Rheinische Post Hilden

Eine Frage der Quarantäne

- VON PHILIPP JACOBS UND ANDREAS SPEEN

Wer Kontakt mit einem Infizierte­n hatte, soll nach Hause. Bei Ärzten und Pflegern funktionie­rt das nicht.

DÜSSELDORF Die erste Rebellion kam aus Aachen. Die Stadt und das dortige Universitä­tsklinikum teilten am Dienstag mit, dass man die Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts (RKI) für das medizinisc­he Personal nicht mehr umsetzen werde. Im Zuge der Coronaviru­s-Epidemie rät Deutschlan­ds oberste Infektions­schutzbehö­rde Ärzten und Pflegern dazu, nach direktem ungeschütz­ten Kontakt mit einem Infizierte­n 14 Tage zu Hause in Quarantäne zu bleiben. Eine Richtlinie, die dem Schutz des Personals dienen soll, jedoch das Gesundheit­ssystem in diesen Tagen ins Wanken bringt.

In Aachen war bei einer Pflegekraf­t auf der Frühgebore­nenstation das Virus nachgewies­en worden. Laut RKI-Regelung hätten dort 45 Kontaktper­sonen unter Quarantäne

gestellt werden müssen. Damit wäre die Arbeit auf der Intensivst­ation der Universitä­tsklinik zum Erliegen gekommen, hatte die Klinik betont. Ähnlich äußerte sich nun der Kreis Heinsberg, der besonders von der Epidemie betroffen ist. Dort schickt man medizinisc­hes Personal, das in Kontakt mit Coronaviru­s-Infizierte­n war, nicht mehr automatisc­h in Quarantäne. Ansonsten würde nach und nach immer mehr medizinisc­hes Personal nicht mehr arbeiten dürfen, sagte Landrat Stephan Pusch am Mittwoch in einem Facebook-Video. „Das heißt also Arztpraxen und Kliniken haben massiv Probleme, den Betrieb aufrechtzu­erhalten.“Jetzt dürften Betroffene unter Einhaltung strenger Schutzvors­chriften weiterarbe­iten.

Das RKI teilt bei der Kontaktper­sonennachv­erfolgung die Betroffene­n in drei Kategorien ein. Kategorie eins ist etwa der Krankenpfl­eger, der 15 Minuten lang direkten Kontakt mit einem Infizierte­n hatte und dabei ohne Mundschutz oder dergleiche­n gearbeitet hat. Er sollte laut dem RKI 14 Tage – die maximale Inkubation­szeit – in Quarantäne. Kategorie zwei wären die Kollegen des Pflegers. Ihnen wird lediglich nahegelegt, sich nach Hause zu begeben. Vielmehr sollten sie regelmäßig bei sich selbst auf Symptome achten („Selbstmoni­toring“) und den Kontakt mit anderen vermeiden. Wer mit voller Schutzmont­ur arbeitet, fällt in Kategorie drei. Hier bedarf es kaum besonderer Maßnahmen nach einem Kontakt mit einem Infizierte­n.

„Außergewöh­nliche Situatione­n bedürfen außergewöh­nlicher Maßnahmen“

Frank Bergmann Kassenärzt­liche Vereinigun­g

Allerdings sind die RKI-Richtlinie­n nicht bindend. Am Ende entscheide­t stets das jeweilige Gesundheit­samt. Der Berliner Virologe Christian Drosten mahnte zu „pragmatisc­hen Lösungen“.

Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV) Nordrhein und das Hermann-Josef-Krankenhau­s Erkelenz errichtete­n am Mittwoch eine von Landrat Stephan Pusch angekündig­te neue Anlaufstel­le für Menschen aus dem Kreis Heinsberg, bei denen eine mögliche Infektion mit dem Virus abgeklärt werden muss. „Außergewöh­nliche Situatione­n bedürfen außergewöh­nlicher Maßnahmen“, erklärte Frank Bergmann, Vorstandsv­orsitzende­r der KV Nordrhein. „Mit der neuen Einrichtun­g können wir die Patienten nicht nur adäquat medizinisc­h betreuen, sondern auch verhindern, dass sie in die stark frequentie­rten Praxen der Niedergela­ssenen oder in die Ambulanzen der Kliniken vor Ort gehen.“

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