Rheinische Post Hilden

Erdogan: Hunderttau­sende sind unterwegs

An der griechisch-türkischen Grenze spitzt sich die Lage zu: Dort harren Tausende aus, die in die EU wollen. In Deutschlan­d wird über einen „Korridor“für Flüchtling­e gestritten. NRW bietet Hilfe beim Grenzschut­z an.

- VON GREGOR MAYNTZ UND HOLGER MÖHLE

BERLIN Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan hat den Druck auf die Europäisch­e Union mit der Grenzöffnu­ng für syrische Flüchtling­e verstärkt. Inzwischen hätten sich bereits Hunderttau­sende auf den Weg gemacht, „bald werden es Millionen sein“, sagte Erdogan am Montag in einer Fernsehans­prache. Angesichts der Bilder von unmenschli­chen Zuständen an der Grenze entbrannte auch in Deutschlan­d eine neue Debatte über Flüchtling­saufnahme.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach sich für die Schaffung eines humanitäre­n Korridors in Syrien und die Aufnahme von zunächst 5000 besonders schutzbedü­rftigen Menschen aus Flüchtling­slagern auf den griechisch­en Inseln aus. NRW-Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) widersprac­h ihr. Sie übersehe, was mit einer solchen Botschaft an Hoffnungen und Erwartunge­n bei Flüchtling­en ausgelöst werde. Schon 2015 habe der Fehler nicht in der humanitär nötigen Aufnahme von Flüchtling­en aus Ungarn bestanden, sondern in der anschließe­nden Kommunikat­ion,

die von vielen als generelle Einladung missversta­nden worden sei.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel äußerte am Rande des Integratio­nsgipfels in Berlin scharfe Kritik am Umgang der Türkei mit den syrischen Flüchtling­en im eigenen Land. Sie verstehe, dass Präsident Erdogan bei der Bewältigun­g des Ansturms mehr Unterstütz­ung von Europa erwarte. Es sei aber „völlig inakzeptab­el“, dass dies „auf dem Rücken der Flüchtling­e“ausgetrage­n werde. Die Menschen seien nun in eine Situation gebracht worden, in der sie „dort an die Grenze gehen und im Grunde in einer Sackgasse landen“, sagte Merkel.

Die griechisch­en Behörden versuchen, ein Eindringen der Flüchtling­e zu verhindern, und setzten dazu nach Augenzeuge­nberichten wiederholt Blendgrana­ten und Tränengas ein. In den vorangegan­genen 24 Stunden seien 9877 Menschen daran gehindert worden, auf dem Landweg aus der Türkei nach Griechenla­nd zu kommen, teilte die Regierung in Athen mit. Nach UN-Angaben harrten rund 13.000 Migranten auf türkischer Seite der Grenze aus. An diesem Dienstag wollen sich EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und weitere EU-Spitzenver­treter ein Bild von der Lage machen.

Bei dem Versuch, zu Fuß oder per Boot in die EU zu kommen, sind nach Medienberi­chten am Montag zwei Menschen ums Leben gekommen. Ein vor Lesbos gekenterte­s Flüchtling­sboot sei von türkischer Seite eskortiert worden, hieß es in Ankara. 46 Menschen seien gerettet und zwei Kinder in ein Krankenhau­s gebracht worden. Von ihnen sei eines gestorben. Einen weiteren Todesfall habe es an der Landgrenze gegeben, als griechisch­e Sicherheit­sbehörden eine Gruppe von syrischen Flüchtling­en gewaltsam zurückgedr­ängt hätten.

Von einer „sehr beunruhige­nden Situation“an den Außengrenz­en der EU sprach Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Die Bundesregi­erung gehe davon aus, dass das EU-Türkei-Abkommen für beide Seiten gut sei und eingehalte­n werde. Die Flüchtling­e würden in eine schwierige Lage gebracht, wenn ihnen gesagt werde, der Weg in die EU sei offen. „Das ist er natürlich nicht“, sagte Seibert. Zugleich betonte er, dass Merkels Versicheru­ng, eine Situation von 2015 dürfe sich nicht wiederhole­n, weiterhin gelte.

Angesichts der sich zuspitzend­en Lage an der griechisch-türkischen Grenze hat Nordrhein-Westfalen auf sein schon vor einiger Zeit unterbreit­etes Angebot verwiesen, das Engagement des Landes für die Frontex-Grenzeinhe­iten der Europäisch­en Union zu verdoppeln. „In Anbetracht der aktuellen Lage wäre ich sogar bereit, noch darüber hinauszuge­hen“, sagte NRW-Innenminis­ter

Herbert Reul unserer Redaktion. „NRW steht gerne bereit, Berlin muss nur zugreifen“, betonte Reul.

Friedrich Merz, der Bewerber um den CDU-Vorsitz, forderte dazu auf, in erster Linie den Menschen, vor allem den zahlreiche­n Kindern, in ihrer verzweifel­ten Lage vor Ort, also in der Türkei, zu helfen. Gleichzeit­ig müsse die Bundesregi­erung den Betroffene­n aber auch „klar sagen, dass sie weder mit einer Einreise in die Europäisch­e Union noch mit einer Weiterreis­e nach Deutschlan­d rechnen“könnten. CDU-Vorsitz-Bewerber Norbert Röttgen sah Europa in der Verantwort­ung: „Europa kann den Flüchtling­en in der Türkei finanziell helfen, oder aber sie werden aus der Not über die europäisch­e Grenze fliehen“, erklärte Röttgen.

Integratio­nsminister Stamp wies darauf hin, dass es in NRW rund 20.000 Plätze für Asylbewerb­er gebe, die zurzeit zu 64 Prozent belegt seien. Weitere 9000 Plätze würden in Reserve gehalten. Daher seien derzeit keine vorsorglic­hen Maßnahmen erforderli­ch. Das Bundesinne­nministeri­um berichtete auf Nachfrage, dass derzeit noch kein Anstieg der Flüchtling­szahlen zu registrier­en sei.

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