Rheinische Post Hilden

Gipfeltref­fen der Film-Diven

In „La Verité“liegen Catherine Deneuve und Juliette Binoche miteinande­r im Clinch. Das ist über weite Strecken herrlich mitzuerleb­en.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Bitte kurz mal vorstellen, was man zur Begrüßung sagen würde, wenn die einzige Tochter nach langer Zeit wieder zu Besuch kommt. Die Tochter, das muss man vielleicht noch erwähnen, lebt inzwischen mit ihrer Familie in Amerika und man selbst in Paris, und die kleine und umwerfend liebenswer­te Enkelin ist auch mitgekomme­n. Na? Catherine Deneuve sagt in diesem Film dieses: „Wie ist es in New York so? Ach vergiss es. Interessie­rt mich gar nicht. Ich ertrag nur die Stille nicht.“Und,

Ethan Hawke achtet darauf, nicht in die Schussbahn zu geraten

andere Situation: Wie würde man sich verhalten, wenn einem diese Tochter alsbald vorhielte, man habe sie als Kind nie zum Schultheat­er begleitet oder ihr beigestand­en, als sie Liebeskumm­er hatte? Wie würde man da reagieren? Madame wählt diese Ansprache: „Ist doch besser, dass ich mich nicht in dein Privatlebe­n einmische, wenn ich dich schon vernachläs­sige.“

Genau so geht es zu in „La Verité – Leben und lügen lassen“, und das ist ziemlich toll, denn die Deneuve ist als sardonisch­e, maliziöse, überkandid­elte Mutter eine Wucht. Gesteigert wird die Freude noch durch die Besetzung von Juliette Binoche als Tochter: Die beiden großen Damen des französisc­hen Kinos spielen Pingpong, und die Bälle sind extrem hart und werden sehr oft geschmette­rt.

Der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda hat den Film gedreht, er gewann vor zwei Jahren für seine Produktion „Shoplifter­s“die Goldene Palme bei den Festspiele­n in Cannes. Koreeda ist ein Autorenfil­mer mit eigener, markanter Handschrif­t, aber bei seinem ersten Dreh außerhalb Japans wurde er anscheinen­d völlig überrumpel­t vom Temperamen­t

Deneuves und Binoches. Er lässt die beiden dann auch einfach machen, sie übernehmen die Handlung irgendwann, die ist gar nicht mehr wichtig, man fiebert jedem Aufeinande­rtreffen von Tochter und Mutter entgegen: „Nenn’ mich in der Öffentlich­keit nicht Mama.“– „Was soll ich denn sagen?“– „Fabienne.“

Die Deneuve ist also Fabienne, eine Star-Schauspiel­erin aus der alten Zeit, und nun ist sie wieder in aller Munde, weil sie ihre Autobiogra­phie veröffentl­icht hat. 100.000 Plakate werben dafür in Frankreich, raunt sie ihrer Tochter zu, die bald erfährt, dass es nur 50.000 sind, und zudem aus allen Wolken fällt, als sie das Buch liest. Fehlinform­ationen im Dutzend, Lügen und Unaufricht­igkeiten, und als die von Binoche gespielte Lumir ihre „maman“darauf anspricht, bleibt die sehr gelassen: „Ich bin Schauspiel­erin, ich erzähle wohl kaum die Wahrheit.“

Der Film erzählt die Geschichte einer dysfunktio­nalen Familie, und sehr kunstvoll werden allmählich Ereignisse aufgefalte­t, die das Verhältnis von Mutter und Tochter seit Jahrzehnte­n belasten. Das hätte leicht ins Melodramat­ische abgleiten können. Die Boshaftigk­eit der Mutter, die in Verletzung­en aus der Vorzeit begründet liegt, wird von

Deneuve indes so amüsant und mit eleganter Wutlust dargereich­t, dass „La Verité“heiter anmutet.

Deneuve thront zumeist in ihrem Salon und raucht, sie nebelt ihre Umwelt geradezu ein. Ihre Lider öffnet sie widerwilli­g und bestenfall­s halb und überhaupt nur, um sich selbst zu sehen in dem Spiegelsaa­l, zu dem sie ihr Leben hat werden lassen. In Deneuves Garderobe werden verschiede­ne Raubtiermu­ster kombiniert. Großartig, wie sie den Satz „Ich hätte beinahe mit Hitchcock gedreht“faucht. Oder ihrer Enkeltocht­er erklärt, warum im Garten eine Schildkröt­e lebt: „Das war mal ein Mann, der mich geärgert hat.“

Allmählich begreift man, dass diese Dame sich ihre eigene Realität geschaffen hat, weil sie sich in der echten so einsam fühlte.

Die 76 Jahre alte Deneuve ist schon vor ein paar Jahren in eine Phase ihrer Karriere eingetrete­n, die Zuschauer zumeist aus Gründen des Sightseein­g ins Kino gehen lässt: das Denkmal des europäisch­en Autorenfil­ms ansehen. Die Geschichte­n waren lange nicht so interessan­t wie die Tatsache, dass da die Deneuve agiert. Sie spielt ja irgendwie auch immer sich selbst, ein bisschen jedenfalls; sie kokettiert damit, größer zu sein als der Charakter, den sie verkörpern soll. Hier gibt es nun sogar

ganz direkte biographis­che Parallelen: Fabienne hatte eine Schwester, die auch Schauspiel­erin war, aber früh gestorben ist. Und da erinnert man sich natürlich an die 1967 gestorbene Francoise Dorléac, die ältere Schwester der Deneuve, die in „Die Mädchen von Rochefort“so toll gewesen ist.

Jedenfalls: Wenn Deneuve und Binoche im letzten Drittel von „La Verité“versöhnlic­her werden, gerät der Film doch arg gemütlich und gediegen. Ethan Hawke und Ludivine Sagnier treten übrigens auch auf, aber sie sehen zu, dass sie nicht in die Schussbahn zwischen Deneuve und Binoche geraten. Es ist besser so, denn was sagt Deneuve im Film, als ein Journalist sie fragt, ob ihr Schwiegers­ohn, ein TV-SerienStar, nicht auch Schauspiel­er sei? „Na ja, Schauspiel­er ist vielleicht etwas hoch gegriffen.“

La Verité, Frankreich/Japan 2019 – Regie: Hirokazu Koreeda, mit Ethan Hawke, Catherine Deneuve, Juliette Binoche, 106 Min.

 ?? FOTO: DPA ?? „Nenn mich nicht Mama“: Catherine Deneuve (l.) als Fabienne und Juliette Binoche als ihre Tochter Lumir.
FOTO: DPA „Nenn mich nicht Mama“: Catherine Deneuve (l.) als Fabienne und Juliette Binoche als ihre Tochter Lumir.

Newspapers in German

Newspapers from Germany