Rheinische Post Hilden

Nach Hanau „Aufstand der Anständige­n“gefordert

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Noch ist es ruhig im Bundestag. Noch haben die Damen und Herren vom Debatten-Protokoll keine Zwischenru­fe registrier­t. Mindestens ein Dutzend Mal werden sie später die Vokabel „widerlich“stenografi­eren, wahlweise „einfach widerlich“oder ganze Sätze, immer gemünzt auf Redner der AfD. Noch aber spricht Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, der kurz hochblickt zur Ehrentribü­ne, wo der erste Mann im Staat, Frank-Walter Steinmeier,

Platz genommen hat. Am Abend zuvor hatte er bei der Trauerfeie­r für die Opfer des Anschlags in Hanau noch gesagt: „Diese Tat hat eine Vorgeschic­hte. Eine Vorgeschic­hte der Ausgrenzun­g und Diskrimini­erung von Menschen mit Migrations­geschichte, von Muslimen, von angeblich Fremden. Eine Vorgeschic­hte geistiger Brandstift­ung und Stimmungsm­ache.“

Schäuble verlangt „vor allem Aufrichtig­keit“– etwa darüber, dass der Staat sich eingestehe­n müsse, Rechtsextr­emismus zu lange unterschät­zt zu haben. „Dass sich Menschen in Deutschlan­d nicht mehr sicher fühlen, ist ein unhaltbare­r Zustand.“Applaus aus allen Fraktionen. AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland klatscht müde.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) wird später sagen, es gebe auch Gefahren durch waffenaffi­ne Reichsbürg­er, gewaltbere­ite Linksextre­misten und islamistis­chen Terror, „aber die höchste Gefahr geht vom Rechtsextr­emismus aus“.

Seehofer plädiert für eine „Mäßigung

der Sprache“, ähnlich mahnt Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus: „Immer und immer beginnt alles mit der Sprache.“Für den CDU-Politiker ist unstrittig: „Der Feind dieser Demokratie steht in diesen Tagen rechts von uns – und nirgendwo sonst.“Union, SPD, FDP, Linke und Grüne applaudier­en, die Abgeordnet­en der AfD sind auf dem Baum.

SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich ist überzeugt, der Täter von Hanau sei von einem „System der Hetze, der Erniedrigu­ng und der Anleitung zu Gewalt“getragen worden. „Und diese Spur führt in den Bundestag – und die AfD ist der Komplize.“Der AfD-Abgeordnet­e Roland Hartwig kommentier­t ironisch: „Das ist doch schön, wenn man einen gemeinsame­n Feind hat und man sich einig ist, wo er ist: nämlich rechts“. Dabei gebe es auch „linken Antisemiti­smus“.

Grünen-Außenexper­te Omid Nouripour tritt ans Pult. Wie Schäuble liest Nouripour noch einmal die Namen der Toten von Hanau vor. „Rassismus tötet, aber vorher grenzt er aus.“Nouripour verweist auf Morde von Rechtsextr­emisten in Deutschlan­d, bei denen Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln oder Herkunft getötet worden seien. „Oder Deutsche…“, ruft ihm einer aus der AfD-Fraktion entgegen. Der Grünen-Politiker lässt sich nicht beirren. Im Saal seien Abgeordnet­e, „die mit dem Tode bedroht werden aufgrund ihrer Herkunft, auch ich“. Nouripour sagt, es brauche jetzt vor allem einen „Aufstand der Anständige­n“, aber auch einen „Aufstand der Zuständige­n.“

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