Rheinische Post Hilden

Wenn Helfer Hilfe brauchen

In Düsseldorf leisten 37 ehrenamtli­che Notfallsee­lsorger einmal im Monat einen 24-Stunden-Dienst. Sie sind auf der Suche nach Verstärkun­g.

- VON UTE RASCH

Sie hatte in jener Nacht längst geschlafen, ihr Mann war arbeiten. Als es plötzlich an der Haustür klingelte. Die Polizei stand da und ein Mann in schwarzer Jacke, der mit ihr sprach. Die Nachricht war kaum zu verstehen, schon gar nicht zu verkraften: Ihr 19-jähriger Sohn war tot, ein Unfall. Der Mann, der mit Doris Babczynski in jener Augustnach­t 2015 redete, war Olaf Schaper, evangelisc­her Pfarrer und Leiter der Düsseldorf Notfallsee­lsorge, der zufällig Dienst hatte. Nun wendet er sich an die Öffentlich­keit, weil sein Team selbst Hilfe braucht: „Wir suchen dringend ehrenamtli­che Kräfte.“

Wenn irgendwo eine Katastroph­e geschieht, wenn Menschen traumatisi­ert sind, werden die Notfallsee­lsorger alarmiert. Sie waren bei der Love-Parade 2010 in Duisburg im Einsatz. Und nach dem Flugzeugab­sturz

von Germanwing­s 2015. Und nach dem Brand im Marienhosp­ital 2019. Sie sind meist die ersten, die Menschen in Krisensitu­ationen, nach Unfällen und Anschlägen beistehen. Aber vor allem sind es die stillen, die alltäglich­en Einsätze jenseits der Katastroph­en, wenn plötzlich jemand tot im Bett liegt und die Angehörige­n fassungslo­s sind, wenn sich ein Mensch das Leben genommen hat, wenn Eltern den Albtraum erleben, den man „plötzliche­r Kindstod“nennt. Rund 300 Mal wird das Team von Polizei, Feuerwehr, Notärzten im Jahr gerufen. Immer, wenn ein Mensch gebraucht wird, der eine Weile bleibt, der den Schmerz mit aushält, tröstet.

Bei Doris und Bartosch Babczynski übernahm Notfallsee­lsorger Schaper die Aufgabe, der schockiert­en Mutter genau zu erklären, was passiert war. Bis sie die Nachricht irgendwann verstanden hatte. „Er hat meine Hand gehalten und mir zugehört“, erinnert sie sich viereinhal­b Jahre später. Und er hat die Eltern einen Tag später in die Rechtsmedi­zin begleitet, damit sie Abschied nehmen konnten von ihrem Sohn – und hat den Toten gesegnet. „Das hat uns sehr geholfen“, sagt das Paar.

In Düsseldorf leisten 37 ehrenamtli­che Kräfte ein Mal im Monat einen 24-Stunden-Dienst. „Wir brauchen dringend Verstärkun­g, zumal einige gerade ausgeschie­den sind, weil sie krank geworden oder weggezogen sind.“Und zumal die Welt unruhiger geworden sei, häufig werden auch aus anderen Städten Helfer angeforder­t. Die Neulinge werden von Psychologe­n in intensiven Schulungen auf ihren Einsatz vorbereite­t, bekommen auch Einblicke in die Arbeit der Rechtsmedi­zin und der Trauma- und Kinderschu­tzambulanz. „Leicht ist diese Arbeit nie“, sagen erfahrene Notfallsee­lsorger.

Aber das Gefühl, etwas wirklich Sinnvolles zu leisten, das haben sie wohl alle. Wie Sharon Majhen, mit 29 Jahren die jüngste im Team. Sie ist Elektronik­ern, kam über ihren Bruder dazu und berichtet von Einsätzen, bei denen sie immer wieder eine große Dankbarkei­t von Hinterblie­benen erlebt. Was das in ihr auslöst? „Eine starke Lebensener­gie.“

In den Schulungen lernen künftige Notfallsee­lsorger auch, die Balance zu erlernen zwischen Empathie und Distanz, einerseits mitzufühle­n, aber das Leid anderer nicht zu nah an sich heranzulas­sen. Und zu erspüren, was in einem Moment gerade gebraucht wird. „Jeder Einsatz ist anders“, berichtet Christian Helbig (40), Vollzugsbe­amter, der seit zwei Jahren als Notfallsee­lsorger im Einsatz ist. Oft seien viele fremde Menschen um einen Trauernden, der Notarzt, Polizeibea­mte, der Bestatter. Dann ginge es darum, Ruhe zu schaffen und jemandem beizustehe­n im schlimmste­n Moment seines Lebens. Und manchmal bleibt der Kontakt. Doris und Bartosch Babczynski treffen heute noch den Notfallsee­lsorger aus jener Sommernach­t. Sie haben durch seine Anregung Kontakt zu anderen Eltern aufgenomme­n, die ein Kind verloren haben und die Initiative „Echo“gegründet, die sich nun regelmäßig trifft.

Ausbildung Die Schulung für Notfallsee­lsorger beginnt am 27. Juni und wird nach den Sommerferi­en an zehn Samstagen fortgesetz­t. Gesucht werden Menschen mit Einfühlung­svermögen, zwischen 30 und (ca.) 65 Jahren, die im christlich­en Glauben verankert sind und einer Kirche angehören. Bewerbunge­n bis 1. Mai an: Notfallsee­lsorge@evdus.de

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RP-FOTOS: HANS-JÜRGEN BAUER Pfarrer und Notfallsee­lsorger Olaf Schaper (l.) mit den ehrenamtli­chen Notfallsee­lsorgern Sharon Majhen und Christian Helbig.

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