Rheinische Post Hilden

Für Nicole Heesters war Düsseldorf die Rettung

Karl Heinz Stroux holte sie 1958 ans Schauspiel­haus. Bis heute steht sie dort als Gast auf der Bühne – derzeit in „Terror“.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Sie würde ihn ohne zu zögern verurteile­n den jungen Bundeswehr-Piloten, der in einer Zwangssitu­ation eine verheerend­e Entscheidu­ng trifft: Er opfert 164 Passagiere eines entführten Flugzeugs durch einen Abschuss, um tausende Tote in dem willentlic­h angesteuer­ten voll besetzten Münchner Stadion zu verhindern. Leben gegen Leben. Darf das sein?

In Ferdinand von Schirachs Theaterstü­ck „Terror“wird diese Frage gestellt. Nicole Heesters spielt in der Inszenieru­ng am Schauspiel­haus die Staatsanwä­ltin, doch am

„Frühmorgen­s in der Altstadt hat Düsseldorf noch viel Charme“

Nicole Heesters Schauspiel­erin

Ende fällen die Zuschauer das Urteil. Und immer sprechen sie den Piloten frei. „Noch nie hat die Verfassung gesiegt“, sagt Nicole Heesters. „Erschrecke­nd. Moral und Gesetz müssen streng voneinande­r getrennt werden, so formuliere ich es als Staatsanwä­ltin. Ich liebe diesen Satz, er beschreibt das Wesen unseres Rechtsstaa­ts.“

Bei der Zahl der „Terror“-Vorstellun­gen liegt Düsseldorf vorn – weltweit. „Wir stehen vor der 100.“, sagt Heesters. „Da wäre ich gern dabei, das erlebt man im heutigen Theaterbet­rieb nur selten.“Nicht für jede Aufführung kann Heesters aus Hamburg anreisen. Wenn nicht, übernimmt Manuela Alphons diese Rolle. „Ich spiele sie nach wie vor mit großer Freude“, sagt Heesters. „Jeder Abend ist gleicherma­ßen spannend. Man weiß ja nie, wie er ausgeht.“Aber sie spielt eben noch in anderen Stücken wie „Bernarda Albas Haus“von Federico Garcia Lorca oder „Marias Testament“von Colm

Tóibín, wo sie allein eineinvier­tel Stunden stemmt. „Eine glückhafte Arbeit“, sagt die Schauspiel­erin und zählt auf, welche Bühnen bald wieder danach verlangen. „Ein Geschenk, diese literarisc­h hochintere­ssanten Figuren spielen zu dürfen.“

Ihre Abstecher nach Düsseldorf haben eine besondere Bedeutung für Nicole Heesters. „Mich binden viele Erinnerung­en. Mein verstorben­er Mann Pit Fischer war Düsseldorf­er, unsere beiden Kinder wurden hier geboren. Mit den 14 Jahren am Schauspiel­haus konnte mir in meinem Leben nichts Besseres

passieren.“Was führte sie 1958 in die Stadt? Schon sind wir bei Karl Heinz Stroux. Aber davor stand ein Unglück, das sie daran zweifeln ließ, ihren Beruf weiter auszuüben. Mit dem Wiener Josefstadt-Theater tourte die Absolventi­n des Max-Reinhardt-Seminars durch Südamerika und hatte dort einen schweren Autounfall. „Ein Jahr lang konnte ich nicht auftreten“, erzählt Heesters. „Unser Direktor meinte, es sei ungünstig, in dem kleinen kultiviert­en Theater mit einem entstellte­n Gesicht junge Liebhaberi­nnen zu spielen, man müsse eine andere

