Zwei Autokraten streiten über Syrien
Erdogan und Putin haben sich auf eine Waffenruhe in Syrien verständigt.
ISTANBUL Als Kremlchef Wladimir Putin am Donnerstag in Moskau den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Handschlag zu Gesprächen über die Lage in der umkämpften syrischen Provinz Idlib begrüßte, war es bereits das dritte persönliche Treffen der Staatschefs in diesem Jahr. Im Januar hatten sich Putin und Erdogan in Istanbul und danach beim Libyen-Gipfel von Berlin gesehen. Im vergangenen Jahr hatten sie acht Mal persönlich miteinander gesprochen, dazu kamen etliche Telefonate: Für beide Spitzenpolitiker ist Außenpolitik eine persönliche Angelegenheit. Das machte die türkisch-russische Zusammenarbeit in Libyen in den vergangenen Jahren sehr berechenbar – doch nun wächst das Misstrauen zwischen den beiden Präsidenten.
Erdogan habe lange darauf gesetzt, dass Putin zu seinem Wort stehe, schrieb der regierungsnahe türkische Journalist Abdülkadir Selvi jüngst in der Zeitung „Hürriyet“. Doch die Gefechte in Idlib in den vergangenen Wochen hätten Erdogans Vertrauen erschüttert. Putin verhalte sich in Idlib nicht wie ein Staatsmann, sondern wie ein früherer KGB-Agent, findet die türkische Seite.
Vor zwei Jahren hatten sich Erdogan und Putin auf eine Lösung für Idlib geeinigt, die letzte Bastion der
Rebellen im Syrien-Krieg. Danach sollte Putins Verbündeter, der syrische Staatschef Baschar al Assad, auf einen Großangriff auf die Provinz verzichten. Im Gegenzug sollte die Türkei für den Rückzug und die Entwaffnung dschihadistischer Rebellen in der Region sorgen. Nun werfen sich Türkei und Russland gegenseitig vor, ihre Zusagen gebrochen zu haben: Die Extremisten in Idlib beschießen auch weiterhin aus Idlib syrische Regierungstruppen und einen russischen Luftwaffenstützpunkt in der Nähe – und Assads Truppen rücken seit Dezember in der Provinz vor.
Erdogan schickte vor einem Monat Tausende Soldaten nach Idlib, um Assads Vormarsch zu stoppen und eine Massenflucht von bis zu einer Million Zivilisten in die Türkei zu verhindern. Die Lage eskalierte, als bei einem Luftangriff am 27. Februar mehr als 30 türkische Soldaten in Idlib umkamen. Offiziell macht Ankara die Syrer dafür verantwortlich, doch viele Experten sind sicher, dass russische Kampfjets die türkischen Stellungen bombardierten.
Bei ihrem Gipfel am Donnerstag versuchten Erdogan und Putin, eine Lösung zu finden. Beide Politiker wollen die Zusammenarbeit fortsetzen, die beiden Seiten nützt: Die Türkei konnte mit russischem Einverständnis gegen kurdische Milizionäre in Syrien vorgehen; Russland konnte die Türkei aus ihrer traditionellen Westbindung lösen. Unter anderem kaufte Erdogan ein russisches Flugabwehrsystem. Doch die Lage in Idlib macht eine Verständigung schwer. Manche Beobachter rechneten vor dem Gipfel mit einer Waffenstillstandsvereinbarung, und so kam es dann: Die Waffenruhe werde um Mitternacht in der Nacht zum Freitag in Kraft treten, sagte Erdogan. Eine Feuerpause ist jedoch keine endgültige Lösung. Grundsätzlich würde es dabei bleiben, dass die Türkei die syrischen Truppen aus Idlib verbannen und die Rebellen-Herrschaft in der Provinz erhalten will, während der russische Partner Assad darauf besteht, die Rebellen aus der Provinz zu vertreiben.
Für Erdogan wie für Putin stand viel auf dem Spiel. Der Präsident braucht nicht nur wegen des Todes von fast 60 Soldaten dringend einen Erfolg in Idlib: Ein neuer Massenansturm von Flüchtlingen aus Syrien würde viele türkische Wähler verärgern, die schon jetzt wegen der mehr als drei Millionen Syrer im Land schlecht auf die Regierung zu sprechen sind. Putin will den Triumph Russlands, das durch sein Engagement in Syrien seit 2015 zur neuen Nahost-Macht geworden ist, mit einem Sieg Assads krönen. Wenn Moskau bei der letzten Schlacht des Krieges in Idlib am Widerstand der Türkei scheitern sollte, würde Putin viel von dem Prestige verlieren, das er sich in den vergangenen Jahren erarbeitet hat. Idlib könnte zur Sollbruchstelle der Partnerschaft von Erdogan und Putin werden.