Wut und Angst bei Qiagen
Der US-Konzern Thermo Fisher schluckt Deutschlands größtes Biotech-Unternehmen. Der Betriebsrat ist entsetzt. Mitgründer Riesner sorgt sich um den Standort Hilden, wo 1300 Mitarbeiter tätig sind. Die Aktie hebt ab.
HILDEN Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer auf dem Qiagen-Campus in Hilden: Der US-Konzern Thermo Fisher will das wertvollste deutsche Biotech-Unternehmen für 10,4 Milliarden Euro übernehmen. Um 8.26 Uhr folgt die Einladung zur Betriebsversammlung. Rund 800 Mitarbeiter kommen in die Kantine, die Stimmung ist gedrückt – niemand weiß, wie es mit dem Standort Hilden weitergehen wird. „Es war klar, dass der Tag irgendwann kommen wird“, sagt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte.
Zuvor hatte Qiagen mitgeteilt, dass Vorstände und Kontrolleure beider Firmen eine entsprechende Übernahme-Vereinbarung unterzeichnet hätten. Thermo Fisher bietet 39 Euro je Qiagen-Aktie. Das ist ein Aufschlag von 23 Prozent auf den Schlusskurs vom Montag. Die Qiagen-Aktie schnellte am Dienstag um 15 Prozent auf 37 Euro hoch. Qiagen war 1984 von Forschern der Uni Düsseldorf gegründet worden und hat einen steilen Aufstieg genommen. Der Gentechnik-Spezialist ist an den Börsen in Frankfurt und New York notiert.
Für die 5100 Mitarbeiter von Qiagen ist die Nachricht ein Schlag: Sie kommen nun in amerikanische Hände. Das Vorzeigeunternehmen verliert seine Unabhängigkeit. Besonders stellt sich die Frage, was aus der Zentrale in Hilden wird, wo 1300 Mitarbeiter tätig sind. Der Chef von Thermo Fisher, Marc Casper, bleibt vage: „Wir heißen die Qiagen-Mitarbeiter willkommen.“Gemeinsam würde sich neue Möglichkeiten in der Medizintechnik ergeben. Doch der Betriebsrat fühlt sich übergangen: „Wir, der Betriebsrat der Qiagen GmbH, wurden um sieben Uhr über den Zusammenschluss mit Thermo Fischer Scientific in Kenntnis gesetzt. Trotz mehrfacher Aufforderung wussten wir von nichts. Wir werden mit der Geschäftsleitung noch heute Gespräche aufnehmen“, schreiben die Arbeitnehmervertreter in einer Mail an die Mitarbeiter.
Der Düsseldorfer Uni-Professor Detlev Riesner, der Qiagen einst mitgegründet und lange den Aufsichtsrat geführt hat, ist enttäuscht. „Ich habe mir gewünscht, dass Qiagen unabhängig bleibt und seinen erfolgreichen Weg weiter alleine geht. Doch nun haben sich in Aufsichtsrat und Gesellschafterkreis diejenigen durchgesetzt, die vor allem finanzielle Interessen haben und dem Milliarden-Angebot nicht widerstehen konnten.“Das sei bedauerlich – auch für die gesamte Biotechnologie in NRW, aber bei einem börsennotierten Unternehmen auch nicht ungewöhnlich. „Nun wird Qiagens Firmenkultur amerikanischer.“
Riesner sorgt sich um den Standort: „Qiagens Forschung in Hilden ist sehr gut, was auch die Entwicklung des neuen Corona-Tests zeigt. Und ich halte sie in einigen Bereichen auch für besser als die in den USA. Auf die Hildener Fachleute wird daher auch ein neuer Eigentümer nicht verzichten wollen.“Zugleich betonte er: „Es besteht aber die Gefahr, dass Zentralfunktionen und Verwaltung aus Hilden verschwinden. Qiagen wird nur noch ein Teil von Thermo Fisher sein.“Er hoffe, dass man wenigstens die Marke behält.
Das auf Tests zum Nachweis von Krankheiten spezialisierte Unternehmen hatte 2019 mehrmals seine Prognosen verfehlt. Der langjährige Qiagen-Chef Peer Schatz hatte im Oktober überraschend seinen Rücktritt angekündigt und einen Kurssturz ausgelöst. Schatz habe stets für eine unabhängige Qiagen gekämpft. Deshalb habe er das Unternehmen auch immer weiter diversifiziert und so für die Zukunft gut aufgestellt. „Vielleicht hat er geahnt, was da auf das Unternehmen zukommt“, sagt Riesner. „Mir tut es in der Seele weh, dass Qiagen nach 35 Jahren seine Unabhängigkeit verliert.“
Thermo Fisher will mindestens 75 Prozent der Qiagen-Aktien erwerben. Die größten Aktionäre sind die Finanzinvestoren Blackrock, Sun Life Financial und Primecap mit zusammen über 20 Prozent. Thermo Fisher (75.000 Mitarbeiter) ist in NRW nicht unbekannt. Der frühere Bayer-Chef Marijn Dekkers hatte ihn einst groß gemacht. „Fachlich ist Thermo Fisher ein kompetenter Partner“, sagt auch Riesner. Wäre Qiagen von einem Finanzinvestor übernommen worden, hätte die Gefahr einer Zerschlagung bestanden. Aber es gebe auch Bereiche wie die Laborausstattung, wo Qiagen und sein neuer Eigentümer Überlappungen haben. „Hier könnte der neue Konzern versuchen, zu sparen.“Die Aussichten in Hilden sind trübe.