Zurück zum Hamster-Prinzip
Die leeren Regale in vielen Supermärkten erscheinen seltsam anachronistisch, wie ein Gruß aus fernen Zeiten von nachkriegsbedingter Lebensmittelknappheit und sozialistischer Mangelwirtschaft. Das Coronavirus und die Sorge, in Quarantäne zu geraten, treibt verunsicherte Bürger in unserer Überflussgesellschaft dazu, Vorräte im Übermaß anzulegen. Supermarktketten vermelden eine extreme Nachfrage nach haltbaren Produkten – Nudeln, Reis, Konserven und Toilettenpapier sind teilweise ausverkauft. Trotz Beteuerungen des Handels, dass Lieferketten nicht gefährdet seien, greifen die Verbraucher weiter zu. Als Hamstern wird dieses Kaufverhalten gerne umgangssprachlich bezeichnet, weil Menschen sich ihre Schränke daheim füllen wie Hamster ihre Backen. Hinter dem vermeintlich übertriebenen Verhalten steckt die tiefsitzende Angst, dass der zivilisatorische Firnis dünn und auf staatliche Fürsorge kein Verlass ist.
Tatsächlich sicherten ausreichende Vorräte bereits vor Jahrtausenden das menschliche Überleben. Schon in der Neusteinzeit erkannten die Menschen vor allem in nördlichen Gefilden, dass sie Vorräte brauchen, um die langen Kälteperioden zu überstehen. Daraus entwickelte sich zum einen die Viehhaltung als Form der Bevorratung, zum anderen wurden Techniken erfunden, um Kulturpflanzen oder Fleisch zu konservieren – etwa Trocknen, Pökeln, Räuchern. Dabei waren die Bedenkenträger klar im Vorteil, erklärt der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow. „Die Ängstlichen haben gesagt, das wird ein harter Winter, wir müssen trockenen Fisch und Salzfleisch einlagern, sonst kommen wir nicht durch“, sagt der Wissenschaftler. Während die Sorglosen gestorben seien, hätten die Ängstlichen überlebt. Und die Angst sei bis heute in unseren Genen verankert, erklärt Bandelow. Sie kann unser Verhalten beeinflussen – ob in angemesser Weise oder nicht.
Die Sicherheit, dass unsere Marktwirtschaft einen steten Nachschub von Gütern gewährleistet, stellte sich erst verhältnismäßig spät ein. Bis zum flächendeckenden Einsatz von Kühlschränken in den 1930er Jahren waren Speisekammern in den Haushalten üblich; Kartoffeln wurden und werden auch Jahrzehnte danach noch in Vorratskellern gelagert. Mit dem ständig wachsenden Angebot an frischen Waren erübrigte sich diese Vorratshaltung allerdings mehr und mehr. „Insofern ist die Nicht-Bevorratung erst ein Phänomen aus jüngster Zeit“, sagt Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Heute denkt kaum noch jemand darüber nach, Vorräte anzulegen, die mehr als den Bedarf eines Wochenendes decken. Von den Empfehlungen der Bundesregierung, zumindest den Bedarf an Lebensmitteln und Wasser für zehn Tage daheim vorzuhalten, halten die Menschen heutzutage somit wohl eher weniger.
Auch bei vielen großen Unternehmen wie beispielsweise Autoherstellern sieht das nicht unbedingt anders aus. Lagerhaltung ist aufwendig und kostenintensiv und muss daher so kurz und effizient wie möglich gehalten werden; benötigte Teile werden laut Karl Brenke nicht vorfinanziert, sondern dann bezahlt, wenn man sie einbaut. Statt einen Vorrat anzulegen und abzuarbeiten, wird „Just-in-time“, also sofort mit Erhalt der Teile, produziert. Möglich gemacht hat das erst die Globalisierung, durch die sich jedes Unternehmen den Zulieferer heraussuchen kann, der am günstigsten produziert. Früher mussten Betriebe darauf achten, ihre Rohstoffe vorzuhalten, um die Produktion nicht zu gefährden. „Wenn die Lieferketten jedoch wie derzeit in einigen Fällen reißen, bedeutet das für die Firmen ein großes Risiko“, sagt Brenke. Dass die Erfahrungen
Experten fürchten, dass durch zunehmende Hamsterkäufe ein massenpsychologisches Moment einsetzt