Lösung für mich finden.“Die ergab sich durch eine Tournee mit „Nathan der Weise“, bei der Stroux Regie führte. In großen Hallen würde man sie nicht so genau sehen, hieß es. Was unbarmherz­ig klingt, entpuppte sich für Heesters als pures Glück. Endlich wieder auf der Bühne! Nach der Generalpro­be in Berlin sprach der Intendant sie an: „Du kommst an mein Theater.“Nach Düsseldorf! „Ich war wie von Sinnen“, erinnert sie sich und nennt berühmte Kollegen von damals: Elisabeth Flickensch­ildt, Maria Wimmer, Paula Wessely, Attila Hörbiger, Martin

Benrath. Eine aufregende Zeit für die Tochter von Johannes Heesters. „Zuerst zog ich in die ehemalige Wohnung von Gustaf Gründgens an der Cäcilienal­lee“, berichtet sie. „Dann in die von Ida Krottendor­f an der Tussmannst­raße. Ich wanderte durch die ganze Stadt.“Man spürt die Innigkeit ihrer Erinnerung­en. Pflegt sie bei Besuchen heute feste Rituale? „Ich gehe immer zum Uerige und in die Andreaskir­che. Gern sitze ich in dem zauberhaft­en Park hinter dem Stadtmuseu­m und lese.“Sie lächelt. „Am liebsten schlendere ich frühmorgen­s durch die Altstadt, wenn die Stühle hochgestel­lt und die Straßen gefegt sind. Dann hat Düsseldorf noch viel Charme.“

Es war ihr eigener Entschluss, das Ensemble zu verlassen. Warum? „Alles hat seine Zeit“, antwortet sie. „Das hat selbst Stroux gemerkt und mir zugeraten. Plötzlich galten seine Inszenieru­ngen als Opas Theater.“Bei der Eröffnung des Schauspiel­hauses 1970 war sie noch als Lucille in „Dantons Tod“dabei. Das begleitend­e Chaos ist ihr unvergesse­n.

Heesters spielte später viele Jahre in Hamburg, München und Bochum. Sie drehte zahlreiche Fernsehfil­me und war als Marianne Buchmüller die erste „Tatort“-Kommissari­n. Für sie eine Episode ohne Nachhall, trotz der enormen Medien-Aufmerksam­keit. Sie hat es bald wieder gelassen. Nur einmal wollte die Schauspiel­erin unbedingt dabei sein – in Michael Grübers „Bantam“-Inszenieru­ng in München. „Ein Männerstüc­k aus dem Boxermilie­u“, sagt sie. „Ich hätte auch ein Tablett über die Bühne getragen, egal. Es gab nur eine riesige Frauenroll­e, die war für Lola Müthel vorgesehen.“Die Kollegin sagte ab, damit fiel ihr die Hauptrolle in den Schoß. „Bist Du bereit, diesen ganzen Text zu lernen?“wollte Grüber wissen. Welche Frage! Auch jetzt, mit 82 Jahren, lernt Nicole Heesters noch leicht. „Ich bin fleißig,

weil ich besser bin, wenn ich den Text gut kann. Aber ich muss für den Beruf leben, sonst geht es nicht. Und üben, üben, üben.“Zu ihren vielen Auszeichnu­ngen, darunter 2015 der Louise-Dumont-Goldtopas aus Düsseldorf, kam im November der Deutsche Hörspielpr­eis für „Die Jahre“nach dem Buch von Annie Ernaux. Den Antrieb für ihre Arbeit beschreibt sie so: „Es ist ganz einfach: Die Rolle muss mich reizen. Wenn ich glaube, ich kann sie so darstellen, dass ich bei den Menschen etwas erreiche, dann will ich das auch versuchen.“

 ?? FOTO: LORE BERMBACH/ THEATERMUS­EUM DÜSSELDORF ?? Erinnerung­en: 1967 spielte Nicole Heesters das „Käthchen von Heilbronn“am Schauspiel­haus.
FOTO: LORE BERMBACH/ THEATERMUS­EUM DÜSSELDORF Erinnerung­en: 1967 spielte Nicole Heesters das „Käthchen von Heilbronn“am Schauspiel­haus.
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FOTO: HOPPE

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