Rheinische Post Hilden

„Wenn uns keiner rausholt, laufen wir eben nach Europa“

Tausende Flüchtling­e sind im Niemandsla­nd gestrandet.

- VON ANINDITA RAMASWAMY UND LINDA SAY

EDIRNE (dpa) Eine syrische Familie mit fünf Kindern, während des langen Bürgerkrie­gs mehrfach vertrieben, lagert in einem trostlosen Wald in der türkischen Grenzprovi­nz Edirne. Nur ein Fluss trennt sie von Griechenla­nd, und damit ihrer ersehnten Zuflucht: Europa. Fast 600 Euro haben die 30-jährige Hana al-Hurdan und ihr Ehemann Hussam dem Taxifahrer bezahlt, der sie aus Istanbul hierher brachte. Doch die versproche­ne offene Grenze war nur ein Gerücht.

Jetzt ist das Geld fast aufgebrauc­ht. „Wenn uns hier keiner rausholt, laufen wir eben den ganzen Weg nach Europa“, sagt der 38-Jährige trotzig. Auf dem roten Warnschild hinter ihm ist ein bewaffnete­r Grenzsolda­t zu sehen, darunter der Hinweis „Verbotszon­e“.

Anderswo in Edirne nutzen die Menschen jede Möglichkei­t, Obdach zu finden. Familien mit Kindern nächtigen in einer leeren Markthalle, andere schlafen erschöpft, nur in Decken gehüllt, auf einem Bürgerstei­g.

An der Grenze zu Griechenla­nd warten vielerorts Migranten, allein in Pazarkule sind es Tausende. Syrer sind hier, aber auch Pakistaner, Afghanen, Somalier, Kenianer, Iraner, Iraker, Bangladesc­her und Nigerianer.

Ein 33-jähriger Jordanier, der seinen Namen nicht nennen will, berichtet, er wolle sich in Europa als Syrer ausgeben, um als Flüchtling bleiben zu können. Das Leben in Jordanien und der gesamten arabischen Welt sei unfrei und für ihn inzwischen unerträgli­ch, sagt er – auch wegen der vielen syrischen Flüchtling­e dort.

Eine Stunde Autofahrt weiter, nahe dem Grenzüberg­ang Ipsala, fragt ein Jugendlich­er aus Pakistan, der kein Handy hat, ratlos, wann die Grenze endlich geöffnet werde. Ob Präsident Erdogan etwa seine Meinung geändert habe? Dass die Türken einseitig gehandelt haben und die EU nie eine Öffnung ihrer Grenzen angekündig­t hat, weiß er nicht.

Waqar, auch er aus Pakistan, sitzt zusammen mit sieben Landsleute­n vor einer Hochzeitsh­alle. Er hatte es mit anderen schon auf die griechisch­e Seite geschafft, doch nach seinen Angaben wurden sie von Polizisten verprügelt. Alles habe man ihnen abgenommen – Handys, Geld, sogar Kleidung – und die Pässe zerrissen. „Seit fünf Tagen sind wir schon hier“, sagt Waqar. „Hier kommt es mir vor wie das Ende der Welt.“Im Hafen der griechisch­en Insel Lesbos wurden rund 500 Migranten auf einem Kriegsschi­ff untergebra­cht. Sie sollen in ein geschlosse­nes Abschiebel­ager gebracht und von dort ausgewiese­n werden.

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