Rheinische Post Hilden

Die zwei Seiten der Ultras

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DÜSSELDORF (cbo) Das Phänomen der Ultras ist in Deutschlan­d seit mittlerwei­le mehr als 30 Jahren bekannt. Nach italienisc­hem Vorbild gründeten sich schon in den 80er Jahren erste Gruppen. Bis heute sind die Ultras an vielen Standorten zu dominanten Vereinigun­gen geworden, die in den Fankurven den Ton angeben, deren Verhaltens­fokus, Strukturen und Zusammense­tzung aber stark variieren – und das häufig innerhalb eines Standorts. Ultras sind daher längst nicht immer gleich Ultras.

Da wäre beispielsw­eise das Thema Gewalt: Fanforsche­r Jonas Gabler beschreibt in seinem Buch „Die

Ultras“die Einstellun­g der Gruppen Gewalt gegenüber als „ambivalent“. An vielen Standorten haben sich die Ultras in verschiede­ne Gruppen gesplitet, auch aufgrund unterschie­dlicher Einstellun­gen diesbezügl­ich. Im Laufe der Jahre sind zahlreiche Vorfälle dokumentie­rt, in denen verfeindet­e Ultraszene­n außerhalb des Stadions einander auflauerte­n und es zu gewaltätig­en Aufeinande­rtreffen kam. Zuletzt attackiert­en Kölner Ultras ihre Derby-Rivalen aus Mönchengla­dbach am Borussia-Park. Gleichzeit­ig haben Ultragrupp­en in Bremen, Gelsenkirc­hen oder München dafür gesorgt, dass rechtsextr­eme Hooligans dort keinen Platz mehr in den Kurven haben.

Auffällig ist, was auch die Polizei in ihrem jüngsten Jahresberi­cht feststellt­e: Ein „zunehmende­n Organisati­onsgrad“, der sich vielseitig äußert. Da sind zum einen die Choreograp­hien, die anfänglich aus einzelnen Fahnen oder Papptafeln bestanden, und heute auch mal über 100.000 Euro kosten können. Die Komplexitä­t dieser Aktionen belegt, das Ultras längst nicht nur hohle Schläger sind, sondern, wieso die Subkultur noch immer vor allem junge Fußballfan­s anzieht, häufig mit akademisch­en Bildungsst­and. So engagieren sich viele Gruppen für soziale Einrichtun­gen in den Städten,

organisier­en Weihnachts­märkte, sammeln Kleider oder sogar Aktionen zur Stammzelle­nspende.

Ebenso gut organisier­t sind aber zum anderen auch die verbotenen und kritisiert­en Inszenieru­ngen mit Pyrotechni­k. Hier sorgt die Mischung aus kriminelle­r Energie und Organisati­onstalent zunehmend dafür, dass die Ermittlung­sbehörden nur selten die Ausführer ermitteln können. Immer häufiger versuchen sie deshalb, Umstehende und Helfer zur Verantwort­ung zu ziehen. Diese letztlich juristisch ausgetrage­nen Konflikte haben dafür gesorgt, dass die Szene mittlerwei­le auch an dieser Stelle profession­elle Strukturen in Form von Netzwerken aus Fananwälte­n gebildet hat.

Durch die zunehmende Vernetzung – selbst unter eigentlich verfeindet­en Gruppen – entstanden in den vergangene­n Jahren immer wieder Proteste und Initiative­n. Ultras stehen für konservati­ve Werte im Fußball. Den Videobewei­s lehnen sie genauso ab wie Investoren oder zunehmende Eventisier­ung des Stadionbes­uchs. Sie prangern hohe Ticketprei­se und Korruption an, genauso wie das Verbot von Pyrotechni­k oder den Ausbau von Sicherheit­stechniken in den Stadien. Und bei all dem schießen sie auch immer wieder übers Ziel hinaus.

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FOTO: DPA Fans des Hamburger SV brennen im Stadion Pyrotechni­k ab.

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