Corona und der Lehman-Moment
Das Coronavirus und seine Folgen zeigen die extremen Abhängigkeiten unserer globalen Weltwirtschaft. Aber es gibt kurz- und langfristige Waffen gegen die drohenden ökonomischen Verwerfungen.
Vor knapp elfeinhalb Jahren stand die Finanzwelt nach dem Kollaps des US-Investmenthauses Lehman Brothers kopf. Eine Bank, bei der andere Banken viel investiert, in der öffentliche Einrichtungen gewaltige Summen an Altersvorsorge geparkt hatten und in deren Geldmarkt-Fonds Dollar-Milliarden steckten, war vom Staat in die Pleite geschickt worden. Der wollte nach mehreren Rettungsaktionen kein Geldhaus mehr mit Steuergeldern vor dem Untergang bewahren. Die Angst ging um: Wenn Geldmarkt-Fonds, die so sicher schienen wie Omas Sparbuch, schon ein großes Risiko waren – war dann überhaupt noch irgendetwas sicher? Das Vertrauen war weg, die Anleger zogen Milliarden ab, die Banken trauten sich gegenseitig nicht mehr über den Weg, weil keiner wusste, welche Zeitbomben noch bei dem jeweils anderen schlummerten. Der Lehman-Kollaps schien so etwas wie die Kernschmelze des Systems zu bedeuten.
Die Corona-Krise könnte ohne entsprechende Gegenmaßnahmen ebenfalls Verwerfungen in der Weltwirtschaft auslösen, auch wenn eine derart tiefe Rezession derzeit nicht zu erwarten steht. Die Krise zeigt die Abhängigkeiten einer globalen Weltwirtschaft, in der Produktionsketten nicht mehr funktionieren, weil Autoteile aus China nicht geliefert werden, das Ausbleiben von Medikamentenlieferungen aus Asien die Patientenversorgung beeinträchtigt oder im Elektronikhandel Engpässe entstehen, wenn Geräte aus Fernost nicht wie geplant ankommen. Womöglich schafft die Krise Einsichten, dass Produktionskapazitäten in Europa die Folgen solcher Notlagen verschlimmern, dass zumindest Ersatz in der Nähe geschaffen werden muss und die extreme Konzentration auf die als Wachstumsmärkte gepriesenen Regionen in solchen Zeiten schnell zum Bumerang werden kann. Eine Rückbesinnung des global denkenden Managements könnte nicht schaden.
Das kann ein langfristiges Gegenmittel sein. Aktuell und kurzfristig ist die Angst in Wirtschaft und Bevölkerung ein Riesenthema, und sie weist durchaus Bezüge zum Fall Lehman auf. Nach der Pleite des US-Geldhauses misstrauten sich die Banken so sehr, dass keiner dem anderen mehr Geld leihen mochte. Ohne ein funktionierendes Bankensystem mit einer Geldleihe auch der Kreditinstitute untereinander aber gibt es keine Geldversorgung, keine Kredite, keine Investitionen von Unternehmen, kein Wachstum der Wirtschaft. Die Geldbranche ist die wichtigste im ökonomischen Gefüge, der Schmierstoff für den Wirtschaftsmotor. Weil der nicht mehr rundlief, geriet die Weltwirtschaft schwer in Schlagseite.
Auch diesmal treibt die Angst den Abstieg mit, und sie tut dies abseits aller statistischen Wahrscheinlichkeiten für jeden Einzelnen, an dem Virus zu erkranken. Unternehmen stellen Investitionen zurück, aus Sorge, ihre Produkte nicht mehr verkaufen zu können, aus Angst vor Werkstatt- oder Fabrikschließung, wegen Zulieferproblemen. Aktienkurse stürzen ab, weil an den Börsen die Angst schon vorweggenommen ist. Verbraucher verreisen nicht mehr, weil aus ihrer Sicht längst die halbe Welt vom Coronavirus heimgesucht worden ist, und treffen damit die Luftfahrt und die Tourismusbranche ins Herz. Beschäftigte fürchten um ihren Job, weil beim Arbeitgeber Aufträge ausbleiben, sie konsumieren weniger, weshalb Unternehmen Investitionen zurückstellen.
Das alles kann aus der Angst vor der Krankheit entstehen, die in diesem Geflecht Kettenreaktionen auslöst. Das Virus lähmt Menschen und Wirtschaft. Und deshalb ist es gut, dass die Politik kurzfristig Hilfen in Aussicht gestellt hat. Über das Ausmaß streiten die Politiker mal wieder wie die Kesselflicker, aber allen gemeinsam ist die Erkenntnis, dass es ohne Unterstützung schlimm werden könnte, wenn die Krankheit sich ausbreitet.
Liquiditätshilfen beispielsweise, wie sie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Kleinunternehmen gewähren würde, können Vertrauen im Mittelstand schaffen, damit der Entlassungen vermeiden, Produktionsund Absatzausfälle kompensieren kann. Das hat in der Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt auch funktioniert, als das Finanzmarktstabilisierungsprogramm und zwei Konjunkturpakete für Entlastung sorgten. Steuersenkungen könnten ein weiteres Mittel sein. „Ich glaube, eine Steuersenkung wäre symbolisch ganz wichtig. Da kann man über die ökonomischen Effekte streiten, ob das wirklich zu mehr Investitionen führt, aber es würde etwas tun mit der Stimmung in Deutschland“, sagt der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr. Ob die von einigen Ökonomen geforderte Steuerentlastung für Geringverdiener sinnvoll und hilfreich für den Konsum sein kann, ist dagegen zweifelhaft. Wenn die Angst vor dem Besuch im Supermarkt und dessen vielleicht infizierten Besuchern um sich greifen würde, sind ein paar Euro mehr in der Tasche womöglich sekundär.
Auf jeden Fall braucht es vertrauensbildende Maßnahmen. Man erinnere sich an den Auftritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück (SPD) in der Finanzkrise: Damals hatten manche Angst vor einem Massenansturm auf die Banken, bei denen besorgte Bürger ihr Geld nicht mehr sicher wähnten. Die Spareinlagen seien aber sicher, verkündeten seinerzeit die beiden Großkoalitionäre. Womöglich wäre diese Zusage ad absurdum geführt worden, wenn tatsächlich Scharen von Bankkunden auf einen Schlag in ihre Filialen gestürmt wären und ihre Konten geplündert hätten, wenn davor oder danach mehrere Banken in die Pleite geschliddert wären. Einen Rechtsanspruch auf das Politiker-Versprechen hatte keiner. Aber die Beruhigungspille, die Schwarz-Rot verabreichte, wirkte ja. Und nur das zählte.
Das Virus lähmt Menschen und Wirtschaft. Deswegen ist es gut, dass die Politik Hilfen in Aussicht stellt.