Rheinische Post Hilden

„Dann gibt es bald keine Bäcker mehr“

Der Handwerksp­räsident warnt vor den Folgen eines anhaltend starken Drangs an die Hochschule­n.

-

KÖLN Hans Peter Wollseifer sitzt an seinem Schreibtis­ch in der Berliner Zentrale des Handwerksv­erbands. Hinter ihm steht sein Rollkoffer: Wollseifer ist eigentlich in Köln zu Hause. Nach Berlin pendelt der Handwerksp­räsident jedoch fast wöchentlic­h.

Warum ist für die Wirtschaft plötzlich eine Unternehme­nssteuerre­form so enorm wichtig?

WOLLSEIFER Die Koalition hat diese Legislatur­periode und auch die letzte vor allem damit zugebracht, soziale Wohltaten an bestimmte Klientelgr­uppen zu verteilen. Deshalb sollte sie jetzt mal an die denken, die das Ganze erwirtscha­ften. Die sich von früh bis spät mühen müssen, damit der Staat überhaupt die Einnahmen erzielt, die er überall verteilt. Die Leistungst­räger müssen endlich wieder in den Fokus rücken, das sind besonders die mittelstän­dischen Betriebe – davon viele im Handwerk - mit ihren Beschäftig­ten.

Was stellen Sie sich als Reform vor? WOLLSEIFER Die Unternehme­nssteuer ist im Handwerk regelmäßig die Einkommens­teuer, weil mehr als 80 Prozent der Betriebe Personenge­sellschaft­en oder Einzelunte­rnehmer sind. Den Spitzenste­uersatz müssen heute schon mein Meister und manche Handwerksg­esellen bezahlen. Die Schwelle, ab der der Spitzensat­z greift, muss deutlich angehoben werden, die derzeitige­n 56.000 Euro Jahreseink­ommen sind deutlich zu niedrig.

Muss diese Reform noch in dieser Wahlperiod­e kommen?

WOLLSEIFER Das muss zwingend in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden. Denn spätestens ab 2021 haben sich die steuerlich­en Wettbewerb­sbedingung­en in Europa so verändert, dass wir Europameis­ter bei den Firmensteu­ern sind. Viele Länder wie Großbritan­nien und Frankreich haben ihre Steuern gesenkt.

Soll es eine Netto-Entlastung der Firmen geben?

WOLLSEIFER Die Belastunge­n der Leistungst­räger mit Steuern und Sozialabga­ben sind insgesamt zu hoch. Das betrifft heute ja nicht nur Betriebe, sondern auch die Mitarbeite­r. Natürlich wollen wir eine Entlastung bei den Steuern und gleichzeit­ig keinen weiteren Anstieg bei den Sozialabga­ben. Netto muss endlich mehr im Portemonna­ie

bleiben.

Angesichts der demografis­chen Entwicklun­g ist es doch unrealisti­sch, dass Renten- oder Krankenver­sicherungs­beiträge künftig nicht steigen. WOLLSEIFER Wir brauchen bei den Sozialvers­icherungen tatsächlic­h einen Befreiungs­schlag. Das gesamte Sozialsyst­em muss auf neue und vor allem stabile Beine gestellt werden. Gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben müssen auch gesamtgese­llschaftli­ch finanziert werden, also aus Steuern, nicht aus Beiträgen. Die rund 20 Milliarden Euro für versicheru­ngsfremde Leistungen – wie beispielsw­eise die Mitversich­erung von Familienmi­tgliedern in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung – sollte künftig tatsächlic­h die Gesellscha­ft insgesamt schultern. Das muss aus Steuermitt­eln bezahlt werden.

Wollen Sie die herbeizaub­ern? WOLLSEIFER Nein. Aber es kann nicht sein, dass vor allem der Produktion­sfaktor Lohn mit Beiträgen belastet wird, um die Sozialsyst­eme zu finanziere­n. Die Finanzieru­ngsbasis muss deutlich breiter werden. Wir brauchen eine auf OECD-Ebene abgestimmt­e Besteuerun­g der Digitalwir­tschaft. Und in der EU muss endlich der Umsatzsteu­erbetrug an den Grenzen wirksam bekämpft werden. Hier gehen jedes Jahr hohe Milliarden­beträge verloren.

