut Wölk, Imam Asmer Ujkanovic und Pfarrer Thorsten Nolting sprechen über das Pilotproje­kt der Diakonie

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