Zum Einschlafen
Die schwachen Werke großer Komponisten trüben nicht den Blick auf ihre Genialität. Aber manches wird zu Recht nur selten gespielt.
WIEN Das hier wird keine Heiligenschändung, keine rotzige Abrechnung mit Großmeistern. Sie bleiben unsere Giganten, die mit größtem Vorsprung vor anderen Komponisten (etwa Vivaldi, Gluck, Bruch, Schostakowitsch) auf dem Olymp angekommen sind und immer dort bleiben werden, von uns geliebt und angebetet. Aber weil es sich um sterbliche Wesen handelte, die nicht an jedem Tag von genau 100 Prozent Genialität und Inspiration durchflossen waren, haben sie eben auch schwächere Werke geschrieben.
Jawohl, allen ist das passiert oder unterlaufen, sogar dem Weltmeister Mozart. Aber man muss schon genau prüfen, will man in ihrem Schaffen die Staubflocken finden, den Dünnkaffee oder die labberige Semmel. Nun denn, hier wären sechs besonders markante Exemplare inmitten einer fabelhaften Gesamtqualität.
Haydn, „Die Jahreszeiten“
„Juchhe! Der Wein ist da!“– so heißt es einmal in Haydns weltlichem Oratorium „Die Jahreszeiten“, das die saisonalen Veränderungen im Leben und in der Natur auf eine Weise abbildet, bei der einen das große Gähnen überkommt. Es herrscht eine dermaßen mit Händen zu greifende und mit Ohren zu ermessende Schlichtheit der Inspiration,
dass man sich nur so wundert. War das derselbe Haydn, der auch die „Schöpfung“geschrieben hatte? Leider ja. Wer das Opus zufällig im Radio einschaltet, könnte es für das Gelegenheitswerk eines klassischen Kleinmeisters halten. Haydn hat uns in seinen Sinfonien oder Streichquartetten solche Kronleuchter voller Lichtmomente hinterlassen, dass wir zu diesem Oratorium nur sagen: Ist halt passiert!
Mozart, Klaviersonaten
Manches selbstverständlich ganz groß und zum
Staunen, dazwischen aber auch: Meterware. Getändel. Geratter. Sauber hingesetzt. Zwischenmahlzeit. Man könnte das Etikett dranhängen: „Musste schnell gehen“(das gilt ja auch für manche Salzburger Messe Mozarts). Die bösen Einlassungen von Glenn Gould über die Klaviersonaten treffen zuweilen zu; er nannte Mozart einmal einen „rechtshändigen Komponisten“.
Zwischendurch – etwa in der späten B-Dur-Sonate – bricht dann wieder Mozarts Sonne durch. Zum Glück!
Beethoven, „Christus am Ölberge“
Für Beethoven war geistliche Musik keine Kategorie, in der er sich beheimatet fühlte. Das merkt man, weswegen er am Lebensende so lange mit der „Missa solemnis“gerungen hat: Er wollte erkennbar eine Scharte auswetzen, er wollte vor sich, der Nachwelt und möglicherweise auch Gott nicht als halber Meister dastehen. Seine
geistlichen Werke, die er zuvor schrieb, zeigen eindeutig, dass er fremdelte – etwa im Oratorium „Christus am Ölberge“. Es ist ein grimmiger Versuch, in einem Sujet mit den Mitteln der Empfindsamkeit nachzufassen, das Bach zehnmal relevanter bedient hat: der Passion.
Weber, „Der Freischütz“
Das einzige Verdienst dieses kapital überflüssigen Werks liegt in seiner Scharnierfunktion für die Operngeschichte. Die Phantasie Webers ist so mickrig, dass man bei Aufführungen stets auf die Uhr schaut und sich fragt, wieso es um gefühlt 22.58 Uhr erst real 20.24 Uhr ist. Spätestens wenn der Eremit zu singen beginnt, säße man lieber bei einem schweren Rioja, um den Schmerz zu betäuben.
Wagner, „Götterdämmerung“
Zwischendurch gibt es immer mal wieder Erhabenes und Wundervolles, doch insgesamt ist dieses Trumm zwei Stunden zu lang. Wahnsinnig viel überflüssige Vorgeschichte, die von Nornen, Walküren und Rheintöchtern umfangreich referiert wird, als ob wir nicht sowieso alles wüssten. Wagners Musik dazu ist die dröhnendste und doch flachste im gesamten „Ring“. Der Trauermarsch erhebt sich natürlich herrisch, keine Frage.
Für die Show hatte der Sender ProSieben dem Moderatoren-Duo eine Viertelstunde auf Sendung zur freien Verfügung überlassen. Winterscheidt und Heufer-Umlauf nutzten die Sendezeit, um etwa Aktivisten gegen Rechtsextremismus und eine Seenotretterin zu Wort kommen zu lassen. Der Sprecher des Grimme-Instituts betonte, dass das prämierte Format von den Vorwürfen gegen die Moderatoren nicht betroffen sei. Ihnen den Preis für das „15 Minuten“-Format abzuerkennen, habe daher nicht zur Diskussion gestanden.
Aber wenn wir unsere Ergriffenheit angesichts göttlicher Abgänge und menschlicher Gebrechlichkeiten mal hintanstellen, müssen wir konzedieren: Nach der „Walküre“hätte der Meister im „Ring“mal besser aufgehört.
Schumann, „Des Sängers Fluch“
Während Schumanns Frühwerk mit Liedern und Klavierwerken über jeden Zweifel erhaben ist, zeigen sich beim mittleren und späten Schumann auffallende Formschwächen. Diese Ballade für Soli, Chor und Orchester beispielsweise wird nicht grundlos nur selten aufgeführt. Alles so steif hier, so zäh, so mühsam. Man langweilt sich zu Tode. Bevor der eintreten könnte, ist das Stück glücklicherweise vorbei.
Richard Strauss, „Capriccio“
In Eckhard Henscheids herrlichem, schwer ironischem Opernführer „Verdi ist der Mozart Wagners“wird ein Werk mit dem Adjektiv „selbstmordfördernd“bedacht: Es ist Richard Strauss‘ späte Oper „Capriccio“. Es gibt nur sehr wenige Leute, die dieses „Konversationsstück mit Musik“lieben; dies aber sind ausnahmslos Generalintendanten, die auf der Suche nach chorlosen Werken sind, die überdies so selten geboten werden, dass garantiert die „FAZ“zur Premiere kommt. In Wahrheit passiert in dem Stück außer musikphilosophischer Gestelztheit nichts, wirklich nichts. Die Musik ist von unendlicher Verfeinerung, dass man den abgespreizten kleinen Finger beim Hören sozusagen vor sich sieht.