Die Klimarevolution entlässt ihre Kinder
Erste Schüler geben auf, Radikale wollen die Demos kapern. Und der große Plan? Fehlt. „Fridays for Future“kämpft 2020 auch um die eigene Zukunft. Es gibt aber Hoffnung – falls man die Zeit bis zur Bundestagswahl 2021 klug nutzt.
Der Umbruch, in dem „Fridays for Future“steckt, gärt seit Monaten vor sich hin. 29. November 2019, Bergisches Land: An jenem Freitag protestieren die Menschen überall auf der Welt. Sie kämpfen für eine Zukunft, in der die Regierungen das Klima besser schützen. In Berlin, Tokio, selbst in der Arktis, aber auch in Wermelskirchen. Doch dort ist die Bewegung zerfallen. Schüler kommen nicht mehr. Dafür stehen Rentner, Radfahrer und der Verein der Billardspieler am Rathaus. Auch im Rest der Republik sind die Schüler protestmüde. Nur 630.000 ziehen an jenem Novembertag durch die Straßen. Im September waren es noch 1,4 Millionen – „Fridays for Future“hatte sich halbiert.
Experten bescheinigen „Fridays for Future“seit Monaten, den Zenit erreicht zu haben. „Keine soziale Bewegung kann jahrelang die Massen mobilisieren“, sagt der Protestforscher Swen Hutter vom Wissenschaftszentrum Berlin. Und die Situation ist paradox. Mehr als 600 Ortsvereine organisieren jeden Freitag Proteste. Sie haben in kürzester Zeit dafür gesorgt, dass die Deutschen sich vor nichts mehr fürchten als dem Klimawandel, wie eine Eurobarometer-Umfrage vom Februar zeigt. Nur politisch passiert nicht genug. Im Januar hat die Bundesregierung entschieden, das umstrittene Kohlekraftwerk Datteln 4 in NRW ans Netz zu nehmen – trotz der Proteste. Der zeitgleich verkündete Kohleausstieg bis 2038 geht acht Jahre an der Forderung von „Fridays for Future“vorbei.
Wie geht es weiter, wenn alle zuhören, aber keiner etwas tut? „Fridays for Future“kämpft jetzt auch um die eigene Zukunft. Für die Bewegung geht es um drei zentrale Fragen: Was wird aus den Freitagsdemos? Welche Bündnisse soll man schmieden, welche meiden? Und helfen politische Mandate? 2020 wird ein entscheidendes Jahr.
Vorschläge, wie die Bewegung überleben soll, gibt es in Köln. Die Ortsgruppe hat dort bereits im Dezember die wöchentlichen Streiks eingestellt. Das klingt wie der Anfang vom Ende, aber es soll den Aktivisten Zeit verschaffen, konkreter in die Klima-Debatte einzugreifen. Weniger Dauerstreik, dafür stärkeres Aufbegehren, wenn etwa Siemens Technik für eine Kohlemine in Australien liefert. „Es gab bei den Freitagsdemos Momente, an denen einige von uns irgendwann nur noch frustriert waren“, sagt Pauline Brünger, Sprecherin der Kölner Ortsgruppe. Die 18-Jährige ist seit der ersten Demo im Dezember 2018 dabei und organisiert bundesweit die Social-Media-Aktivitäten von „Fridays for Future“. „Der Plan ist, einen neuen Plan zu machen“, sagt sie. In jedem Fall wollen die Schüler den Druck erhöhen. Und Allianzen vertiefen, etwa mit Forschern und Prominenten.
Es gibt mittlerweile viele Ableger, die sich auf die Seite der Schüler stellen. Sie heißen „Scientists for Future“, „Parents for Future“oder „Artists for Future“. Wissenschaftler, Eltern und Künstler für den Klimaschutz. Meist treten sie gemeinsam mit „Fridays for Future“auf, die Zusammenarbeit ist eng. Protestforscher Hutter hält das für klug. So behauptet sich der 2018 von der schwedischen Schülerin Greta Thunberg angestoßene Klimaprotest auch dann, wenn die Schüler irgendwann aufgeben sollten. „Soziale Bewegungen können auch schlafende Phasen haben, das ist völlig normal“, sagt Hutter.
Soweit ist es noch nicht, und gegenwärtig gibt es weit größere Probleme als zu wenige Leute auf der Straße. Zum Beispiel die falschen Leute. „Fridays for Future“hat Mühe, sich radikale Stimmen vom Leib zu halten. Die Umweltaktivisten von „Extinction Rebellion“, die Flughäfen lahmlegen und deren Gründer Roger Hallam einst behauptete, der Holocaust sei ein „fast normales Ereignis“gewesen. Das Anti-Kohle-Bündnis „Ende Gelände“, das der
Swen Hutter Protestforscher
Verfassungsschutz als linksextremistisch einstuft. Und Anhänger der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLPD), die regelmäßig bei den Freitagsdemos auftauchen und denen die Linkspartei nicht links genug ist. Von der MLPD distanziert man sich, mit den anderen Bewegungen gibt es gemeinsame Aktionen. Das sieht nicht jeder gern bei „Fridays for Future“. Die Zusammenarbeit ist gefährlich – sie ist aber auch verführerisch, solange die Politik ein Klimapaket schnürt, das die Pariser Klimaziele reißt. Bei „Extinction Rebellion“ist unklar, ob die Bewegung glaubt, dass Klimaschutz und Kapitalismus vereinbar sind. Sollte „Fridays for Future“die Systemfrage stellen, setzen die Schüler den Rückhalt im Land aufs Spiel.
Noch eine Allianz ist umstritten. 2020 müssen die Grünen und „Fridays for Future“entscheiden, wie nah sie sich sein wollen. Immer wieder flirtet man miteinander, aber für beide Seiten kann das fatal ausgehen. Für die Schüler, weil sie sich nicht nur gemein machen mit Umwelt-, sondern plötzlich auch mit Finanz- und Rentenpolitik. Für die Grünen, weil niemand weiß, wo es „Fridays for Future“hintreibt. 2021 wird ein neuer Bundestag gewählt. Die volljährigen Aktivisten müssen sich fragen: Wollen wir in die Politik? Brünger glaubt, dass einige ein Mandat anstreben. Hutter rät davon ab: „Mit den Grünen wird das Thema bereits besetzt, strategisch ist es deshalb besser, wenn die Bewegung nicht in die Institutionen drängt.“
2020 wird es ruhiger werden um „Fridays for Future“. Viele Schüler, die jetzt abspringen, könnten aber im Wahljahr 2021 wieder in den Protest einsteigen. Bis dahin müssen einige Wachstumsschmerzen abklingen und die Aktivisten zwischen guten und schlechten Allianzen wählen. Dieses Jahr wird für „Fridays for Future“zum Sabbatjahr. Die Bewegung braucht einen neuen Plan, der maximal kreativ und minimal radikal ist. Aber das darf nicht zu lange dauern. Denn wie Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht der Bewegung, bei einer Freitagsdemo Anfang 2019 sagte: „Wenn wir heute nicht handeln, ist es morgen zu spät.“
„Soziale Bewegungen können schlafende Phasen haben, das ist völlig normal“