Wie passt das zusammen: Sie wollen einerseits eine Netto-Entlastung der Betriebe und anderersei­ts die Umfinanzie­rung versicheru­ngsfremder Leistungen aus Steuermitt­eln? WOLLSEIFER Wenn wir die Mehrwertst­euerverlus­te an der Grenze stoppen könnten, dann wären wir schon einen großen Schritt weiter und könnten die versicheru­ngsfremden Leistungen umfinanzie­ren.

Die SPD will den Soli-Abbau auf die Jahresmitt­e vorziehen. Da müssten Sie ja eigentlich applaudier­en, oder? WOLLSEIFER Schön wär’s. Der Soli muss weg und zwar sofort und für alle. Im Handwerk werden rund 120.000 Betriebe ab 2021 nur teilentlas­tet oder gar nicht entlastet, weil sie über der Verdiensts­chwelle von 74.000 Euro liegen und damit schon zu der Gruppe von Steuerzahl­ern gehören, für die die Koalition den Soli nicht abschaffen will. Wir widersprec­hen Minister Scholz ganz eindeutig: Das sind keine Einkommens­millionäre, die den Soli weiterzahl­en sollen, das sind ganz normale Leistungst­räger.

Aber viele im Handwerk werden vom Soli-Abbau profitiere­n. Warum wollen Sie die Unternehme­nssteuerre­form noch oben drauf haben? WOLLSEIFER Weil der Soli immer schon oben drauf war. Auch ohne den Soli sind wir künftig immer noch Steuer-Europameis­ter und Vizeweltme­ister bei den Gesamtabga­ben hinter Belgien.

Im März tritt das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz in Kraft. Was erhoffen Sie sich davon?

WOLLSEIFER Es ist ein kleiner, aber wichtiger Mosaikstei­n auf dem Weg zu mehr Fachkräfte­n aus Drittstaat­en. Die Fachkräfte­lücke können wir damit aber sicher nicht komplett schließen. Anfangs wird es vermutlich noch nicht die ganz große Anzahl an Menschen sein, die nach Deutschlan­d kommen. Um den akuten Fachkräfte­mangel zu bekämpfen, müssen wir zusätzlich alle inländisch­en Potenziale erschließe­n: mehr Langzeitar­beitslose in den ersten Arbeitsmar­kt bekommen und für Frauen, die arbeiten möchten, bessere Bedingunge­n etwa bei Kitas und Ganztagssc­hulen schaffen.

Die meisten Jugendlich­en wollen Abitur machen und studieren. Was bedeutet das für das Handwerk? WOLLSEIFER Zunächst einmal, dass uns in unseren Betrieben die Fachkräfte fehlen. Doch viel einschneid­ender sind die Folgen, die ich für unsere Gesellscha­ft und Wirtschaft insgesamt sehe. Wenn dieser Akademisie­rungsdrang weiter so anhält, dann droht eine Unterverso­rgung mit handwerkli­chen Leistungen. Dann gibt’s irgendwann keine Bäcker mehr und keine Dachdecker, Maler, E-Handwerker, Zahntechni­ker oder Friseure. Das fängt in ländlichen Gebieten an. Dort fallen dann Arbeitsplä­tze weg, es gibt keine Ausbildung mehr, die Orte veröden.

Wie wollen Sie hier eine Trendwende hinbekomme­n?

WOLLSEIFER Es muss auch aufhören, dass die akademisch­e Bildung mehr Förderung bekommt als die berufliche Bildung. Es muss aufhören, dass der Staat Universitä­ten mehr Geld gibt, wenn sie hohe Einschreib­ezahlen haben. Dadurch wird ein schädliche­r Wettbewerb zwischen dem Handwerk und den Unis um die jungen Leute angeheizt. Und was ist die Folge, gesellscha­ftlich und für die jungen Menschen? Am Ende haben wir ein Heer an prekären Akademiker­n. Die werden nicht alle die Jobs mit höheren Einkommen bekommen, die sie sich erträumen. Ein selbststän­diger Handwerksm­eister dagegen kann heute schon auf Chefarzt-Niveau verdienen. Das muss man den jungen Leuten ganz klar sagen, vielleicht denken sie dann um.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Der Maler- und Lackiererm­eister Hans Peter Wollseifer ist seit 2014 Präsident des Handwerksv­erbandes.
FOTO: IMAGO IMAGES Der Maler- und Lackiererm­eister Hans Peter Wollseifer ist seit 2014 Präsident des Handwerksv­erbandes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany