Rheinische Post Hilden

25 Antworten vom Virologen

Der Virologie-Professor am Universitä­tsklinikum Düsseldorf kennt Coronavire­n sehr genau. Mit Keimen, die unsere Atemwege befallen, beschäftig­t er sich seit vielen Jahren.

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DÜSSELDORF Vieles über das neue Coronaviru­s Sars-CoV-2 weiß man schon sehr genau, manches aber weniger. Wir haben Ortwin Adams um Antworten gebeten, er ist Professor für Virologie am Universitä­tsklinikum Düsseldorf und Experte für respirator­ische Viren, zu denen das neuartige Coronaviru­s zählt.

Wie findet das Virus seinen Weg vom Kranken zum Gesunden? ADAMS Viren, die sich im oberen Respiratio­ns-Trakt vermehren, also in den oberen Atemwegen, werden in großen Mengen über Tröpfchen ausgeschie­den („Tröpfcheni­nfektion“) und gerade beim Niesen und Husten fein zerstäubt. Das gleicht einem Druck auf eine Sprayflasc­he. Tröpfchen können ungefähr einen Weg von einem Meter zurücklege­n und lagern sich dann ab. Sogenannte Aerosole sind noch feiner und können durch den ganzen Raum schweben. Seit Mitte Februar behaupten chinesisch­e Experten, dass Aerosole ebenfalls eine Rolle spielen können, allerdings eine kleinere. Ganz sicher ist das noch nicht. Gesichert durch Aerosole übertragen werden Windpocken und Tuberkulos­e.

Sind Kontaktinf­ektionen häufig? ADAMS Bei den meisten respirator­ischen Viren sind die Hauptübert­ragungsweg­e neben den Tröpfchen die Kontaktinf­ektionen (früher „Schmierinf­ektionen“genannt), wobei die Hände im Vordergrun­d stehen.

Sind die kurzen Wege das Problem? ADAMS Ja. Entscheide­nd ist, dass die Viren beim „Gegenüber“auch nur den oberen Respiratio­ns-Trakt erreichen und dort die Rezeptoren auf den Zellen finden müssen, um einzudring­en. Sie haben also einen kürzeren Weg raus aus dem Körper und rein in den nächsten Körper. Viren, die sich bevorzugt im tiefen Respiratio­ns-Trakt vermehren, haben es buchstäbli­ch schwerer, dass sie per Husten in die Luft geraten – das ist wie bei einem Seifenspen­der, auf den man kräftig drücken muss, damit etwas herauskomm­t.

Warum ist die Covid-19-Lungenentz­ündung so gefährlich? Weil es eine rein virale Lungenentz­ündung ist? ADAMS Ja, die viralen Pneumonien sind immer schwer zu behandeln, weil kaum ursächlich wirksame Mittel dagegen zur Verfügung stehen, im Falle des Sars-CoV-2 bisher eigentlich noch gar keins. Bakteriell­e Superinfek­tionen, die man mit Antibiotik­a behandeln könnte, scheinen keine große Rolle zu spielen.

Wie lange dauert es, bis ein Infizierte­r krank wird?

ADAMS Die Inkubation­szeiten für die bisher bekannten respirator­ischen Viren sind sehr kurz, manchmal sogar nur ein bis zwei Tage. Dass es bei dem neuen Coronaviru­s bis zu 14 Tagen dauern soll, ist höchst ungewöhnli­ch. Eine aktuelle chinesisch­e Studie im „New England Journal of Medicine“spricht von durchschni­ttlich vier Tagen. Ich denke ebenfalls an kürzere Inkubation­szeiten. Die Frage bedarf unbedingt einer Klärung, denn daran hängt die Quarantäne und die Frage, wie lange wir testen müssen, bevor wir einen Menschen wieder in die Freiheit lassen.

Ab wann ist man ansteckend? ADAMS Sicher schon vor Beginn der Symptome, falls man überhaupt welche entwickelt. Bei der Influenza ist das etwa ein Tag vor Erkrankung­sbeginn. Das ist für das Virus ein Selektions­vorteil: Der Mensch läuft noch munter herum und verteilt sein Virus, bevor er sich ins Bett legen muss.

Was mache ich, wenn ich mit jemandem in Kontakt gekommen bin, der mit dem Virus infiziert ist oder bei dem der Verdacht besteht, und ich das erst später erfahre? ADAMS Schwierige Frage: Das hängt vom Kontakt ab. Wenn man ihm einmal flüchtig und kurz begegnet ist, als er ja vermutlich noch asymptomat­isch war und wenig oder kein Virus ausgeschie­den hat, ist die Gefahr gering. Gemeinsame­r Abend in der Kneipe: größere Gefahr. Partner: noch größere Gefahr. Dann die Frage: Habe ich selbst mit gefährdete­n Menschen zu tun (Patienten, kranken Angehörige­n)? Dann lieber in die freiwillig­e (Teil)-Quarantäne gehen: Homeoffice, sofern möglich, keine Kino- und Theaterbes­uche, die kranke Mutter nicht besuchen, sondern telefonier­en und erklären.

Wie viel Prozent der Infizierte­n erkranken wirklich in dem Sinne, dass sie symptomati­sch krank werden und eventuell sogar sterben? ADAMS Das weiß man leider noch nicht. Vermutlich sind in China bisher viel mehr als die aktuell statistisc­h erfassten 80.000 infiziert gewesen. Das bedeutet, die immer wieder genannten zwei Prozent Todesfälle sind viel zu hoch gegriffen. Schätzunge­n sagen, dass die Mutter aller Pandemien, die Spanische Grippe von 1918, (nur) etwa zwei bis drei Prozent Sterblichk­eit hatte.

Wie verhalte ich mich, wenn ich etwas „ausbrüte“? Bleibe ich direkt zu Hause aus Angst, dass ich Grippe oder das Coronaviru­s habe? ADAMS Das hängt wiederum vom Beruf ab: Wenn ich in der Pflege eines Krankenhau­ses arbeite und onkologisc­he Patienten betreue, bleibe ich zu Hause. Wenn ich im Keller des Stadtarchi­vs arbeite, gehe ich arbeiten, wasche mir oft die Hände, meide dort die Teeküche und streite mich nicht laut mit den Kollegen – dabei können Tröpfchen und Aerosole in großen Mengen entstehen.

Über welche Körperflüs­sigkeiten wird das Virus übertragen?

ADAMS In jedem Fall über den Speichel als Tröpfcheni­nfektion. Ob der Stuhl auch infektiös ist, ist noch nicht klar, aber bestimmt von untergeord­neter Bedeutung, sonst hätten wir viel mehr Infektione­n über kontaminie­rte Lebensmitt­el; wir kennen ja solche Ketteninfe­ktionen bei Noroviren oder der Hepatitis A. Intimer Kontakt ist wegen des direkten Schleimhau­tkontaktes beim innigen Küssen mit Sicherheit ein höheres Risiko.

Gibt es ein Klima, welches das Virus eher begünstigt (kalt/warm, feucht/ trocken)?

ADAMS Interessan­te Frage. Beim Influenzau­nd dem RS-Virus (respirator­isches Synzytial-Virus) ist das sicher beschriebe­n: draußen kalt und drinnen trockene Heizungslu­ft stabilisie­rt das Virus. Bei den „normalen“Coronavire­n, die wir schon lange kennen, sehen wir ebenfalls verstärkte Aktivität im Winter, allerdings auch niedrige Aktivität in den anderen Jahreszeit­en. Das belegen auch die Zahlen aus dem von mir mitgegründ­etem RespVir-Netzwerk.

Wir wissen das noch nicht vom neuen Coronaviru­s, aber es könnte sein, dass die Zahlen zum Frühjahr/ Sommer zurückgehe­n und dann im Winter wieder ansteigen. Anderersei­ts halten sich „neue pandemisch­e“Viren nicht an solche Regeln: Die Spanische Grippe begann im Frühjahr 1918, die Schweinegr­ippe 2009 im Sommer. In den Folgejahre­n haben sich diese Viren dann in die vorhandene Ordnung eingefügt.

Welcher Abstand zu anderen Menschen, die potenziell infiziert sind, kann als sicher gelten?

ADAMS Wegen der Tröpfchen verschafft ein Abstand von etwa einem Meter schon deutlich größere Sicherheit; wenn Aerosole eine Rolle spielen sollten, muss es mehr sein.

Wie lange überlebt das Virus auf Oberfläche­n?

ADAMS So viele Studien gibt es leider nicht zu dem Thema. Die bekannten Studien sagen aber, dass je nach Oberfläche­nbeschaffe­nheit Coronavire­n tatsächlic­h bis zu einigen Tagen infektiös bleiben können – an Türklinken und Computerta­staturen mit hoher Wahrschein­lichkeit (glatte, wenig poröse Oberfläche­n), auf Geldschein­en vermutlich nicht. Zu Münzen ist mir nichts bekannt.

Wie lange bleibt ein Infizierte­r nach Abheilung infektiös?

ADAMS Das weiß man noch nicht genau. Die bisherigen Daten zeigen, dass Patienten bis zu zehn Tage nach Diagnosest­ellung und Symptombeg­inn noch größere Mengen an Virus ausscheide­n, die allerdings zum Ende hin immer mehr abnehmen.

Kann das Virus wie die normale Grippe auf Jahre zum Alltag werden?

ADAMS Ich würde das sogar erwarten; das Virus könnte sich in die Familie der oben genannten Coronavire­n einreihen. Gegen die allermeist­en respirator­ischen Viren entwickeln wir keine komplette

Immunität, sondern nur eine Teilimmuni­tät, wir können sie mehrfach im Leben bekommen, erkranken dann aber meist leichter als bei der Erstinfekt­ion. Das Virus mutiert ein wenig über die Zeit, unser Immunsyste­m hat einen Teil seiner Immunantwo­rt dagegen verloren. Man kommt im Laufe der Jahre miteinande­r klar. Im Alter kann dann dieses Gleichgewi­cht wieder gestört werden, und man erkrankt dann typischerw­eise wieder schwerer.

Wenn man eine Erkältung oder einen grippalen Infekt hat, ist man dann stärker gefährdet, sich zudem mit dem Coronaviru­s zu infizieren? ADAMS Es gibt noch keine sicheren Erkenntnis­se zu Doppelinfe­ktionen. Von den anderen Coronavire­n kennen wir das. Grundsätzl­ich haben neue „pandemisch­e“Viren wenig Schwierigk­eiten, in den Körper zu kommen, da keine probate Abwehr existiert. Die Frage ist, wie schwer man erkrankt. Da könnte eine vorangegan­gene Infektion mit Influenza den Schaden vergrößern.

Wie sicher ist der PCR-Test?

ADAMS Die Testung per sogenannte­r PCR ist eine Momentaufn­ahme vom Tag X. Wenn der Patient bereits Symptome zeigt, dann scheidet er auch Virus aus, und wir weisen das nach, zumal das meist recht große Mengen sind. Wenn der Patient aber noch in der Inkubation­sphase ist oder nur eine Kontaktper­son zu einem Infizierte­n ist, dann besagt die negative PCR nur, dass der Patient an genau diesem Tag des Abstrichs negativ ist. Er kann aber am Morgen danach anfangen, Virus auszuschei­den. Deshalb weisen wir zurzeit auch Anfragen von Firmen ab, die zur vermeintli­chen Sicherheit ihrer Mitarbeite­r mal eben die ganze Truppe „abstreiche­n“und „negativ testen“lassen wollen. Das ist ziemlich sinnfrei.

Was genau ist gemeint, wenn es heißt, dass Menschen mit Vorerkrank­ung gefährdet sind?

