Eine Frage der Quarantäne
Wer Kontakt mit einem Infizierten hatte, soll nach Hause. Bei Ärzten und Pflegern funktioniert das nicht.
DÜSSELDORF Die erste Rebellion kam aus Aachen. Die Stadt und das dortige Universitätsklinikum teilten am Dienstag mit, dass man die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) für das medizinische Personal nicht mehr umsetzen werde. Im Zuge der Coronavirus-Epidemie rät Deutschlands oberste Infektionsschutzbehörde Ärzten und Pflegern dazu, nach direktem ungeschützten Kontakt mit einem Infizierten 14 Tage zu Hause in Quarantäne zu bleiben. Eine Richtlinie, die dem Schutz des Personals dienen soll, jedoch das Gesundheitssystem in diesen Tagen ins Wanken bringt.
In Aachen war bei einer Pflegekraft auf der Frühgeborenenstation das Virus nachgewiesen worden. Laut RKI-Regelung hätten dort 45 Kontaktpersonen unter Quarantäne
gestellt werden müssen. Damit wäre die Arbeit auf der Intensivstation der Universitätsklinik zum Erliegen gekommen, hatte die Klinik betont. Ähnlich äußerte sich nun der Kreis Heinsberg, der besonders von der Epidemie betroffen ist. Dort schickt man medizinisches Personal, das in Kontakt mit Coronavirus-Infizierten war, nicht mehr automatisch in Quarantäne. Ansonsten würde nach und nach immer mehr medizinisches Personal nicht mehr arbeiten dürfen, sagte Landrat Stephan Pusch am Mittwoch in einem Facebook-Video. „Das heißt also Arztpraxen und Kliniken haben massiv Probleme, den Betrieb aufrechtzuerhalten.“Jetzt dürften Betroffene unter Einhaltung strenger Schutzvorschriften weiterarbeiten.
Das RKI teilt bei der Kontaktpersonennachverfolgung die Betroffenen in drei Kategorien ein. Kategorie eins ist etwa der Krankenpfleger, der 15 Minuten lang direkten Kontakt mit einem Infizierten hatte und dabei ohne Mundschutz oder dergleichen gearbeitet hat. Er sollte laut dem RKI 14 Tage – die maximale Inkubationszeit – in Quarantäne. Kategorie zwei wären die Kollegen des Pflegers. Ihnen wird lediglich nahegelegt, sich nach Hause zu begeben. Vielmehr sollten sie regelmäßig bei sich selbst auf Symptome achten („Selbstmonitoring“) und den Kontakt mit anderen vermeiden. Wer mit voller Schutzmontur arbeitet, fällt in Kategorie drei. Hier bedarf es kaum besonderer Maßnahmen nach einem Kontakt mit einem Infizierten.
„Außergewöhnliche Situationen bedürfen außergewöhnlicher Maßnahmen“
Frank Bergmann Kassenärztliche Vereinigung
Allerdings sind die RKI-Richtlinien nicht bindend. Am Ende entscheidet stets das jeweilige Gesundheitsamt. Der Berliner Virologe Christian Drosten mahnte zu „pragmatischen Lösungen“.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein und das Hermann-Josef-Krankenhaus Erkelenz errichteten am Mittwoch eine von Landrat Stephan Pusch angekündigte neue Anlaufstelle für Menschen aus dem Kreis Heinsberg, bei denen eine mögliche Infektion mit dem Virus abgeklärt werden muss. „Außergewöhnliche Situationen bedürfen außergewöhnlicher Maßnahmen“, erklärte Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein. „Mit der neuen Einrichtung können wir die Patienten nicht nur adäquat medizinisch betreuen, sondern auch verhindern, dass sie in die stark frequentierten Praxen der Niedergelassenen oder in die Ambulanzen der Kliniken vor Ort gehen.“