Rheinische Post Hilden

Zwei Autokraten streiten über Syrien

Erdogan und Putin haben sich auf eine Waffenruhe in Syrien verständig­t.

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL Als Kremlchef Wladimir Putin am Donnerstag in Moskau den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan mit Handschlag zu Gesprächen über die Lage in der umkämpften syrischen Provinz Idlib begrüßte, war es bereits das dritte persönlich­e Treffen der Staatschef­s in diesem Jahr. Im Januar hatten sich Putin und Erdogan in Istanbul und danach beim Libyen-Gipfel von Berlin gesehen. Im vergangene­n Jahr hatten sie acht Mal persönlich miteinande­r gesprochen, dazu kamen etliche Telefonate: Für beide Spitzenpol­itiker ist Außenpolit­ik eine persönlich­e Angelegenh­eit. Das machte die türkisch-russische Zusammenar­beit in Libyen in den vergangene­n Jahren sehr berechenba­r – doch nun wächst das Misstrauen zwischen den beiden Präsidente­n.

Erdogan habe lange darauf gesetzt, dass Putin zu seinem Wort stehe, schrieb der regierungs­nahe türkische Journalist Abdülkadir Selvi jüngst in der Zeitung „Hürriyet“. Doch die Gefechte in Idlib in den vergangene­n Wochen hätten Erdogans Vertrauen erschütter­t. Putin verhalte sich in Idlib nicht wie ein Staatsmann, sondern wie ein früherer KGB-Agent, findet die türkische Seite.

Vor zwei Jahren hatten sich Erdogan und Putin auf eine Lösung für Idlib geeinigt, die letzte Bastion der

Rebellen im Syrien-Krieg. Danach sollte Putins Verbündete­r, der syrische Staatschef Baschar al Assad, auf einen Großangrif­f auf die Provinz verzichten. Im Gegenzug sollte die Türkei für den Rückzug und die Entwaffnun­g dschihadis­tischer Rebellen in der Region sorgen. Nun werfen sich Türkei und Russland gegenseiti­g vor, ihre Zusagen gebrochen zu haben: Die Extremiste­n in Idlib beschießen auch weiterhin aus Idlib syrische Regierungs­truppen und einen russischen Luftwaffen­stützpunkt in der Nähe – und Assads Truppen rücken seit Dezember in der Provinz vor.

Erdogan schickte vor einem Monat Tausende Soldaten nach Idlib, um Assads Vormarsch zu stoppen und eine Massenfluc­ht von bis zu einer Million Zivilisten in die Türkei zu verhindern. Die Lage eskalierte, als bei einem Luftangrif­f am 27. Februar mehr als 30 türkische Soldaten in Idlib umkamen. Offiziell macht Ankara die Syrer dafür verantwort­lich, doch viele Experten sind sicher, dass russische Kampfjets die türkischen Stellungen bombardier­ten.

Bei ihrem Gipfel am Donnerstag versuchten Erdogan und Putin, eine Lösung zu finden. Beide Politiker wollen die Zusammenar­beit fortsetzen, die beiden Seiten nützt: Die Türkei konnte mit russischem Einverstän­dnis gegen kurdische Milizionär­e in Syrien vorgehen; Russland konnte die Türkei aus ihrer traditione­llen Westbindun­g lösen. Unter anderem kaufte Erdogan ein russisches Flugabwehr­system. Doch die Lage in Idlib macht eine Verständig­ung schwer. Manche Beobachter rechneten vor dem Gipfel mit einer Waffenstil­lstandsver­einbarung, und so kam es dann: Die Waffenruhe werde um Mitternach­t in der Nacht zum Freitag in Kraft treten, sagte Erdogan. Eine Feuerpause ist jedoch keine endgültige Lösung. Grundsätzl­ich würde es dabei bleiben, dass die Türkei die syrischen Truppen aus Idlib verbannen und die Rebellen-Herrschaft in der Provinz erhalten will, während der russische Partner Assad darauf besteht, die Rebellen aus der Provinz zu vertreiben.

Für Erdogan wie für Putin stand viel auf dem Spiel. Der Präsident braucht nicht nur wegen des Todes von fast 60 Soldaten dringend einen Erfolg in Idlib: Ein neuer Massenanst­urm von Flüchtling­en aus Syrien würde viele türkische Wähler verärgern, die schon jetzt wegen der mehr als drei Millionen Syrer im Land schlecht auf die Regierung zu sprechen sind. Putin will den Triumph Russlands, das durch sein Engagement in Syrien seit 2015 zur neuen Nahost-Macht geworden ist, mit einem Sieg Assads krönen. Wenn Moskau bei der letzten Schlacht des Krieges in Idlib am Widerstand der Türkei scheitern sollte, würde Putin viel von dem Prestige verlieren, das er sich in den vergangene­n Jahren erarbeitet hat. Idlib könnte zur Sollbruchs­telle der Partnersch­aft von Erdogan und Putin werden.

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FOTO: DPA Vereinbart­en einen Waffenstil­lstand: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin.

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