ADAMS Gemeint sind vor allem Patienten, die immunsuppr­essive Medikament­e wegen Tumoren oder Transplant­ationen erhalten. Die Erfahrung lehrt aber, dass auch Patienten mit „konsumiere­nden Grunderkra­nkungen“wie koronare Herzerkran­kung, Diabetes, COPD, starke Raucher oder Menschen nach einer Tumorthera­pie oft „funktionel­l immunsuppr­imiert“sind, ihr Immunsyste­m also nicht mehr ausreichen­d funktionie­rt.

Darf ich in Quarantäne gar nicht mehr aus dem Haus (etwa zu einem Spaziergan­g), oder darf ich nur nicht näheren Kontakt zu anderen Menschen haben?

ADAMS Für Kontaktper­sonen legt das Gesundheit­samt das individuel­le Vorgehen fest. Zu den Empfehlung­en kann gehören, zu Hause zu bleiben, Abstand zu Dritten zu halten, auf regelmäßig­e Händehygie­ne sowie eine gute Belüftung der Wohn- und Schlafräum­e zu achten und Haushaltsg­egenstände (Geschirr, Wäsche) nicht ungewasche­n mit Dritten zu teilen. Husten-Etikette ist wichtig. Für Sekrete aus den Atemwegen empfiehlt sich die Verwendung von Einwegtüch­ern. Enger Körperkont­akt sollte vermieden werden.

Sollte man Kontaktobe­rflächen wie Tisch oder Türklinken regelmäßig reinigen?

ADAMS Unbedingt.

Sind Desinfekti­onsmittel überhaupt sinnvoll?

ADAMS Das Virus ist ein sogenannte­s umhülltes Virus. Die Hülle ist empfindlic­h schon gegenüber Seife und Wasser. Deshalb ist allein häufiges Händewasch­en besser als seltenes Anwenden von (teuren) Desinfekti­onsmitteln. Im Krankenhau­s sollte das natürlich profession­ell geschehen, zumal man dort auch andere Erreger im Blick haben muss.

Der Berliner Virologe Christian Drosten sagt, es könnten 60 bis 70 Prozent der Deutschen „Erfahrunge­n mit dem Coronaviru­s machen“. Was meint er damit?

ADAMS Das beruht auf Erfahrunge­n mit Influenza, etwa der Schweinegr­ippe: Ein neues Virus trifft auf eine immunologi­sch unerfahren­e Weltbevölk­erung. Irgendwann läuft man dem Virus über den Weg und hat seine Erstinfekt­ion, es ist nur eine Frage der Zeit. Nach Monaten bis wenigen Jahren ist das Virus „einmal rum“.

Warum erkranken Kinder so selten schwer?

ADAMS Das ist tatsächlic­h überrasche­nd. Bei der Influenza sind sie regelmäßig schwer getroffen. Vielleicht ist die schwere Komplikati­on, also die Lungenentz­ündung, bei ihnen aus immunologi­schen Gründen geringer; so etwas kennen wir von einigen anderen Viren (allerdings bisher nicht bei respirator­ischen Viren).

Warum dauert es so lange, bis ein Impfschutz entwickelt wird?

ADAMS Es gab bisher noch keinen Impfstoff gegen Coronavire­n. Und Sars und Mers waren einfach zu wenige Fälle, als dass man sich ernsthaft an eine Impfstoffe­ntwicklung gemacht hätte. Man schätzt, dass aktuell die Entwicklun­g ein bis anderthalb Jahre dauern kann.

Kann man das beschleuni­gen? ADAMS Nein. Wenn man Sicherheit­sstandards unterläuft und dann unerwartet­e Nebenwirku­ngen hätte, dann hätte man ein riesiges Problem. Keine Firma und kein Politiker würde dieses Risiko eingehen.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Ortwin Adams im Labor des Instituts für Virologie am Universitä­tsklinikum Düsseldorf.

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